Papst Franziskus ernennt neue Kardinäle "Die Kirche muss sich öffnen"
22.02.2014, 08:27 Uhr
Mit wie viel Widerstand hat Franziskus zu rechnen?
(Foto: dpa)
Sitzungsmarathon im Vatikan: Nach der Zusammenkunft des Kardinalsrats und der Vollversammlung der Kardinäle ist der Höhepunkt der Konferenzwoche das Konsistorium am heutigen Samstag, bei dem Papst Franziskus 19 neue Kardinäle kreirt. Nur zwei von ihnen sind Europäer. Einer davon ist der deutsche Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller. n-tv.de sprach mit dem Vorsitzenden der österreichischen Pfarrer-Initiative, Helmut Schüller, über die Bedeutung dieses Schrittes, die Umfrage des Vatikans unter den Gläubigen und die Hoffnungen, die auf Franziskus ruhen.
n-tv.de: Papst Franziskus ernennt beim Konsistorium neue Kardinäle - nur zwei davon sind Europäer. Ist das eine Richtungsweisung von Franziskus?
Helmut Schüller: Es wird den zunächst einmal den wahren Gewichten der Weltkirche gerecht. Ein ganz großer Teil der Kirche lebt nicht in Europa und muss daher auch anders repräsentiert sein.
Die österreichische Pfarrer-Initiative wurde 2006 als Zusammenschluss von katholischen Priestern gegründet. Aufmerksamkeit erlangte sie im Juni 2011 mit einem "Aufruf zum Ungehorsam", in dem sie diverse Tabu-Brüche ankündigt, etwa, dass die Mitglieder der Initiative auch Mitgliedern anderer christlicher Kirchen oder wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion spenden werden. Derzeit hat die Gruppe 437 Mitglieder (Stand Februar 2014).
Also ein sinnvoller Schritt, der konsequent ist und sich der kirchlichen weltweiten Realität anpasst.
Franziskus fängt ja damit nicht an, sondern die Internationalisierung des Kardinalskollegium hat schon unter Johannes XXIII. und Paul VI. begonnen. Neu ist es nicht, sondern es setzt sich fort. Insofern ist das auch kein sensationeller Schritt, sondern eher eine logische Konsequenz.
Gerhard Ludwig Müller gilt als konservativer Hardliner - und wird nun unter Franziskus Kardinal. Ein Signal des Papstes?
Das lässt sich von außen kaum einschätzen. Man kann als einen Versuch deuten, auch den konservativen Flügel in seine Vorstellungen einzubinden. Es kann natürlich aber auch ein Zeichen dafür sein, dass der konservative Flügel sehr stark ist und die Dinge weiter bestimmen will. Man wird sehen, welche Rolle die Glaubenskongregation in Zukunft überhaupt spielen soll. Es gibt Gerüchte, dass die Glaubenskongregation als solche künftig umgebaut werden soll. Möglicherweise hat sie in einiger Zeit gar nicht mehr die Bedeutung, die sie heute hat.
Auch Bischofssynoden sollen bei der Konferenz im Vatikan vorbereitet werden, die sich vor allem mit der Frage der Familienpastoral auseinandersetzen wollen. Dabei sollen auch die Ergebnisse der Umfragen unter den Gläubigen eine Rolle spielen. Wie sehr werden die Umfrage-Ergebnisse Gehör finden?
Dazu habe ich zwiespältige Gefühle. Ich habe mitverfolgt, wie der Papst jetzt den Päpstlichen Rat für die Laien neu zusammengesetzt hat - jenes Dauergremium, das letztlich großen Einfluss auf die Synode haben wird. Und da gibt es ein ganz großes Übergewicht konservativer Laien, also von Vertretern von Bewegungen und Gemeinschaften, die große Übereinstimmungen mit dem Vatikan haben. Das gibt sicher nicht wieder, was die Umfragen ergeben haben. Deren Ergebnisse aus aller Welt haben ja an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig gelassen. Es ist aber zu befürchten, dass das größere Gewicht auf dem Laienrat liegt, und dann würde das nichts Gutes bedeuten für den Verlauf der Synode.
Was wäre aus ihrer Sicht wünschenswert? Aus konservativen Kreisen kommt ja auch Kritik gegenüber der Umfrage.
Es geht bei der Umfrage nicht darum, als Kirche nachzugeben, wie manche das verteufeln. Die Umfrage berührt auch keine Dogmen. Es geht vielmehr um Wertpositionen in der Morallehre, die sich über die ganze Kirchengeschichte laufend geändert haben - und sich auch weiterhin ändern werden. Es geht darum, der Lebensrealität gerecht zu werden. An dieser Realität vorbei lässt sich Glaubenslehre nicht betreiben. Das ist aussichtslos.
