Panorama

Greenpeace gegen Nordsee-Gas "Die haben das nicht im Griff"

Die Folgen den Gasunfalls vor Schottland sind noch nicht absehbar.

Die Folgen den Gasunfalls vor Schottland sind noch nicht absehbar.

(Foto: AP)

Der Unfall auf der Erdgas-Plattform Elgin vor Schottland schreckt Umweltschützer auf. Für Greenpeace-Experte Christoph von Lieven ist der Unfall ein weiterer Beweis dafür, dass die Förderung in der Nordsee unverantwortlich und nicht zu kontrollieren ist. Deshalb fordert er im n-tv.de-Interview: "Schluss, aufhören, raus aus der Offshore-Förderung."

Christoph von Lieven ist Energieexperte bei Greenpeace.

Christoph von Lieven ist Energieexperte bei Greenpeace.

n-tv.de: Vor Schottland tritt Gas aus einem Leck an einer Plattform aus. Wo liegt das Problem?

Christoph von Lieven: Was dort austritt, ist sogenanntes saures Gas, hauptsächlich Methan. Es hat einen hohen Brennwert und ist damit sehr beliebt – ist aber auch besonders gefährlich: Es ist hochexplosiv und zudem 21 bis 23 Mal klimaschädlicher als CO2 …

… der Stoff, von dem wir sonst sprechen, wenn es um Klimaschäden geht. Gibt es auch eine direkte Auswirkung des Gases auf die Meeresumwelt?

In dem Gas sind Zusatzstoffe enthalten, die zwar natürlich sind, aber in dieser Konzentration im Meer eigentlich nicht vorkommen. Gemeint sind etwa Schwefelwasserstoffe, die hochgiftig sind und dafür sorgen können, dass es dort lokal begrenzte tote Zonen gibt.

Nach dem Unglück schwimmt zudem ein sogenanntes Gas-Kondensat auf dem Wasser. Was ist das?

Das Gas in der Nordsee ist unter hohem Druck in 6000 Metern Tiefe in einer Kaverne eingelagert, in der auch Öl enthalten ist. Dieses Gemisch tritt bei der Förderung nicht nur gasförmig, sondern auch flüssig aus.

Dann kann man also sagen, dass das eine Art Ölfilm ist, der auf der Oberfläche schwimmt?

Genau, das trifft es.

Und damit drohen auch dieselben Folgen, die bei einer Ölpest zu befürchten wären?

Für die Lebewesen in dieser Meeresregion ist das sehr schädlich. Einschränkend muss man sagen: für alles, was noch da war. Durch die Exploration ist die Umwelt dort natürlich schon vorgeschädigt.

Auch bei normalem Betrieb läuft bei Gasplattformen Öl ins Meer, das aus dem in der Lagerstätte enthaltenen Wasser stammt. Ist das nicht vermeidbar?

Doch, das ist vermeidbar. Aber damit ist ein hoher Aufwand verbunden und den scheuen die Konzerne. In den meisten Fällen machen die Behörden auch keine Auflagen, die das notwendig machen. Deswegen sagen sich die Verantwortlichen: "Die paar tausend Liter, die können wir einfach ins Meer laufen lassen, denn das verdünnt sich da ja." Dabei sind das durchaus relevante Mengen.

An der Plattform brennt oben noch eine Gasfackel. Wozu ist die eigentlich gedacht?

Sie dient dazu, den Druck abzubauen. Aus den Bohrrohren tritt ja ein flüssiger Stoff aus, der dann erst getrennt wird. Was dann an Gasdruck übrig ist, wird abgefackelt. Das ist Gas, das entweder nicht den Qualitätskriterien entspricht oder in dem Moment einfach zu viel ist, weil man es nicht mehr in die Pipelines pumpen kann.

Und nun könnte die Fackel die Gaswolke über der Anlage entzünden. Was droht bei einer Explosion?

Dann könnte zum einen die Elgin-Franklin-Plattform selbst, aber auch die angrenzenden Anlagen ins Meer stürzen. Damit könnten dann auch die Pipelines zerstört werden, die das Gas aus allen Plattformen der Gegend an die schottische Küste transportieren. Das wäre dann wirklich desaströs und noch schwieriger in den Griff zu bekommen.

Könnte das so schlimm ausgehen wie bei der "Deep Water Horizon"?

Total überfordert? Der Mineralölkonzern tut sich mit dem Krisenmanagement schwer.

Total überfordert? Der Mineralölkonzern tut sich mit dem Krisenmanagement schwer.

(Foto: REUTERS)

Die jetzige Situation ist nur bedingt mit der "Deep Water Horizon" zu vergleichen: Gas- und Ölunfälle sind sehr verschieden. Was das Erschreckende an der Geschichte ist und an die Katastrophe im Golf von Mexiko erinnert, ist, dass offensichtlich zwei Jahre später dieselben Fehler nochmal gemacht worden sind. Weder Total als Eigentümer noch die Aufsichtsbehörden haben dafür gesorgt, dass es Notfallpläne gibt. Stattdessen stellen sich jetzt alle hin und sagen: "Oh, damit haben wir ja gar nicht gerechnet. Jetzt wissen wir gar nicht, was wir tun sollen." Das ist absurd.

Dabei bewegen sich Bohrungen in der Nordsee noch in Tiefen, die geringer sind als im Golf von Mexiko. Die Wassertiefe bei der Plattform beträgt rund 93 Meter. Bei der "Deep Water Horizon" waren es 1800 bis 2000 Meter. Müsste das nicht leichter zu handhaben sein?

Ganz offenbar nicht. Vor zwei Jahren tönte die Ölindustrie noch: Beim Nordseeabbau wird uns das alles nicht passieren, weil die Tiefen nur zwischen 20 und 200 Meter liegen. Fakt ist aber doch, dass man hier sieht, dass sie selbst das nicht im Griff haben. Und deshalb sagen wir auch: Schluss, aufhören, raus aus der Offshore-Förderung.

Was weiß man denn über den Zustand der in der Nordsee betriebenen Anlagen?

Nur sehr wenig. Wir wissen, wann sie gebaut und in Betrieb genommen worden sind. Es sollte da Prüfungen geben, aber wir kennen die Prüfberichte noch nicht. Die haben wir jetzt angefordert. Aber dadurch, dass die Anlage von Total betrieben wird, ist es schwer, an Unterlagen heranzukommen.

Ist denn ein sicherer Betrieb einer solchen Anlage überhaupt möglich?

Unserer Ansicht nach nicht. Es gibt keine sichere Gas- und Ölförderung. Und schon gar nicht auf dem Meer.

Jetzt ist das Leck da und es muss geschlossen werden. Schaffen die das?

Da sind wir ehrlich gesagt ziemlich gespannt. Ich habe ein Radiointerview mit einem Total-Manager gehört, der sagte: "Eigentlich haben wir gar keine Chance. Wir warten jetzt einmal ab und hoffen, dass sich das von selbst schließt, wenn der Druck nachlässt. Ansonsten müssten wir dann halt mal anfangen, eine Entlastungsbohrung zu machen, um den Druck zu senken." Aber da sprechen wir dann über einen Zeitraum von vier bis acht Monaten. Bis dahin kann die Umwelt erheblichen Schaden nehmen.

Mit Christoph von Lieven sprach Johannes Graf

Quelle: ntv.de

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