Jetzt brechen die Deiche "Das übersteigt alle Dimensionen"
06.06.2013, 13:27 Uhr
Züge stehen auf der Marienbrücke in Dresden, um sie zu stabilisieren.
(Foto: dpa)
Die langsam nach Norden ziehende Hochwasserflut in Sachsen-Anhalt bedroht die Stadt Bitterfeld. Dort wird es wohl zu einem Wassereinbruch in die Innenstadt kommen. Am Nachmittag wird Kanzlerin Merkel in Bitterfeld erwartet. Derweil fließt in Bayern das Hochwasser ganz allmählich ab - allerdings zu langsam für die Deiche, die der Reihe nach bersten.
Das Hochwasser entlang der bayerischen Donau bleibt trotz sinkender Pegel bedrohlich. In der gefährdeten Region um Deggendorf und Straubing geht das Wasser zwar langsam zurück. Die Gefahr, dass die durchgeweichten Dämme brechen, ist aber weiter sehr hoch. Ministerpräsident Horst Seehofer besuchte das Gebiet und machte sich in einem Hubschrauber ein Bild von der Lage. "Es ist unbeschreiblich schlimm. Das übersteigt alle Dimensionen", sagte der CSU-Politiker in Deggendorf.
Während der Scheitelpunkt des Hochwassers an der Donau von Kelheim über Regensburg und Straubing bis Deggendorf erreicht ist und die Pegelstände fallen, stagniert der Wasserstand an den Messstellen bis nach Passau. Zeitweise war sogar von einem erneuten Anstieg die Rede. In Passau stieg der Pegel auf 9,80 Meter.
Unterdessen musste bei Osterhofen die Bundesstraße 8 wegen eines erneuten Deichbruchs komplett gesperrt werden. "Die Verkehrssituation rund um Deggendorf verschärft sich dadurch weiter", sagte eine Sprecherin. Die Autobahnen A 3 und A 92 im Krisengebiet sind wegen Überflutung immer noch gesperrt. Alle Versuche, die A 92 freizubekommen, sind bislang gescheitert. Dort müssen die Bewohner jetzt eiligst in Sicherheit gebracht werden.
Die Flutkatastrophe beschäftigte auch den Bundestag. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte den Betroffenen weitere Unterstützung zu, die über die Soforthilfe des Bundes von 100 Millionen Euro hinaus gehen soll. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte: "Wir lassen die betroffenen Menschen nicht allein."
Die Wirtschaftsminister der Länder sprachen sich für schnelle, unbürokratische Hilfen für betroffene Betriebe aus. Die Unternehmen sollten einen Zuschuss von 50 Prozent ihrer Schäden erhalten. Er solle aber bei 15.000 Euro gedeckelt sein, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe von der CDU. Nach den Worten Glawes werde die staatliche Förderbank KfW zudem deutlich niedrigere Kreditzinsen von Betroffenen verlangen.
Versicherung erwartet "Spitzenschaden"
Im Bundestag diskutierten die Fraktionen über die Folgen und Konsequenzen der Rekordflut. Schäuble sagte, es werde alles getan, um die langfristigen Schäden zu beheben. "Darauf können sich alle verlassen." Lammert dankte wie Schäuble den Helfern vor Ort, insbesondere den vielen Freiwilligen. Erneut werde die Erfahrung gemacht, dass Not und Leid einhergingen mit Tatkraft und Hilfe sowie einer "eindrucksvollen menschlichen Zuwendung".
Die Höhe der Schäden ist noch nicht abzuschätzen. Die R+V Versicherung, die ihre Produkte vor allem über die Raiffeisen- und Volksbanken vertreibt, geht für sich aber schon jetzt von höheren Kosten aus als beim Hochwasser im Jahr 2002. Das hatte die Wiesbadener R+V 60 Millionen Euro gekostet. Rund 2000 Kunden hätten schon Schäden gemeldet. "Und es ist kein Ende in Sicht." Eine Sprecherin sagte: "Das wird ein Spitzenschaden."
