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"Die Qual meiner Jugend" Rocko Schamoni findet des "Pudels Kern"

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Rocko Schamoni, geboren 1966, ist Autor, Entertainer, Musiker, Schauspieler und Bühnenkünstler. Mit seinen Romanbestsellern füllt er Hallen. Lange Jahre betrieb er zusammen mit Schorsch Kamerun den legendären "Golden Pudel Club" auf Sankt Pauli.

Rocko Schamoni, geboren 1966, ist Autor, Entertainer, Musiker, Schauspieler und Bühnenkünstler. Mit seinen Romanbestsellern füllt er Hallen. Lange Jahre betrieb er zusammen mit Schorsch Kamerun den legendären "Golden Pudel Club" auf Sankt Pauli.

(Foto: Georg Wendt/dpa)

Und, was willst du mal werden, wenn du groß bist? Eine Legende? Am liebsten zu Lebzeiten? So oder ähnlich muss Rocko Schamoni sich das gedacht haben, als er damals sein Dorf verließ und in die große weite Welt hinausging. Jetzt hat Schamoni ein neues Buch geschrieben, für Pudelliebhaber, Punker - und auch deren Schnittmenge.

Michael Köppel (Superfilm) nennt ihn den "Kai Pflaume der Generation Punk mit anständiger Garderobe". Andere finden, dass er der einzig wahre Entertainer ist, der einzig wahre Sänger, ein begnadeter Interviewpartner, ein ebensolcher Interviewführer, ein super Vorleser und/oder ein einzigartiger Schriftsteller. Um letzteren soll es hier gehen, denn Rocko Schamoni hat ein neues Buch fabriziert. "Pudels Kern" heißt es und es liest sich von Anfang an so rasant weg, dass man extra Kunstpausen einbauen muss, damit der ganze Spaß nicht zu schnell vorbei ist.

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Darum geht's: Im Sommer 86 verlässt ein junger Mann sein Dorf und fährt nach Hamburg. Er hat genug von dem, was war. Aber das hört sich viel zu zornig an. So zornig ist er gar nicht. Nur manchmal sehr verzweifelt. Er hat außerdem Bock auf Neues, und auf mehr. Mehr von allem. Schamoni beschreibt das ganz gerade und mit viel Wucht, ist aber auch zart und empathisch am Wort: "Wenn ich in den Tagebüchern lese, wenn ich genauer nachdenke, mich tiefer auf die Erinnerungen einlasse, dann fällt mir all der Druck und Zwang, die Unsicherheit, die Unklarheit, die Verzweiflung, das Nichtwissen, die Vergeblichkeit, die Brutalität, mit einem Wort – die Qual meiner Jugend wieder ein."

Und auch wenn er dann Sätze zitiert wie: "Don't forget - Einsamkeit ist das Wichtigste", will er doch nur eines: dazugehören. Dabei sein. Er ist schließlich erst 19 und will Musik machen, die Jugend feiern, Künstler sein, fast egal, wie. Er kommt sich nur immer wieder selbst in die Quere: "Ich habe alles, aber auch alles an Selbstachtung verloren. Ich halte mich für mehr oder weniger nicht lebensberechtigt. Das Dumme ist, das ist keine Laune, sondern eine Einsicht und ein Zustand. Ein ohnmächtiger Zustand der Erkenntnis, und nur ein letzter Funken Hoffnung, dass ich vielleicht doch nicht so bin. Ich kann starke Kräfte entwickeln, aber nur so kurz, dass es für nichts Veränderndes reicht."

Abgrund aus Feuchtigkeit und Wärme

Nun, das sollte sich im Laufe seines Lebens ändern. Es zieht ihn nach Sankt Pauli, er will hinein in den Abgrund, "wo Feuchtigkeit und dunkle Wärme merkwürdige Organismen zum Tanzen bringen". Er trifft eine Menge Musiker: Die Zitronen, die Ärzte, die Hosen, die Neubauten – doch vor allem sucht er seinen Platz in dieser Welt. Seinen Namen ändert er schnell - ob er als Tobias Albrecht dasselbe wie Rocko Schamoni erlebt hätte?

"Pudels Kern" versetzt uns zurück in alte Zeiten, vor allem, wenn man ein ähnliches Geburtsdatum hat wie der Autor: Punk und Kellernächte, Glaube, Liebe, Hoffnung, Sex, Love, Drugs, Absturz, und wenn man konnte: Wiederauferstehung. Und wenn man selbst mal ein Rockstar war, dann erinnert man sich, wie Rocko Schamoni, an den kaputten Tourbus und den ersten "großen Plattenvertrag".

