Mann über Bord Alptraum auf der Gorch Fock
04.09.2008, 18:27 UhrAuf ihr zu dienen, ist für viele Soldaten ein Traum - doch für die Besatzung und Kadetten des Segelschulschiffs "Gorch Fock" ist diese Fahrt zum Alptraum geworden. Eine 18-jährige Marine-Kadettin stürzte in der Nacht zu Donnerstag während ihrer Wache an Deck rund 20 Kilometer vor der Insel Norderney in die aufgewühlte Nordsee. Von der Offiziersanwärterin aus Nordrhein-Westfalen fehlte auch am frühen Abend noch jede Spur, teilte ein Sprecher der Marine am Donnerstag mit.
Auch ein Großaufgebot an Rettungskräften konnte die junge Soldatin, die vermutlich keine Schwimmweste getragen hatte, nicht finden. Die Chancen, dass sie noch lebt, wurden mit jeder Stunde geringer. Das Wasser der Deutschen Bucht ist etwa 17 Grad kalt.
Warum die Kadettin über Bord ging, ist unklar. Das Unglück geschah kurz vor Mitternacht - es war also stockfinster. Nach Angaben der Marine herrschten Südwestwind der Stärke sieben und zwei Meter hohen Wellen. Die "Gorch Fock" habe "ruhig und stabil" im Wasser gelegen. Die Kameraden hätten das Verschwinden der 18-Jährigen sofort bemerkt. Doch der Dreimaster fuhr unter vollen Segeln - und kann nicht plötzlich bremsen oder beidrehen. Nach vorläufigen Angaben der Marine hat es bisher "fünf oder sechs" tödliche Unfälle auf der 50 Jahre alten "Gorch Fock" gegeben. Ins Wasser gefallen und ertrunken sei noch nie jemand.
Klares Procedere
"Beim Notfall "Mann über Bord" wird sofort die gesamte Besatzung geweckt", sagte Fregattenkapitän Achim Winkler, der bis 1995 als Ausbildungsleiter auf dem Schulschiff diente. "Parallel legt die stehende Segelwache sofort los, nimmt die Untersegel weg und dreht den Großmast um. Dann bleibt das Schiff stehen." Winkler schätzt, dass das Manöver rund fünf Minuten dauerte und die "Gorch Fock" währenddessen wohl 1500 Meter zurückgelegt habe.
"Gleich zu Anfang wird eine Rettungsboje ins Wasser geworfen, die sich zu einer Vier-Mann-Insel auffaltet", sagte der Schulschiff- Experte. "Wenn jemand schwimmt, also nicht bewusstlos ins Wasser fällt, sind die Chancen gut, die Insel zu erreichen." Schwimmwesten trägt die Crew bei der Wache an Deck nicht. Einen Sog, der die 18- Jährige unter Wasser zog, "kann es eigentlich nicht gegeben haben", sagt Winkler. Die Gefahr bestehe nur bei Schiffsschrauben.
Ist das Schiff gestoppt, setze die Crew zwei Rettungsboote aus. "Man muss dann der Spur des Kielwassers folgen. Aber mitten in der Nacht ist die Suche natürlich schwierig. Das ist wie ein Stochern im Heuhaufen", sagte der ehemalige Ausbildungsleiter. Die "Gorch Fock" habe keinen Suchscheinwerfer, auch die kleinen Rettungsboote nicht. Das aufwendige Rettungsmanöver werde aber regelmäßig geübt.
Große Rettungsaktion
An der Suche beteiligten sich unter anderem Schiffe und Hubschrauber der Bundespolizei, der Deutschen Marine, der Polizei Niedersachsen und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Doch der starke Wind und meterhohe Wellen behinderten die nächtliche Rettungsaktion.
Für den späten Donnerstagabend wurde die "Gorch Fock" in Wilhelmshaven erwartet. Dort sollte die Besatzung psychologisch betreut werden, sagte ein Marinesprecher am späten Nachmittag. Die Suche nach der Soldatin wurde wegen der Dunkelheit um 20.30 Uhr eingestellt. Mit Tagesanbruch werde weitergesucht, hieß es. Mit den Ermittlungen zum Unfallhergang wollten die Fachleute am Freitagmorgen beginnen.
Der Dreimaster sollte eigentlich am Freitagmorgen in den Hamburger Hafen einlaufen. Dieser Besuch sowie der für den 6. September in Flensburg geplante Marineball wurden abgesagt.
Erst vor wenigen Wochen wurde das 50. Jubiläum der 1958 in Dienst gestellten "Gorch Fock" gefeiert. 14.000 Offiziers- und Unteroffiziersanwärter haben in dem halben Jahrhundert ihre seemännische Grundausbildung auf dem Segelschulschiff durchlaufen. Zum aktuellen Ausbildungsjahrgang gehören 222 Kadetten. Die 148. Ausbildungsfahrt hatte erst vor wenigen Tagen Ende August begonnen. 107 auszubildende Soldaten - darunter 24 Frauen - waren dabei.
Quelle: ntv.de