Panorama

Ende der Lebensmittelmarke DDR-Führung dachte um

Ein einziges Thema beherrschte Ende Mai vor 50 Jahren die Titelseiten der DDR-Tageszeitungen: 13 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden auch in der früheren sowjetischen Besatzungszone die Lebensmittelkarten abgeschafft. Rationierte Waren wie Fleisch, Fett und Zucker waren nun wieder frei verkäuflich. In der Bundesrepublik war das bereits 1950 geschehen. In der DDR ging der Wegfall der Lebensmittelmarken allerdings mit Preiserhöhungen für viele Grundnahrungsmittel einher.

"Den längst überfälligen Schritt hatte die DDR-Führung immer wieder hinausgeschoben", sagt Andr Steiner, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Potsdam. "SED und DDR-Staat hatten große Angst, den Bedarf an Grundnahrungsmitteln bei Wegfall der Rationierung nicht decken zu können." Die Landwirtschaft im Osten hinkte noch bis Mitte der 1960er Jahre dem Vorkriegsniveau hinterher. Bodenreform und ständige Umgestaltungen ließen die Produktivität nicht steigen.

Wirtschaftspolitisches Dilemma

"Dazu hatten andere sozialistische Länder Versorgungsengpässe und konnten nicht mit Lebensmitteln aushelfen", erinnert Steiner. Vom Westen wollte sich die DDR um keinen Preis abhängig machen. Außerdem fehlten für Importe die Devisen. "Ökonomisch wäre es notwendig gewesen, die Preise anzuheben. Aber mit dem sozialen Anspruch einer besseren Gesellschaft als der im Westen war das nicht vereinbar", meint der Wissenschaftler.

Lebensmittelkarten bekam man in besonderen Ausgabestellen - allein im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg gab es Dutzende. Dort wurden die Bürger auch in Kategorien eingeteilt. 1947 gab es zum Beispiel in der Kategorie "V" für die "nicht arbeitende Bevölkerung" pro Tag 300 Gramm Brot, 20 Gramm Fleisch, 7 Gramm Fett, 30 Gramm Nährmittel, 20 Gramm Zucker und 400 Gramm Kartoffeln. Im Deutschen Historischen Museum in Berlin werden einige Exemplare der Karten gezeigt. "Sie dokumentieren, mit wie wenig Nahrung man auskommen musste", sagt der Historiker Andreas Michaelis, der sich mit DDR-Relikten beschäftigt.

"Die Papiere waren Gold wert", berichten Zeitzeugen. Gingen sie verloren, war Schmalhans Küchenmeister, denn Ersatz gab es nicht. "Die Mutter musste sehen, was sie dann auf den Tisch brachte", erzählt eine 73-jährige Berlinerin. Sie hatte einmal beim Einkaufen die Marken verbummelt.

Fall der Rationierung

Nach den Aufständen am 17. Juni 1953 - Regimekritiker wurden auch mit Entzug der Marken abgestraft - hatte SED-Chef Walter Ulbricht noch betont, dass an dem Kartensystem festgehalten werde. "1958 sollte nun innerhalb von drei Jahren die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch der wichtigsten Nahrungsmittel und Industriewaren überholt werden", erzählt Steiner. Um glaubwürdig zu sein, musste die Rationierung fallen.

Mit der Abschaffung wurde ein einheitliches Preissystem für Nahrungsmittel eingeführt. Sie wurden teurer als mit Karten, aber billiger als in den Geschäften der Handelsorganisation HO, die den Schwarzmarkt bekämpfen sollten. Im ersten HO-Laden in der Berliner Frankfurter Allee mussten für 500 Gramm Zucker 1,45 Mark gezahlt werden - mit Karte nur 0,54 Mark.

Schrippe für fünf Pfennig

Als Ausgleich für höhere Preise wurden immerhin Zuschläge geboten. Bei Lohn- und Gehaltsempfängern mit einem Einkommen unter 410 Mark gab es 14 Mark im Monat, für Rentner 9 Mark. Handwerker, private Unternehmer und Angehörige der sogenannten freischaffenden Intelligenz gingen leer aus, ebenso wie Grenzgänger, die im Osten wohnten und im Westen arbeiteten.

In Westdeutschland endete im Frühjahr 1950 die Reglementierung. Die Währungsreform fast zwei Jahre zuvor und das beginnende Wirtschaftswunder ermöglichten hier elf Monate nach Gründung der Bundesrepublik die Rückkehr zur Normalität, während auch bei Siegern des Zeiten Weltkriegs wie beispielsweise Großbritannien die Rationierung länger bestehen blieb.

In der DDR gab es festgelegte Preise aufgrund staatlicher Subventionen zum großen Teil die nächsten 40 Jahre bis zum Zusammenbruch des Arbeiter- und Bauernstaates. Die Bockwurst kostete 80 Pfennige und das dazugehörende Brötchen fünf Pfennige - bis zum Ende der DDR.

Von Gudrun Janicke, dpa

Quelle: ntv.de

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