Mit Karacho ins Reklame-Kino Nach "Gran Turismo" fühlt man sich schmutzig
10.08.2023, 17:05 Uhr Artikel anhören
Von der Konsole auf die Rennstrecke: Jann Mardenborough (Archie Madekwe).
(Foto: Sony Pictures)
"Ist das noch die Reklame oder schon der Film?", dürfte sich manch einer beim Kino-Besuch von "Gran Turismo" fragen. Die Geschichte von einem, der es vom Playstation-Daddler zum Nissan-Rennpiloten bringt, ist eine einzige Dauerwerbesendung. Dennoch kann man sich ihr nur schwer entziehen.
Hollywood möchte bitte aus dem Bälleparadies abgeholt werden. Schließlich hat man in diesen Tagen den Eindruck, als hätte sich die Traumfabrik irgendwo bei Toys R Us verlaufen. Dabei hat sie nicht nur eine "Barbie" mitgenommen. Ebenso soll "Monopoly" womöglich schon bald verfilmt werden. Und mit "Gran Turismo" (GT) ist nun auch ein Videospiel gerade mal wieder an der Reihe.
Dabei ist die Rennsimulation, die Sony 1997 erstmals auf die Playstation brachte, natürlich bei Weitem nicht das erste Game, das die Filmemacher inspiriert hat. Ob "Tomb Raider", "Resident Evil" oder sogar "Super Mario" - sie alle schafften bereits den Sprung von der Konsole auf die Leinwand. Und mit "Need For Speed" wurde auch einem anderen populären Autorennspiel bereits vor knapp zehn Jahren im Kino gehuldigt.
Nun werden einen echte Gamer natürlich sofort belehren, dass das eher auf Fun-Action gedrillte "Need For Speed" keinesfalls mit "Gran Turismo" zu vergleichen sei, das sich stattdessen einer möglichst wirklichkeitsnahen Simulation des Fahrverhaltens verschrieben habe. Dazu passt dann auch, dass die zugehörigen Kinofilme in komplett unterschiedliche Richtungen abdriften. Erzählte der Streifen "Need For Speed" lediglich eine rein fiktionale Story über einen verwegenen Typen im schnellen Schlitten, schlägt "Gran Turismo" den Bogen zur Realität.
Die Geschichte von Jann Mardenborough
So basiert der Film auf der wahren Geschichte des 1991 geborenen Jann Mardenborough. Regisseur Neill Blomkamp erzählt das Ganze so: Mardenborough (Archie Madekwe) ist ein leidenschaftlicher "Gran Turismo"-Spieler, als sich ihm 2011 plötzlich die Chance eröffnet, sein Hobby zum Beruf zu machen. Nein, nicht etwa als professioneller Gamer, sondern als echter Rennfahrer in einem echten Boliden. Schließlich hat sich der Automobilkonzern Nissan gerade auf eine ebenso geniale wie wahnwitzige Idee seines Marketing-Profis Danny Moore (Orlando Bloom) eingelassen: Gemeinsam mit Konsolen-Hersteller Sony will er "Gran Turismo"-Nerds zu Motorsportlern ausbilden und gründet dafür die "GT Academy".
Aus der virtuellen in der realen Welt angekommen, schlägt den Gamern im Rennzirkus natürlich erst einmal jede Menge Skepsis, Hohn und Spott entgegen - nicht zuletzt von ihrem knallharten Ausbilder Jack Salter (David Harbour). Doch auch der Ex-Rennprofi muss im Lauf des Trainings erkennen, dass Jann Mardenborough seinen Wagen nicht nur auf dem Monitor sicher ins Ziel bringen kann. Der Brite setzt sich im Ausscheidungswettkampf an der "GT Academy" gegen alle seine Konkurrenten und Konkurrentinnen durch und wird alsbald auf die Motorsportstrecken dieser Welt losgelassen, ob in Dubai, am Nürburgring oder beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Kann Mardenborough den Beweis antreten, dass ein "Sim-Racer" auch das Zeug zu einem echten Rennpiloten hat?
Jann Mardenborough existiert nicht nur tatsächlich, er hat auch an der Umsetzung des Films mitgewirkt. So fungierte er etwa für seine eigene Figur als Stuntman, wenn es für Schauspieler Archie Madekwe mal eben zu brenzlig wurde. Gleichzeitig aber nimmt es der Streifen an vielen Stellen mit der Wahrheit nicht so genau. So war Mardenborough etwa mitnichten der erste Gewinner der "GT Academy", als der er im Film dargestellt wird. Die Idee zu ihrer Motorsportschule hatten Sony und Nissan vielmehr schon 2008. Lucas Ordonez und Jordan Tresson hießen die ersten Sieger, deren Leben für die Leinwand-Adaption aber womöglich weniger aufregend erschienen als das von Mardenborough. Jack Salter wiederum ist ein ebenso erfundener Charakter wie Danny Moore, wenngleich dessen Rolle zumindest auf den ehemaligen Nissan-Motorsport-Chef Darren Cox Bezug nimmt.
135 Minuten Dauerwerbung
"Gran Turismo" erzählt im doppelten Sinne eine Erfolgsgeschichte: die von Jann Mardenborough, der es statt vom Tellerwäscher zum Millionär vom Daddler zum Rennfahrer gebracht hat. Und die von einem Marketing-Gag, der sich als phänomenaler Coup erwiesen haben soll. Doch auch hier hält sich der Film nur bedingt an die Wahrheit. Jedenfalls hat es kein Absolvent der "GT Academy" im Motorsport je bis wirklich ganz nach vorne geschafft - auch Mardenborough nicht. 2020 fuhr er letztmals für Nissan bei der japanischen Rennserie Super GT. Schon 2015 machte die "Akademie" ihre Pforten dicht.
Komplett bei der Realität bleibt der kritikfreie Streifen hingegen, wenn es um die beteiligten Marken geht. Sony, Playstation, Nissan - sie sind von Anfang bis Ende mit ihren Klarnamen derart präsent, dass sich manch einer die Frage stellen dürfte: "Ist das noch die Reklame oder schon der Film?"
Nach 135 Minuten Dauerwerbungsendung fühlt man sich fast ein bisschen schmutzig. Nicht nur weil man sich als willfähriger Konsument missbraucht fühlt, sondern auch, weil man trotzdem an "Gran Turismo" irgendwie Gefallen gefunden hat. Die Story ist gut und unterhaltsam erzählt, die Rennszenen sind mit der Kamera packend eingefangen und auch das Schauspielensemble um Superstar Orlando Bloom macht einen überzeugenden Job. So dürften nicht nur eingefleischte "Gran Turismo"-Fans beim Gang aus dem Kino letztlich sagen: "War doch gar nicht so schlecht." Aber bitte: Kaufen Sie keinen Nissan - jedenfalls nicht nur wegen des Märchens, das Ihnen hier aufgetischt wird.
"Gran Turismo" läuft ab sofort in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de