Nach Kanzlerin Merkel, die sich in Bitterfeld über die Lage informierte, will am Sonntag auch Bundespräsident Joachim Gauck die betroffenen Gebiete besuchen. Zunächst will er in Halle an einem Gottesdienst teilnehmen, teilte das Bundespräsidialamt mit. Anschließend sind demnach Gespräche mit betroffenen Bürgern und Helfern vorgesehen. Auch an der Elbe will Gauck mit Betroffenen sprechen.
Hiobsbotschaft für die Betroffenen
Die Meteorologen haben derweil keine guten Nachrichten für die Betroffenen in den Hochwassergebieten. Sie sagen im Süden und Südosten für die kommenden Tage schwere Hitzegewitter mit zum Teil ergiebigen Regenfällen voraus. Weil die Wiesen und Äcker nach wie vor vollgesogen sind, werden sich die Regenmengen eins zu eins in die Flüsse ergießen. Die Prognosen sind dramatisch.
Allein in Sachsen könnte das nachfließende Regenwasser für eine schlimme Entwicklung sorgen. Schon jetzt hält nachrückendes Wasser aus Tschechien den Pegel der Elbe stabil. Sollten die Prognosen eintreffen, und die ergiebigen Schauer über Süddeutschland bis weit in die kommende Woche hinein anhalten, werden die Pegel kaum fallen. Zudem wird das zusätzliche Nass von oben den ohnehin durchweichten Deichen stark zusetzen. Eine ähnliche Situation wie jetzt in den Katastrophengebieten von Niederbayern ist dann auch an anderen Orten vorstellbar.
Derweil hält sich die Rekordflut hartnäckig: Betroffen sind vor allem die Gebiete an Elbe, Donau und Saale. Tausende verlieren dort ihr Hab und Gut. Nur mit dem Wichtigsten versehen kommen sie in Notunterkünften unter.
Elbe-Scheitel zieht durch Sachsen
In Sachsen blicken die Menschen heute gebannt nach Tschechien, von woher die Elbe-Scheitelwelle anrollt. Brennpunkte sind Dresden und die Elbkommunen in der Sächsischen Schweiz. Der Scheitel der Elbe soll Dresden bereits erreicht haben. Seit einigen Stunden liegt der Pegel stabil bei 8,76 Meter und bleibt damit deutlich unter dem der Flut von 2002 zurück. Damals hatte er bei 9,40 Meter gelegen. Tückisch diesmal ist aber die lange Verweildauer des Wassers, weil die Zuflüsse aus Tschechien nicht verebben. Von mindestens vier Tagen Höchststand ist derzeit die Rede, was eine Herausforderung für viele Deichbauten bedeuten könnte. In Dresden gab es weitere Evakuierungen, nach Angaben der Stadt waren rund 9000 Haushalte ohne Strom. In Meißen war die Elbe nur noch auf einer Fußverbindung passierbar. In der Sächsischen Schweiz sind viele Touristenorte überflutet. In anderen Teilen Sachsens liefen nach Angaben von Innenminister Markus Ulbig bereits die ersten Aufräumarbeiten. "Wir erleben diesmal eine einzigartige Welle der Solidarität und ein großes Engagement der Bürgerinnen und Bürger", sagte er dem Bayerischen Rundfunk.
Brandenburg erwartet die Flut
Die Hochwasserlage in Brandenburg ist nach Aussage von Innenminister Dietmar Woidke deutlich schwieriger als 2002. Neben der Elbe führten diesmal auch alle Nebenflüsse Hochwasser. Die Deiche seien noch tagelang gefährdet. Ganz besonders zittert der 4000-Einwohner-Ort Mühlberg im Elbe-Elster-Kreis. Ein Pflegeheim in der Altstadt ist bereits evakuiert, weitere rund 2100 Anwohner sollen ihre Wohnungen verlassen. Die Polizei fährt mit Wagen durch die Straßen und ruft die Bürger per Lautsprecher zum Verlassen ihrer Häuser auf. Auch der Landkreis Prignitz bereitet sich auf den Ernstfall vor. "Wir wissen auch dort nicht, wie hoch das Wasser stehen wird", sagte ein Sprecher des Krisenstabs in Potsdam. In Nordbrandenburg wird der Höhepunkt der Flutwelle am Wochenende erwartet.
