Panorama

Deutsches Kulturprojekt am Tiananmen-Platz Aufklärung in China hochaktuell

Das Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens.

Das Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens.

(Foto: picture alliance / dpa)

Freiheit statt Absolutismus, Vernunft statt Dogmatismus - die Werte der Aufklärung haben im heutigen China eine politische Brisanz. Das größte deutsche Kulturprojekt im Reich der Mitte will den Chinesen jene Epoche näherbringen, die das europäische Denken geformt hat.

Kann es "Aufklärung am Tiananmen" geben? Diese Frage wird das bislang wichtigste deutsche Kulturprojekt in China beantworten müssen. Im frisch renovierten Nationalmuseum in Peking eröffnet am 1. April in Gegenwart von Außenminister Guido Westerwelle die Ausstellung "Kunst der Aufklärung". Der Ort ist heikel: Das Museum liegt direkt neben dem Tiananmen-Platz, wo 1989 die Studenten für Demokratie in den Hungerstreik traten. An der Nordseite verläuft die Straße des Ewigen Friedens, wo die Panzer und Truppen den damaligen Volksaufstand blutig niederwalzten.

Hinter dem Museum sind ferner das Polizeiministerium und die Zentrale der Staatssicherheit zu finden, die heute mit allen Mitteln verhindern, dass das chinesische Volk "aufgeklärt" sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Allein die Lokalität schon erzeugt den "Spannungsbogen" oder "die Brücke in die Gegenwart", von denen die deutschen Organisatoren gerne reden. Mit dem Begleitprogramm "Aufklärung im Dialog" sollen der chinesischen Seite in "Salons" jene Epoche und jene Gedanken nahegebracht werden, die in Europa die Grundlagen für Menschenrechte und freiheitlichen Werte gelegt haben.

"Wichtigstes Projekt meines Lebens"

Mit rund 600 Exponaten aus den Staatsmuseen in Berlin, Dresden und München ist es die erste internationale Gastausstellung in dem neuen Museum, das vom Hamburger Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner zum größten der Welt erweitert wurde. Große Meisterwerke von Caspar David Friedrich, Daniel Chodowiecki, Francisco de Goya oder Thomas Gainsborough standen ganz oben auf der chinesischen Wunschliste. "Eine Ausstellung, die in der Substanz ihresgleichen sucht", schwärmt Botschafter Michael Schaefer. Zwölf Monate wird die Schau dauern, die sich die Deutschen zehn Millionen Euro kosten lassen.

"Für mich ist das Projekt so ziemlich das wichtigste, was ich in meinem Berufsleben gemacht habe", sagt der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth. In dem einmaligen Vorhaben machen auch die Staatlichen Museen zu Berlin und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit. "Drei so Riesendampfer immer auf einem Kurs zu halten, ist schon nicht einfach", findet Roth. Für den Münchner Generaldirektor Klaus Schrenk war "die größte Herausforderung", wie die Inhalte dem chinesischen Publikum vermittelt werden können. "Ich will die Bilder zum Sprechen bringen."

Regimekritiker am Rande eingeladen

Die Bedeutung der Aufklärung wirkt bis heute. Im 18. Jahrhundert wurde der Verstand zum Maßstab aller Dinge, erhob sich der Bürger gegen die uneingeschränkte Macht der Herrscher. Freiheit statt Absolutismus - eine Forderung, die heute in Chinas kommunistischer Diktatur mehr als zeitgemäß ist. Zu hohe Erwartungen an die "Aufklärung" werden aber gedämpft: "Wir wollen keine politische Belehrung, sondern gesellschaftlichen Dialog", sagt Botschafter Schaefer. Es gehe nicht um "Blaupausen". Deutschland wolle sein Gesellschaftsmodell nicht als das "allein seligmachende" darstellen.

Ai Weiwei begrüßt die Ausstellung zu Aufklärung.

Ai Weiwei begrüßt die Ausstellung zu Aufklärung.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Voneinander lernen" will André Wilkens von der Stiftung Mercator, die den Dialog organisiert. "Wir kommen nicht, um Entwicklungsarbeit in China zu leisten, sondern um den Austausch voranzubringen." Natürlich haben die chinesischen Kooperationspartner bei der Wahl der Dialogteilnehmer ein Wörtchen mitzureden. "Wir stimmen uns in allem mit dem Nationalmuseum ab", bestätigt Wilkens. So wird zum Beispiel der unbequeme, weltberühmte chinesische Künstler Ai Weiwei, der wegen seiner Regimekritik in China nicht ausstellen darf, nicht an den offiziellen Diskussionsrunden teilnehmen. Er selbst rechnet mit einer Einladung zu einem kleineren, informellen Forum am Rande.

China legt Fokus auf dunkle Seiten

Ai Weiwei hält die deutsche Ausstellung für "bedeutend": "Vor 300 Jahren hat Europa bereits die Diskussion über die Aufklärung vollzogen. Aber für China ist es heute noch eine offene Frage", sagt der Künstler. Es gehe darum, ob die Vernunft der wichtigste Maßstab sei, welchen Wert der Mensch habe und welche Bedeutung ein aufklärerisches Denken für die Menschheit habe. "Im heutigen China ist das noch nicht zu Ende gedacht."

Für die offiziellen chinesischen Partner stehen aber nicht unbedingt aufklärerische Werte wie Emanzipation oder eine kritische Öffentlichkeit im Mittelpunkt des Dialogs. Sie heben besonders die dunklen Kapitel der europäischen Entwicklung hervor: den Zweiten Weltkrieg, die Judenvernichtung und vor allem den Kolonialismus, unter dem auch China zu leiden hatte. "Die chinesische Seite fragt: Was können wir daraus lernen?", berichtet Wilkens. Sollte jemand auf die Idee kommen, dass China den politischen Werten der Aufklärung und dem europäischen Beispiel folgen sollte, halten chinesische Gesprächspartner auch schon eine Antwort bereit: "Wollt Ihr etwa, dass wir diese Schattenseiten auch durchlaufen?"

Quelle: ntv.de, Andreas Landwehr, dpa

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