Mehr Gewicht also auf Stimmen aus der Basis.
Man sollte darauf vertrauen, dass die getauften Gläubigen gerade auf diesem Gebiet mehr Lebenserfahrung haben als der Papst und alle Bischöfe und Priester zusammen. Das heißt: Die Einschätzung der Gläubigen soll nicht verdächtigt werden, dem Leichtsinn zu erliegen. Das sind Menschen, die ein Leben meistern, die Familien haben, Kinder großziehen, durch Erfahrungen im Leben gehen und sich bei alledem wirklich bemühen, den Idealen gerecht zu werden. Gerade in diesem Thema würde ich deshalb ein übergroßes Gewicht auf die Stimme der Laien legen. Das ist doch die Ur- und Kernkompetenz der Getauften! Hier sollten ausnahmsweise mal die Geweihten und Zölibatären mehr hören als reden. Ob das bei der Synode gelingt, weiß ich nicht. Aber es müsste gelingen, wenn die Umfrage wirklich etwas bringen soll. Denn hier kann etwas an der Basis der Kirche abgeholt werden, das für die ganze Kirche wichtig ist.
"Oben" soll auf "unten" hören?
Hören klingt zu überheblich - wie auch das Lehramt bislang daher kommt: Man lässt halt ein paar Fragen beantworten. Nein! Man wird sich öffnen und in einen richtigen Dialog eintreten müssen. Man wird die Würde und Lebenserfahrung der Gläubigen ernst nehmen und respektieren müssen. Dieses huldvolle, majestätische Hören von Monarchen auf Untertanen - das würde nicht genügen.
Nun ist Franziskus bald ein Jahr Papst, wird von vielen als Reformer gefeiert. Was ist von ihm zu halten?

Helmut Schüller ist Pfarrer in einer Gemeinde bei Wien und Obmann (Vorsitzender) der österreichischen Pfarrer-Initiative.
(Foto: privat)
Er hat große Signale gesetzt, die sich aber bislang noch nicht in Systemänderungen konkretisiert haben. Es gibt mehrere Möglichkeiten: Entweder er will das selbst gar nicht, oder er will es und er sieht keinen Weg der Umsetzung, oder er wird daran gehindert. Nach wie vor sind bis dato alle Deutungsmöglichkeiten offen, weil für alle etwas spricht. Auch nach mittlerweile einem Jahr sind die Dinge keineswegs so klar, wie sie zunächst schienen. Es ist durchaus denkbar, dass der Papst alleine bleibt mit seinen Vorstellungen, dass sich das Vatikansystem behauptet und die Spaltung daher zwischen der Kirche des Alltags an der Basis der Gesellschaften und der Weltkirchenleitung aufrecht bleibt. Das wäre die etwas pessimistisch klingende - aber nicht völlig auszuschließende - Variante.
Und die optimistische?
Die wäre, dass es doch eine erkleckliche Zeit dauert bis alles umgesetzt werden kann und dass man deswegen weiterhin Geduld haben muss. Die Dinge sind immer noch offen. Aber es mischt sich doch Skepsis hinein, ob der Stillstand auch daran liegen könnte, dass der Papst die Umsetzung alleine nicht schafft, und die Bischofskonferenzen und die Bischöfe ihn nach wie vor gegenüber dem System zu wenig unterstützen. Soweit ich die Bischöfe wahrnehme, warten sie ab, wie das ausgeht - um dann erst zu entscheiden. Und das wäre natürlich eine Katastrophe.
Welche Erwartungen haben Sie?
Wir erwarten vor allem auch konkrete Schritte für die Zukunft der Pfarrgemeinden, zum Beispiel auch die Öffnung des Priesteramtes für Verheiratete und Frauen. Die Laien müssen in der Zwischenzeit stark mit Kompetenzen ausgestattet werden, damit sie das Leben der Gemeinden aufrecht halten können. Das ist unser ganz dringender Wunsch, den wir an diesen Papst haben. Er spricht ja immer von der "Nähe zu den Menschen", und dass man "zu den Menschen gehen" soll. Die Kirche geht aber de facto immer weiter weg von den Menschen an der Basis. Das ist ein krasser Widerspruch, den man nur auflösen kann, wenn man den Gemeinden die Möglichkeiten gibt, weiterzuleben und zu den Menschen zu gehen.
Quelle: ntv.de, Mit Helmut Schüller sprach Fabian Maysenhölder