Kohle, Stahl, Mord - und LiebeDas Geheimnis des "wandernden Dutzends"
Von Thomas Badtke
Im Pott ist die Welt noch in Ordnung, gehen die Uhren anders, wird die Vergangenheit gelebt. Doch 13 unter Tage gefundene Skelette wirbeln mächtig Staub auf und ein längst vergessen geglaubtes Grubenunglück wieder ins Bewusstsein der Essener Bürger. Was ist damals wirklich passiert?
Der Pott ist mehr als "Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt …" Der Pott ist Kult. Der Pott ist eine Grundeinstellung, ein Lebensgefühl, das man tief im Herzen trägt und locker auf der Zunge. Der Pott verbindet Generationen - und er ist die Hauptfigur in Martin Conraths neuer Krimireihe um die Kriminalhauptkommissarin Akay und die forensische Psychiaterin Fäller: "Kohle, Stahl, Mord", erschienen bei Rowohlt und Argon.
Essen, Zeche Wilhelmshöhe: Am 14. Oktober 1988 kommt es dort zu einem verheerenden Grubenunglück, ausgelöst wahrscheinlich durch eine Schlagwetterexplosion. Es gibt zwar Kumpel, die es raus aus dem Berg schaffen, die überleben. Aber von zwölf Bergleuten fehlt seitdem jede Spur. Sie wurden verschüttet, starben in der Dunkelheit, vielleicht zu Staub zermalmt: das "wandernde Dutzend".
Das 13. Opfer
25 Jahre später wird in der Zeche Wilhelmshöhe keine Kohle mehr gefördert. Einzig zahllose Pumpen verrichten noch ihre Arbeit, damit das Grundwasser nicht die Stadt Essen und ihre Umgebung flutet. Das unendliche Erbe des Bergbaus. Da bebt die Erde erneut und mehrere menschliche Skelette werden gefunden, samt typischer Bergmannsmontur. Das Problem dabei: Das "wandernde Dutzend" hat Zuwachs bekommen.
Es sind 13 menschliche Skelette, die entdeckt werden. Zudem befindet sich in einem Schädel ein Einschussloch, die Patrone rasselt sogar noch in dem Knochengerüst wie eine Münze in einer leeren Sparbüchse. KHK Elin Akay wird mit der Leitung der Ermittlungen beauftragt. Um den Fall zu lösen, muss sie in die Vergangenheit eintauchen, in das Leben und die Arbeit der Kumpel, deren Freund- und Feindschaften unter die Lupe nehmen und vielleicht sogar eine politische Intrige aufdecken: Der jetzige Oberbürgermeister der Stadt Essen kennt das Grubenunglück aus erster Hand, er war einer der wenigen Überlebenden. Oder steckt gar noch mehr dahinter?
Aus der Liebe zum Pott
Achtung, Spoileralarm! "Kohle, Stahl, Mord: Das 13. Opfer" ist ein grandioses Erlebnis. Eine Reise in eine hierzulande längst vergessen gegangene Zeit. Eine Zeit gespickt mit Fachvokabular aus dem Bergbau, wie etwa Flöze, Solen, Henkelmänner, Prospektoren, Wettersprengstoff, Schwarzkaue, Weißkaue. Als Leser ist man mittendrin im Schacht, umgibt einen das schwarze Dunkel, die Ungewissheit des Berges. Als Leser erfährt man aber auch etwas über das ungebrochene Vertrauen der Kumpel untereinander, das lebensrettend sein konnte. Erst malochen bis zum Umfallen, dann zwei, drei gemeinsame Bierchen in der Stammkneipe, und erst danach ging es zu Frau und Kindern nach Hause.
Jana Fäller kennt das, ihr Vater war Bergmann, erst vor Kurzem an Lungenkrebs gestorben. Sie ist mit KHK Akay eng befreundet. Dass ihr Vater gleich mehrere Geheimnisse vor ihr und seiner Frau hatte, stellt sich bei den Ermittlungen der Polizei nach und nach heraus. Im Keller der Fällers wird etwa eine eingemauerte Beretta gefunden, das Kaliber passt zu der gefundenen Patrone im Schädel des 13. Opfers. Zufall oder klug beabsichtigt, um zu verwirren, eine falsche Fährte zu legen?
So oder so: Conrath gelingt es traumwandlerisch sicher, die Leser an den Stoff, die Hauptcharaktere zu binden. Er bietet aber auch Nebendarsteller an, die spannend sind und deren Geschichten auch ein Spin-off getragen hätten. Da wäre ein investigativer Journalist, der seinem Erfolg selbst die Liebe unterordnet. Da wäre eine Kneipenbesitzerin, die die Stammkneipe der Bergleute führt, deren Leben aber auch als Sexsklavin eines Motorradclubs hätte enden können.
Es sind die großen Zusammenhänge und die kleinen Nebensächlichkeiten, die "Kohle, Stahl, Mord:- Das 13. Opfer" zu etwas ganz Besonderem machen. Etwas Besonderem wie der Pott selbst. Glück auf!
