Panorama

Zuflucht in Kammern und Schränken Die 20 Minuten von Newtown

Opferlichter für die 20 Schüler und sechs Lehrerinnen.

Opferlichter für die 20 Schüler und sechs Lehrerinnen.

(Foto: dpa)

Gerade einmal zwanzig Minuten dauert der schreckliche Amoklauf an ihrer Grundschule - doch was die Kinder und Erwachsenen im US-Städtchen Newtown erlebten, werden sie ihr Leben lang nicht vergessen. Die Nation steht unter Schock.

Nach dem Amoklauf an einer Grundschule in den USA haben Überlebende Szenen der blutigen Tat geschildert. "Ich dachte, wir werden alle sterben", sagte unter Tränen die junge Lehrerin Kaitlin Roig, die sich während der Tat am Freitagmorgen mit ihren Schülern in der Toilette versteckt hatte.

Mucksmäuschenstill kauerten sie in Grüppchen während der Bluttat. Sie versteckten sich in den Toilettenräumen, in Schränken und im Abstellraum der Bibliothek - in ständiger Angst, sie könnten die nächsten Opfer des 20-jährigen Schützen Adam Lanza sein. Dabei griffen die Lehrerinnen zu kleinen Notlügen und kümmerten sich liebevoll um ihre Schützlinge, um sie so gut wie möglich zu beschützen.

"Wir haben gesagt, das ist eine Übung, damit sie wissen, was zu tun ist", berichtete die Bibliothekarin Mary Ann Jacob, die sich mit ihren Schülern im Abstellraum verschanzte. Dabei wusste sie von einem Anruf im Sekretariat bereits, dass es Schüsse waren. "Wir standen ganz dicht zusammen", erinnert sie sich. Zum Glück hätten sie Papier und Stifte gehabt. Als später die Polizei an die Tür klopfte, trauten sie sich nicht aus dem Raum, den sie mit einem Stahlschrank verbarrikadiert hatten. Erst über eine Stunde nach den ersten Schüssen krochen sie heraus.

Rund um die Sandy Hook-Grundschule sind Altäre aufgebaut.

Rund um die Sandy Hook-Grundschule sind Altäre aufgebaut.

(Foto: REUTERS)

In den Toilettenräumen der Schule hockten zur selben Zeit 15 Kinder mit ihrer Lehrerin Kaitlin Roig still im Dunkeln, um dem Wahn des Amokläufers zu entgehen. "Ich habe ihnen gesagt, dass sie absolut ruhig sein sollen, dass dort draußen böse Menschen sind und dass wir auf die guten warten müssen", erzählte Roig später unter Tränen dem Sender ABC. "Ich dachte die ganze Zeit nur: 'Wir sind die nächsten'."

Die Kinder weinten, riefen nach ihrer Mutter. Ein kleiner Junge sagte, er könne Karate und werde sie alle sicher nach draußen bringen. Da nahm Roig ihre weinenden Schützlinge in den Arm, schaute ihnen in die Augen und sagte: "Ihr sollt wissen, dass ich Euch alle sehr liebe." Sie habe gespürt, dass sie in diesem Moment von den Kleinen wie eine Mutter gesehen werde. "Ich wollte, dass es das ist, was sie als eines der letzten Dinge hören - und nicht die Schüsse im Flur." Als endlich alles vorüber war und ein Polizist kam, machte Roig ihm erst auf, als er seinen Ausweis unter der Tür durchschob.

"Umarme einen Lehrer"

"Umarme einen Lehrer"

(Foto: AP)

Roigs Kollegin Victoria Soto dagegen überlebte den Amo klauf nicht. Laut Medienberichten versteckte die 27-Jährige ihre Schüler noch in Schränken, bevor der Täter ins Klassenzimmer kam. Er erschoss die Lehrerin, die Kinder fand er nicht.

"Umarme einen Lehrer", steht auf einem Plakat im Ort. Auf anderen Transparenten ist zu lesen "Gott schütze Euch" oder "Wir beten für Euch". Eines hängt direkt an der Hauptstraße. Es sagt ganz schlicht: "Umarmt heute einfach Eure Lieben!"

Opfervater rührt die Nation

Halb zehn Uhr morgens war es, als der mutmaßliche Todesschütze Adam Lanza sein Auto vor der Sandy-Hook-Grundschule parkte. Laut Polizei erzwang er sich den Zutritt zur Schule und stürmte mit mehreren Waffen hinein. Nach den ersten Schüssen gab es Lautsprecherdurchsagen, die Polizei traf ein, sämtliche Schüler und Lehrer versuchten, sich in Sicherheit zu bringen - so wie sie es in den Übungen zuvor gelernt hatten. Auf seinem mörderischen Streifzug tötete der Schütze 20 Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren sowie sechs Erwachsene, bevor er sich offenbar selbst erschoss.

