Kino

Cate Blanchett glänzt in "Tár" Gehört Johann Sebastian Bach gecancelt?

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Maßgeschneidert: Hollywood-Star Cate Blanchett setzt in ihrer Rolle der Dirigentin Lydia Tár auf vollen Körpereinsatz.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

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Als manische Musikvirtuosin dirigiert und verzweifelt Cate Blanchett in "Tár" meisterhaft. Das US-Drama blickt nicht nur hinter die Kulissen des Berliner Kulturbetriebs, sondern knöpft sich auch brodelnde Gesellschaftskonflikte vor. Ein Rezept, das aufgeht und nachhallt.

Wer mit Begriffen wie "woke" oder "Cancel Culture" etwas anfangen kann, dem bietet gleich eine der Eingangsszenen in "Tár" Gelegenheit, sich fürchterlich aufzuregen. Vor einer Meisterklasse huldigt die Protagonistin Lydia Tár dem Komponisten Johann Sebastian Bach. Das weckt bei einem jungen Studenten Unbehagen: Bach sei vielleicht ein Genie gewesen, aber eben auch ein sehr alter, weißer Mann, dazu mutmaßlich Sexist. Társ anschließende Gardinenpredigt über die Jugend und ihr abhandengekommenes Kunstverständnis rollt - in reichlich überspitzter Manier - einen Generationskonflikt aus. Dass hinter diesem Konflikt eine tiefergehende Machtfrage steht, eröffnet sich im weiteren Verlauf des US-Dramas.

Auch Lydia Tár, verkörpert von Cate Blanchett, ist ein Genie. Als erste Frau leitet die Dirigentin das Ensemble der Berliner Philharmoniker. Frech bedient sich Regisseur und Drehbuchautor Todd Field hier der Fiktion, denn eine Frau an der Spitze des weltberühmten Symphonieorchesters hat die Realität bislang noch nicht hervorgebracht. Sobald Tár zum Dirigierstab greift, verfällt sie in Ekstase, windet sich ihr ganzer Körper. Streichern, Bläsern und Schlagwerk ringt sie musikalische Höchstleistungen ab. Privat ist Tár mit der Kapellmeisterin Sharon Goodnow (Nina Hoss) liiert, das lesbische Paar lebt mit dem gemeinsamen Kind in einer der schöneren Ecken Berlins.

Genie und Wahnsinn

Mitunter unschön geht es hinter den Kulissen des Konzerthauses zu. Wer einen Platz besetzen will, muss sich erst durchsetzen. Und Tár hat sich durchgesetzt. Als mächtige Frau steht sie ihren männlichen Artgenossen in nichts nach, sie fördert, fordert, feuert. Ihr werden heimliche Affären mit aufstrebenden Musikerinnen nachgesagt. Zumindest der jungen Cellistin Olga (Sophie Kauer) macht sie unmissverständliche Avancen. Doch nachdem sich eine ihrer früheren Schülerinnen das Leben nimmt, beginnt Társ absolute Macht zu bröckeln. Sie findet sich schließlich wieder in einem Strudel aus Anschuldigungen, Vorwürfen und sich entladender Wut.

Und auch Társ Innenleben nimmt beachtlichen Schaden. Sie wird von Albträumen, psychotischen Zuständen und Geistern der Vergangenheit heimgesucht, filmisch übersetzt in hektische, verstörende Schnitte. Bei allen Abgründen ist Tár aber durchaus zu Empathie, ja zu Liebe fähig, sodass sie nicht als schwarz-weiß gezeichnete Antagonistin daherkommt, sondern zuallererst als Getriebene ihrer selbst.

Mit dem Motiv der geplagten Künstlerseele erfindet "Tár" das Rad gewiss nicht neu. Das ist auch gar nicht nötig, denn die Intensität, mit der Cate Blanchett Leidenschaft, Selbstaufgabe und Verzweiflung auf die Leinwand bringt, setzt eigene Maßstäbe. Hätte sie die Rolle abgelehnt, wäre der Film nicht gedreht worden, sagte Regisseur Field in einem Interview. Wer sich den Film anschaut, weiß, warum. Blanchetts Oscar-Nominierung ist fast schon Formsache.

Das richtige Tempo

Wenig überraschend geht es in "Tár" vor allem um Lydia Tár. So mancher Nebencharakter verkommt zum gut ausgeleuchteten Statisten, an dem sich das ambivalente Wesen der Dirigentin in Ruhe spiegeln kann. An Abwechslung mangelt es während der mehr als zweieinhalb Stunden Laufzeit dennoch nicht, weil das Tempo stimmt. Einem gewichtigen Thema wie Machtmissbrauch wird der angemessene Raum eingestanden. Im Fall von Tár sind die Dinge nicht immer eindeutig, einiges beruht auf Indizien, manches wird aus dem Zusammenhang gerissen und trotzdem entspinnt sich ein Bild, bekannt durch viele reale (männliche) Vorbilder. Die finale Melodramatik sei da verziehen.

Bei aller Aktualität, bei aller Demontage ist "Tár" letztlich eine Liebeserklärung an die Musik. Die richtigen Ohren verwandeln Alltagsgeräusche in Klänge, mit der richtigen Partitur werden einzelne Töne zur Symphonie. "Tár" ist nicht nur eine moderne Geschichte des Scheiterns, der Film rechnet auch mit einer verkommenen, schnelllebigen Musikindustrie ab und lobpreist zugleich ihr Endprodukt. Denn wenn Lydia Tár vor das Pult tritt, den Taktstock erhebt und Violinen, Pauken und Posaunen die erste Note herausfeuern, bebt das Kino.

"Tár" läuft ab dem 2. März in den deutschen Kinos.

(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 02. März 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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