Sachsen-Anhalt hofft auf haltende Deiche
In Sachsen-Anhalt gilt in sechs Landkreisen Katastrophenalarm. Besonders im Raum Bitterfeld und in der Stadt Halle halten die Wassermassen die Menschen in Atem. "Wir hoffen, dass die Deiche halten", sagte eine Sprecherin des Krisenstabs in Magdeburg. In Bitterfeld droht der angrenzende Goitzschesee über die Ufer zu treten und die Innenstadt in einer Art Springflut zu überschwemmen. Zwei Deichsprengungen brachten zunächst nicht die erhoffte Entlastung, wie der Krisenstab mitteilte. Auch in Halle war die Lage weiterhin angespannt, obwohl der Pegelstand der Saale zurückging. Wegen der Gefahr von Dammbrüchen sind weitere Evakuierungen geplant. Im schlimmsten Fall betrifft dies 30.000 Einwohner. Teile der Altstadt sind bereits überschwemmt und Häuser geräumt, darunter zwölf Altenheime.
Ganz schlimm ist die Lage in dem kleinen Ort Elster. Alle 2500 Einwohner der Elbe-Stadt sollen umgehend ihr Zuhause verlassen und Notunterkünfte in Zahna beziehen. Der schützende Damm wurde aufgegeben, weil zu viel Wasser durch den Fuß des Bauwerks dringt. Der Katastrophenstab rechnet damit, dass das Wasser im Ort bis zu 1,25 Meter hoch stehen wird. Lebensgefahr bestünde zwar nicht, nach und nach müsse aber die Stromversorgung abgestellt werden. Auch das Klärwerk werde dann stillgelegt.
In Magdeburg wird der Höchststand am Sonntag oder Montag erwartet. Prognosen gehen von 7,20 Meter aus, aktuell sind es bereits mehr als sechs Meter. 2002 waren es 6,72 Meter. Anders als zuvor gemeldet ist der Damm im Vorort Salbke nicht gebrochen. Nach einem Besuch vor Ort meldete sich ein Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Dieter Steinecke bei n-tv.de, um diese Falschinformation zu korrigieren.
Auch in Dessau und Wittenberg werden Deiche verstärkt. Pratau, Prettin und Pretzsch rüsten sich ebenfalls. In Sandau wurde ein Pflegeheim evakuiert.
Eine kritische Lage gibt es in Calbe an der Saale. Nach Angaben des MDR-Reporters vor Ort steht Wasser im Rathaus. Einsatzkräfte hätten es nicht geschafft, das Gebäude mit Sandsäcken zu schützen. Der Saale-Pegel stieg über die Marke von 9,50 Meter.
Ein weiterer Damm brach in Schweinitz an der Schwarzen Elster. Hubschrauber der Bundeswehr sollen dort Sandsäcke abwerfen, um den derzeit noch 15 Meter breiten Durchbruch zu schließen.
Im Norden des Landes versuchten tausende Helfer und die Bundeswehr, einen Bruch der Elbdeiche zu verhindern. Die Regierung in Sachsen-Anhalt hat unterdessen ein Sofortprogramm zur Hochwasserhilfe vereinbart. In einem ersten Schritt sollen aus dem laufenden Landeshaushalt 20 Millionen Euro eingesetzt werden. Mit den Kompensationsleistungen des Bundes stehen dann insgesamt 40 Millionen Euro zur Verfügung. Dies sei ein erster Schritt, hieß es in Magdeburg.
Niedersachsen bereitet sich vor

Wie viele andere Tiere wird auch ein Gepard des Tierparks Bernburg per Schlauchtboot in Sicherheit gebracht.
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Das Rekord-Hochwasser der Elbe bedroht auch die Deiche in Niedersachsen. Die Pegelstände werden wohl erst in der zweiten Hälfte der kommenden Woche den Höhepunkt überschreiten. Einsatzkräfte waren rund um die Uhr damit beschäftigt, die Elbdeiche zu sichern. Im Landkreis Lüneburg sollen die Deiche mit rund einer Million Sandsäcken auf 70 Kilometern Länge um 30 Zentimeter erhöht werden. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg werden ab heute Tag und Nacht Deichwachen eingesetzt. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel und sein Amtskollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus, machten sich auf dem mecklenburgischen Elbdeich in Dömitz ein Bild von der Lage. Beide waren sich einig, dass weitere Investitionen in die Deichsysteme unumgänglich seien. Das könnten die Länder aber nicht allein leisten, sagten sie.