Für die, die keine Rockstars waren, könnte "Pudels Kern" ein Tagebuch der Liebe sein, die Erinnerung eines gereiften Mannes, der ziemlich verständnisvoll, oft auch erstaunt, auf sein jüngeres Ich schaut. Er nimmt sich nicht so ernst, das ist sympathisch, aber fast nimmt er sich so unernst, dass dieses Buch gar nicht entstanden wäre – und das wäre sehr, sehr schade gewesen: Denn Schamoni hatte seine Tagebücher nie angerührt, "schlichtweg, weil es mir zu langweilig erschien, das Erlebte noch mal nachzulesen". Zum Glück hat er sich anders entschieden. Er verstehe die Sprache, "ich erkenne sie wieder, jedes Gefühl und jede Handlung erscheint mir vertraut und fremd zugleich", sagte er in einem Interview.

Diese Gefühle kennt doch jeder - und jede -, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Nur haben nicht alle so viel erlebt wie Rocko Schamoni. Oder nicht so coole Sachen. Oder haben sie vergessen. Weil sie keine Tagebücher geschrieben haben. Natürlich können sowieso nicht alle so schön schreiben wie er, oder haben Sie schon mal gedacht: "Nichts hat mehr Bedeutung, alles fließt, wir sind Quallen der Liebe."

Oberflächlich süß, im Kern räudig

Schamoni beschreibt sich selbst als nostalgisch, romantisch, sentimental und hoffnungslos realistisch – eine mörderische Mixtur, wie er findet. Bei einem wie Schamoni ist man jedoch nie sicher, und: Wie ernst meint er das jetzt? Denn er sagt auch- gefragt nach dem Buchtitel- Sachen wie: "Der Pudel ist ein multidimensionales Wesen: Oberflächlich ist er süß, putzig, fein, dressiert, spießig. Im Kern aber räudig, verlaust, bissig, brennend teuflisch. Genau wie ich."

Wie gesagt, wenn man nun so alt ist wie Rocko Schamoni, dann erkennt man so einiges wieder in diesem Buch. Irgendwann beim Lesen habe ich mich gefragt, was diese Floskel eigentlich bedeuten soll – des Pudels Kern. Es ist ja eine Redewendung, die wir benutzen, wenn wir etwas herausgefunden haben, was zunächst nicht offensichtlich war. Auf diesem Trip ist Schamoni, "auf der Suche nach dem dunklen Stern seines Dramas", aber wieso nun Pudel und wieso Kern? An dieser Stelle muss ich jedoch abbrechen und darauf verweisen, dass Sie sich bitte selbst etwas fortbilden, wenn Sie es nicht eh schon auf dem Kasten haben sollten: Schauen Sie nach bei "Faust", dem laut Wikipedia bedeutendsten Werk deutscher Literatur. Und wer nicht so auf Goethe steht, der liest einfach Schamoni, denn bereits vor "Pudels Kern" hat der Mann stabil abgeliefert. Empfehlen Sie dieses Buch gern weiter, auch an jüngere Menschen. Es geht auf und ab, wie im echten Leben, und oft lässt Schamoni durchblicken, wie satt er alles hatte, wie sehr er nicht mehr wollte oder konnte. Und dann doch wieder konnte, und wollte, zum Glück!

Bis ans Lebensende anhaltende Scham

"Irgendwo finde ich die Zitronen und schließe mich ihnen an, als ob ich zu ihnen gehörte, als ob ich ihr verlorenes Haustier sei", schreibt er über einen Auftritt im Berliner Tempodrom. Denn zwischen zwei Bands der Kategorie Tote Hosen und Ärzte tritt er, der mittlerweile aufstrebende Jungmusiker an, nur, um gegen die Fans der Bands anzusingen - anzubrüllen - und am Ende doch unterzugehen: "Ich stelle mich wieder als Schießbudenfigur zur Verfügung (...) und wanke völlig malade von der Bühne, der Rest meines Bewusstseins versinkt bald darauf im Bier." Am nächsten Tag steht in der taz: "Rocko Schamoni, der neue Stern am Bierhimmel, sang an diesem Abend wie der sterbende Schwan unterm Lastwagen." Dieser Satz, nebenbei hingeschrieben von einem Kultur-Journalisten, löst "eine bis an mein Lebensende anhaltende Scham" im Künstler aus. Gut, dass er sich seinen Dämonen immer wieder gestellt und sie auch besiegt hat - denn sonst könnten wir jetzt ja nicht dieses grandiose Buch lesen, das so amüsant wie traurig zugleich ist und das so autobiografisch wirkt, dass selbst die vielleicht erfundenen Passagen wahnsinnig echt rüberkommen.

1991 ist dann Schluss auf Seite 301. Das ist auf der einen Seite schade, lässt aber Luft nach oben, denn in den darauffolgenden 33 Jahren war Rocko Schamonis Leben ja nun auch nicht gerade langweilig, also so von außen betrachtet. Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist: "Warum war ich damals nicht öfter auf Sankt Pauli?"

Quelle: ntv.de

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