Panorama

Besuch aus dem nuklearen Krisengebiet Die Angst wohnt in Fukushima

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Kameras sind aus Japan verschwunden, die Furcht vor den Folgen der nuklearen Katastrophe ist geblieben. Mit einer eigenen Mess-Station will eine Bürgerinitiative ein Gegengewicht zur desolaten Informationspolitik der Regierung etablieren.

Zehn Sievert pro Stunde. Dieser enorme Messwert aus dem Reaktor im zerstörten Atomkraftwerk Fukushima lenkte vor zwei Wochen die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit für einen kurzen Moment wieder nach Japan. Die Nachricht erinnerte daran, dass die nukleare Katastrophe in Japan geblieben ist, auch wenn die Reporter und die Kameras verschwunden sind. Zehn Sievert, diese Dosis führt innerhalb von Minuten zu einer schweren Strahlenkrankheit und damit zum sicheren Tod.

Ein Tepco-Arbeiter misst die Belastung im havarierten Meiler Fukushima.

Ein Tepco-Arbeiter misst die Belastung im havarierten Meiler Fukushima.

(Foto: REUTERS)

Was für die Arbeiter in der Atomruine eine tödliche Gesundheitsgefahr darstellt, soll für die Bevölkerung außerhalb der Evakuierungszone angeblich keine Auswirkungen haben – behauptet die Regierung, und selbst unabhängige Experten bestätigen das. Glauben können es viele Japaner trotzdem nicht. Das Vertrauen in die Regierung ist in den Monaten nach dem GAU fast völlig verloren gegangen. "Die hohen Strahlenwerte im Reaktor von Fukushima sind ein Beweis dafür, dass immer noch nichts unter Kontrolle ist", sagt Wataru Iwata resigniert. Der Komponist aus Fukushima ist gemeinsam mit Aya Marumori nach Berlin gekommen, um die Arbeit ihrer Bürgerinitiative "Citizens' Radioactivity Measuring Station" (CRMS) vorzustellen. Die Organisation hat im August die erste unabhängige Strahlenmessstelle in der Präfektur Fukushima eingerichtet.

Ein Klima der Angst

Auf dem Podium sitzen keine Wutbürger, ganz ruhig und äußerlich unaufgeregt erzählen Marumori – gekleidet in einen landestypischen Kimono - und Iwata von den Bedingungen im Katastrophengebiet. Kerzengerade und geduldig lauschen die beiden Japaner ihrem Übersetzer. Doch aus ihren Schilderungen spricht die ganze Ohnmacht der Einwohner in den umliegenden Gebieten des havarierten Meilers. Nur zögernd gaben die Behörden zu, was nicht mehr zu verheimlichen war: Auch die Menschen außerhalb der Sperrzone sind gefährdet. Evakuierungen werden trotzdem vermieden – aus finanziellen Gründen, wie die Behörden unumwunden eingestehen. Diejenigen, die aus Vorsicht freiwillig wegziehen, bekommen keine finanzielle Unterstützung. Die zurückbleibende Bevölkerung erhält nicht einmal Jodtabletten. Immer wieder gelangen radioaktiv belastete Lebensmittel in den Handel. Kinderärzte registrieren alarmierende Symptome: Die jungen Patienten weisen Schwellungen an der Schilddrüse auf, sie bekommen Nasenbluten, Durchfall, Asthma. Aus der Verunsicherung über die Politik der Regierung erwächst Angst.

Die Angst isst mit: Ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde überprüft Fleisch auf Kontamination.

Die Angst isst mit: Ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde überprüft Fleisch auf Kontamination.

(Foto: REUTERS)

Mit der eigenen Messstation will die Bürgerinitiative den Einwohnern von Fukushima die Möglichkeit geben, sich selbst ein Bild von ihrer Gefährdung zu machen. Es gehe zunächst darum, das Vertrauen in die Messwerte wiederherzustellen, erklärt Iwata. Mit Taschenspielertricks hatten die Behörden ihre Glaubwürdigkeit verspielt: Die Daten werden nur an ausgewählten Orten erhoben und in der veralteten Einheit Rem erfasst. Ein Rem entsprechen zehn Milisievert – so sind kleine Zahlen garantiert, die beruhigend wirken sollen. Die Informationspolitik erlaubt den Bürgern ohnehin kaum Einsicht in die Bedrohungslage. In der Präfektur Fukushima gebe es nur einen Ganzkörpermesser, kritisiert Iwata. Die Ergebnisse von Lebensmittelproben würden nicht veröffentlicht, belastete Lieferungen verschwänden geräuschlos.

"Im Ring" mit der Regierung

Falsche Messdaten konnte die CRMS bislang nicht feststellen. "Unsere Werte stimmen mit denen der Regierung überein", erklärt Iwata. Allerdings gibt es Streit darüber, welche Gefährdung sich aus den Daten ableiten lässt. Der zuständige Berater der Regierung, der angesehene Professor Shunichi Yamashita, hatte für Aufsehen gesorgt, als er eine Belastung von bis zu 100 Milisievert pro Jahr als ungefährlich bezeichnete. Das entspricht dem höchsten zugelassenen Wert für Arbeiter in Atomkraftwerken – im Notfall. "Als Mutter bin ich nicht überzeugt davon, dass meine Kinder bei einer solchen Strahlendosis keinen Schaden nehmen", sagt die Heilpraktikerin Marumori.

Aya Marumori (r.) und Wataru Iwata bei der Pressekonferenz in Berlin.

Aya Marumori (r.) und Wataru Iwata bei der Pressekonferenz in Berlin.

(Foto: Xanthe Hall, IPPNW)

Für die Bürgerinitiative ist es schwer, beklagt Marumori, sich gegen die Sicht der Regierung zu behaupten. Ärzte, die mit der Initiative sympathisieren und vor Gesundheitsgefahren warnen, würden von Kollegen angefeindet. Regierungsexperte Yamashita unterstellt den kritischen Stimmen schlicht Ahnungslosigkeit. Es handele sich um "keine Wissenschaftler, keine Ärzte, keine Strahlenmediziner", spottete er jüngst im Gespräch mit dem "Spiegel" über die noch immer kleine Anti-Atomkraft-Bewegung in Japan. Bei der beunruhigten Bevölkerung will er eine "Strahlenphobie" beobachtet haben: Angeblich führten Stress und unbegründete Angst dazu, dass die Menschen in belasteten Gebieten anfälliger für Erkrankungen werden.

Die CRMS will solchen Äußerungen professionell erhobene Fakten über Strahlenbelastungen und Krankheiten entgegensetzen. Marumori und Iwata suchen deswegen in Deutschland den Kontakt mit Wissenschaftlern, um ihr Netzwerk auszubauen und aus den Erfahrungen mit der Katastrophe in Tschernobyl zu lernen. Mit auf dem Podium sitzt Dr. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Er empfiehlt der Bürgerinitiative besonders den Aufbau von eigenen Registern über Erkrankungen, um mit Yamashita, der eine groß angelegte Untersuchung der Regierung über Schilddrüsenleiden bei allen Einwohnern unter 18 Jahren der Präfektur Fukushima leiten soll, "in den Ring steigen" zu können. Marumori und Iwata hätten diese kämpferische Metapher sicher nicht gewählt. Das tiefe Misstrauen gegen die eigene Regierung und die Angst um die Gesundheit der Bevölkerung des Katastrophengebietes ist auch so spürbar.

Quelle: ntv.de

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