Die Sicherheit im Atomzwischenlager Gorleben ist nach Angaben des Betreibers nicht durch das drohende Rekord-Hochwasser der Elbe gefährdet. "Das Lager liegt vier Meter höher als der Ort Gorleben, wir erwarten nicht, dass das Wasser bis zu uns kommt", sagte der Sprecher der Gesellschaft für Nuklearservice, Jürgen Auer, in Hannover. Das Transportbehälterlager ist rund drei Kilometer von der Elbe entfernt. "Selbst wenn das Lager überflutet würde, besteht keine Gefahr", betonte Auer. Die 120 Tonnen schweren Atommüllbehälter könnten weder aus der Halle geschwemmt werden, noch könnte Radioaktivität das Wasser kontaminieren.
Hochwasserlage in Polen weiter schlimm
In den polnischen Hochwassergebieten gibt es die bisher schwersten Überschwemmungen der aktuellen Katastrophe. Die Feuerwehr rückte rund 2000 Mal aus. Polizisten und freiwillige Helfer waren im Dauereinsatz, um Deiche zu verstärken und Häuser mit Sandsäcken zu sichern. Noch sind keine Evakuierungen nötig. Besonders betroffen sind Gebiete im Süden sowie im Landeszentrum und Südwesten.
Auch Ungarn bereitet sich derzeit auf Rekord-Hochwasser der Donau vor. Die Scheitelwelle werde Budapest am Wochenende erreichen und einen Pegelstand von rund 8,85 Meter haben, teilte die zuständige Behörde mit. Der bisher höchste Pegelstand in Budapest war 2006 mit 8,60 Metern gemessen worden. Soldaten und freiwillige Helfer sind bereits seit Tagen im Einsatz, um Dämme und Uferanlagen mit Sandsäcken zu verstärken und mobile Schutzdämme zu errichten. Ministerpräsident Viktor Orban hatte am Dienstag den Notstand für betroffene Landesteile ausgerufen.
Österreich hat dagegen den Höhepunkt der Flut wohl überstanden. Lediglich in der Region hinter Wien nahe der slowakischen Grenze stiegen die Donau-Pegelstände noch, teilten die Behörden mit. Die Lage bleibe insgesamt angespannt, da die Fluten nur langsam aus den überschwemmten Gebieten wichen. Das Wasser drücke weiter auf Dämme und Wälle. In der slowakischen Hauptstadt Bratislava erreichte der Wasserstand der Donau mit 10,3 Meter einen Rekordwert. Die Scheitelwelle wird in der Nacht zu Freitag mit 10,4 Metern erwartet.
Hochwasser wohl wegen Klimawandels
Die Häufung von Hochwasser in ost- und süddeutschen Flüssen lässt sich nach Einschätzung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) mit dem Klimawandel erklären. Eine Analyse von Wetter- und Landschaftsdaten des PIK habe ergeben, dass die Erderwärmung mehr zur Zunahme von starken Hochwassern beiträgt als etwa die Landnutzung an den Ufern, die Begradigung oder Vertiefung der Flüsse, sagte der Hochwasser-Experte des Instituts, Fred Hattermann, der "Frankfurter Rundschau". Selbst wenn die Bodennutzung und die Flussläufe sich seit den 50er-Jahren gar nicht verändert hätten, wäre es zu den großen Überschwemmungen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gekommen.
Ein direkter Zusammenhang bestehe dagegen zwischen den ostdeutschen Flutkatastrophen der vergangenen Jahre und Ostwind-Wetterlagen, die im Sommer zugenommen haben, sagte Hattermann. Diese auch derzeit herrschende Wetterlage führe oft zu starken Niederschlägen in Ost- und Süddeutschland, weil sie Feuchtigkeit aus dem Mittelmeerraum mit sich bringe. Sie sei in den vergangenen 20 Jahren deutlich häufiger aufgetreten als zuvor und werde künftig weiter zunehmen.
Quelle: ntv.de, mli/ppo/dpa/AFP/rts