Emilie Parker wurde nur sechs Jahre alt.

Emilie Parker wurde nur sechs Jahre alt.

(Foto: Reuters)

Robbie Parker, Vater der getöteten sechsjährigen Emilie, gehört zu den wenigen, die den Mut haben, schon j etzt über das Massaker zu reden. In bewegenden Worten spricht über seine ermordete Tochter und lässt sie zum Sinnbild der Tragödie werden. Das Bild des kleinen lächelnden Mädchens mit den blonden Haaren und den strahlend blauen Augen kennt in den USA inzwischen fast jeder. Parker, obwohl er von Trauer überwältigt kaum sprechen konnte, sagte den Medien: "Sie war die Art von Mensch, der in einem Raum die Sonne aufgehen ließ", sagte der junge Mann mit von Trauer gezeichnetem Gesicht. "Sie ist ein unglaublicher Mensch, und ich bin gesegnet, dass ich ihr Vater sein darf. Ich möchte, dass alle wissen, dass wir in unseren Herzen und Gebeten bei den Opfern dieser schrecklichen Tragödie sind. Das gilt auch für die Familie des Schützen", so Parker.

Die großherzige Geste hätte seine Tochter so gewollt. "Meine Tochter Emilie wäre eine der ersten, die all diesen Opfern ihre Liebe und Unterstützung geben würde." Aber Emilie wurde nur sechs Jahre alt. Mit ihr starben 19 Kinder. Sie heißen Josephine, Charlotte, Daniel und Olivia, Ana, Dylan und Madeleine, Catherine, Chase und Jesse, Grace, James und Jack, Caroline und Jessica, Avielle, Benjamin und Allison. Der jüngste von ihnen, der kleine Noah, feierte vor drei Wochen seinen sechsten Geburtstag.

Vater des Täters trauert um die Opfer

Auch vor der High School des Ortes stehen 20 weiße Engel als Symbol für die getöteten Kinder.

Auch vor der High School des Ortes stehen 20 weiße Engel als Symbol für die getöteten Kinder.

(Foto: AP)

Auch die Angehörigen des Schützen meldeten sich zu Wort. In einer vom Sender CNN veröffentlichten Mitteilung erklärte der Vater, dass seine Familie mit den Ermittlern eng zusammenarbeite. Auch sie seien schockiert und hätten keine Erklärung für die Tat. "Unser Herzen sind bei den Familien und Freunden, die Angehörige verloren haben, und bei allen, die verletzt wurden. Unsere Familie trauert mit allen denjenigen, die von dieser gewaltigen Tragödie betroffen sind."

"Wir teilen die Trauer der Gemeinde und des Landes, während wir den unglaublichem Verlust zu verstehen versuchen", ließ wiederum der Onkel des Amokläufers mitteilen. Seine Schwester, die Mutter des mutmaßlichen Täters, war am Freitag nach bisherigen Erkenntnissen das erste Opfer des Zwanzigjährigen.

Gerichtsmediziner sind sprachlos

Der Gerichtsmedizin zufolge feuerte der Amokläufer auf alle Opfer mehrfach, vor allem aus seinem Sturmgewehr vom Typ Bushmaster .233. Unter den Toten waren auch Direktorin Dawn Hochsprung und Schulpsychologin Mary Scherlach. Sie hatten gerade eine Beratung, als die ersten Schüsse fielen. Sie liefen in den Flur - und dem Täter offenbar direkt ins Schussfeld. "Es ist das schrecklichste, das ich in mehr als 30 Berufsjahren gesehen habe. Und für meine Kollegen gilt das gleiche", sagt Gerichtsmediziner Wayne Carver. In nüchtern-professionellen Worten erklärte er der entsetzten Öffentlichkeit, dass jedes der Kinder von mehreren Schüssen getroffen wurde. Teilweise fanden sich elf Einschusslöcher in den kleinen Körpern.

Warum Adam Lanza in so einen Wahn verfiel und das schlimmste Schulmassaker in der Nachkriegsgeschichte der USA anrichtete, ist noch völlig unklar. Um 09.50 Uhr wurde sein Leichnam entdeckt. Wenig später tönte es durch die Lautsprecher der Schule, alles sei vorbei und das Gebäude wieder sicher. Doch ob die Menschen in Newtown sich je wieder sicher fühlen werden, kann derzeit niemand sagen.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts

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