"Unser Buch der seltsamen Dinge" Zwei Mädchen jagen den Yorkshire Ripper


Frauen trauten sich wegen des "Yorkshire Ripper" kaum noch alleine auf die Straße.
(Foto: IMAGO/News Licensing)
Ein Serienkiller hat es auf Frauen abgesehen. Er lauert ihnen auf, schlägt mit einem Hammer zu und versetzt so ein ganzes Land Ende der 1970er-Jahre in Angst und Schrecken. Miv und Sharon, "BFF", wollen den "Yorkshire Ripper" fangen - mithilfe einer Liste. Die Jagd kann beginnen.
Ende der 1970er-Jahre. England. Margaret Thatcher ist gerade als Premierministerin dabei, sich den Namen "Eiserne Lady" zu verdienen. Unter ihrer Ägide gehen ganze Industriezweige baden. Stahl- und Textilarbeiter verlieren ihre Jobs. Gleichzeitig wütet ein Serienkiller im Land. Er hat es auf Frauen abgesehen, lauert ihnen auf, schlägt ihnen von hinten mit einem Hammer auf den Kopf, sticht gegebenenfalls noch mehrmals mit einem Messer zu. Der Boulevard tauft ihn den "Yorkshire Ripper". Und genau in der Stadt Yorkshire wächst Miv auf.
Miv ist zehn Jahre alt, als sie ihre beste Freundin Sharon kennenlernt. Von da an sind sie "BFF", nichts und niemand wird sie je wieder trennen können. Naja, Mivs Vater schon. Er hat die fixe Idee, aus der Stadt wegzuziehen, zum einen wegen des Rippers. Zum anderen aber auch, weil seine Frau und Mivs Mutter nicht mehr dieselbe ist seit einem Vorfall, der aber vor dem Mädchen verheimlicht wird. Miv liebt ihre Mutter, aber die spricht kein Wort und tapert durch das kleine Haus der Familie wie ein Geist, wenn sie nicht in ihrem Bett liegt.
Die Liste
Für Miv ist klar: Wenn man den Ripper schnappt, muss ihr Dad die Umzugspläne canceln - und damit bleiben sie und Sharon zusammen. Sie schmiedet einen Plan: Da die Polizei des Serienkillers nicht habhaft wird, müssen die beiden Freundinnen ihn eben zur Strecke bringen. Miv beginnt ein Notizbuch zu führen, legt eine Liste von ihr als verdächtig erachteter Personen an und will so herausbekommen, wer hinter dem Ripper steckt. Die Liste wird länger und länger, denn in TV und Radio heißt es: "Der Ripper hat Nachbarn, ist jemandes Ehemann oder jemandes Sohn. Jemand muss ihn kennen."
Das ganze Unterfangen halten Miv und Sharon geheim, den Ärger, der auf sie niederprasseln würde, wenn ihre Suche und Jagd nach dem Killer herauskommen würde, möchten sie sich gar nicht vorstellen. Und so landet ein Name nach dem nächsten auf ihrer Liste - und wird gegebenenfalls wieder gestrichen. Doch während Miv in diesem Detektivspiel aufgeht, zieht sich Sharon mehr und mehr zurück. Sie bandelt mit Ish an, einem Jungen aus ihrer Klasse, Sohn pakistanischer Einwanderer, dessen Mutter schon gestorben ist. Die beiden Freundinnen beginnen, sich auseinanderzuleben. Monate vergehen, der Ripper tötet weiter, Mivs Liste wird nicht kürzer.
Die Suche
Da wäre beispielsweise ihr Sportlehrer, sehr streng, der auch schon mal die Schwachen in der Klasse drangsaliert. Aber als ihm Miv auf den Zahn fühlt, bekommt sie heraus, dass seine Ehe in Scherben liegt. Ein Mörder ist er aber deshalb nicht. Auch Ishs Vater landet auf der Verdächtigenliste, ebenso wie der Vikar, ein "lieber Onkel" aus der Kirche, der Mann der Bibliothekarin und ein geheimnisvoller junger Mann, der immer mit Pudelmütze herumläuft.
In den Alltag all dieser verschiedensten Menschen erhält Miv Einblick. Sie schaut hinter die Fassaden, hinter das Offensichtliche, der zweite Blick wird wichtig. Sie gewinnt dabei zahlreiche neue Freunde, deckt schmutzige Geheimnisse auf, sorgt sogar für mehr Sicherheit. Miv eckt aber auch an. Vor allem zwei Möchtegern-Neonazis aus ihrer Klasse haben sie und Sharon auf dem Kieker. Die 1980er sind angebrochen, Monkey-Boots und Bomberjacken prägen auch in Yorkshire mehr und mehr das Straßenbild. Die Angst vor dem Unbekannten, der Hass auf alles, was anders ist. Und so endet die Suche von Miv und Sharon, an der sich am Ende auch Ish und ein weiterer Junge beteiligen, in einer Tragödie - die dann aber wiederum der Anfang einer anderen Geschichte und eines neuen Lebensabschnitts ist.
Das überragende Ergebnis
"Coming of Age" nennt man das wohl, was die Autorin Jennie Godfrey mit "Unser Buch der seltsamen Dinge" brillant zu Papier gebracht hat. Der Fall des "Yorkshire Rippers" - der von 1975 bis 1981 mindestens 13 Frauen ermordet, weitere sieben zum Teil lebensgefährlich verletzt hat, der 1981 gefasst wurde und 2020 im Gefängnis starb - bildet die Klammer für den Plot. Der Rahmen ist an sich schon spannend und nicht nur etwas für True-Crime-Fans. Die Geschichte um Miv und Sharon und deren Freundschaft, die so einzigartig scheint, aber dennoch so gewöhnlich, so alltäglich ist, ist der wahre Schatz des bei dtv und DAV als Buch und Hörbuch erschienenen Bestsellers.
Für Hörer ist "Unser Buch der seltsamen Dinge" eine Zeitreise, ein Gesellschaftsporträt, eine Geschichtsstunde, die Spaß macht. Die wunderbar zarte Stimme von Jodie Ahlborn geht ins Ohr, drängt sich dabei nicht auf und lässt den Figuren den Platz, den sie brauchen. "Unser Buch der seltsamen Dinge" ist ein wunderbarer Appell an das Leben, an die Freundschaft und daran, vor nichts und niemandem Angst zu haben.
Quelle: ntv.de