Verstecktes Gepansche mit Dioxin Ermittler entdecken illegalen Betrieb
06.01.2011, 07:17 Uhr
Spedition, Lager - und illegale Mischanlage im niedersächsischen Bösel.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Enthüllungen im Dioxin-Skandal muten immer absurder an: Die belasteten Futtermittel wurden offenbar auch in einem nicht angemeldeten, illegalen Betrieb in Niedersachsen gepanscht. Der Bauernverband fordert Entschädigung, das betroffene Unternehmen steht vor dem Aus. Die Vorgänge hätten womöglich viel früher aufgedeckt werden können. Und Verbraucherministerin Aigner sagt: Wir brauchen keine härteren Strafen.
Bis zu 150.000 Tonnen Futter mit krebserregendem Dioxin haben in Deutschland Unmengen von Schweinefleisch und Geflügelprodukten verseucht. Über 1000 landwirtschaftliche Betriebe sind gesperrt. Die Suche nach den Verantwortlichen und die Diskussion über die Folgen läuft auf Hochtouren.
Gegen die Herstellerfirma Harles und Jentzsch sowie ein weiteres Unternehmen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Bei Razzien im Harles-und-Jentzsch-Firmensitz in Uetersen und einem Tochterunternehmen im niedersächsischen Bösel haben die Behörden bereits zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt. Dort entdeckten die Ermittler auch einen Mischbetrieb, der die dioxin-verseuchten Fette beigemischt und an weiterverarbeitende Betriebe geliefert haben soll - und zwar illegal und deshalb unkontrolliert, sagte der Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), Eberhard Haunhorst. In diesem Fall handele es sich eindeutig um ein kriminelles Vorgehen. Die sichergestellten Unterlagen weisen demnach auf eine "eher kriminelle Machenschaft" hin.
Das Unternehmen im schleswig-holsteinischen Uetersen will nun über eine drohende Insolvenz entscheiden. "Wir sind ziemlich deprimiert und können die Firma eigentlich dicht machen", sagte der Vertriebschef Klaus Voss dem "Westfalen-Blatt". Die Verunreinigung von Futterfett mit Dioxin sei ein Einzelfall gewesen und von der Firma selbst gemeldet worden.
Während die Ermittler die sichergestellten Unterlagen prüfen, bekräftigt der Deutsche Bauernverband (DBV) seine Forderung nach Entschädigungen. "Wer den Schaden verursacht hat, muss ihn auch bezahlen", sagte Generalsekretär Helmut Born dem Berliner "Tagesspiegel". "Wir werden gegenüber den Futtermittelbetrieben ganz sicher vorstellig werden", kündigte er an. Nach seiner Einschätzung kann die Sperrung eines Hofs dessen Besitzer "sehr schnell 10.000 oder 20.000 Euro Umsatz" kosten.
Lieferung trotz zu hoher Werte
Nach Erkenntnissen der EU-Kommission sind zusätzlich zu den bislang bekannten Chargen möglicherweise 136.000 dioxinverseuchte Eier aus Deutschland in der niederländischen Nahrungsmittelindustrie verarbeitet worden. Sie seien jedoch nicht in den Handel gelangt, sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli. Bisher sei nicht klar, in welchen Produkten die Eier verarbeitet wurden und ob sie tatsächlich mit Dioxin belastet waren. Die fragliche Charge Eier stammte von einer Firma aus Sachsen-Anhalt und wurde Anfang Dezember an ein Unternehmen im niederländischen Barneveld geliefert.
Wie aus einem Bericht des Bundeslandwirtschafts- ministeriums an den Agrarausschuss des Bundestags hervorgeht, wurde bereits am 25. November bei einer Untersuchung von Futterfett ein erhöhter Dioxingehalt von 3600 Pikogramm (ein Billionstel Gramm) pro Kilogramm Fett festgestellt. Trotz der erhöhten Werte wurden die Futterfette aber noch vier Wochen lang bis zum 23. Dezember 2010 ausgeliefert. Dadurch gelangten rund 3000 Tonnen Futterfette in das Tierfutter - zwischen 30.000 und 150.000 Tonnen Futter wurden damit hergestellt.
Die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Bärbel Höhn sagte, jetzt müsse geklärt werden, wer wann was gewusst hat. "Was ist da schiefgelaufen?", fragte Höhn. Man hätte die Futterfettauslieferung womöglich viel früher stoppen können.
Regelmäßige Skandale
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner bezweifelt, dass das Dioxin durch einen Fehler beigemischt wurde, wie das Unternehmen behauptet. Fehler bei den Behörden sieht die CSU-Politikerin nicht. "Auf alle Fälle haben alle Länder schnellstmöglich reagiert", sagte Aigner.

Die Firma Harles & Jentzsch nahm - angeblich aus Versehen - die billigeren technischen Fette für die Futtermittelproduktion.
(Foto: dapd)
Dagegen beklagte die Verbraucherorganisation Foodwatch, dass es immer wieder zu Dioxin-Skandalen in Deutschland kommt. "Der eigentliche Skandal ist, dass wir regelmäßig solche Dioxin-Skandale haben", sagte Foodwatch-Sprecherin Christiane Groß bei n-tv. "Ich erinnere nur daran, dass wir im Mai letzten Jahres erst das Thema hatten, dass Bio-Eier mit Dioxin belastet waren. Der eigentliche Skandal ist, dass nicht die wirksamen Maßnahmen ergriffen werden, um das zu verhindern." Häufig komme Dioxin über Fette und Öle in die Futtermittel. "Hier muss man ansetzen und die Regeln ändern, damit so was in Zukunft nicht mehr passiert."
Aigner lehnt Strafverschärfungen ab
Ministerin Aigner forderte die Länder erneut auf, dafür zu sorgen, dass verdächtiges Futtermittel und Lebensmittel sofort zurückgenommen werden. Ihren Angaben zufolge sind acht Bundesländer betroffen. Bei n-tv forderte sie, die Bearbeitung von Fetten für Futter und für industrielle Zwecke zu trennen. Härtere Strafen lehnte sie ab. Aigner geht davon aus, dass bewusst ungeeignete Fette zu Futtermitteln zusammengepanscht wurden. "Ich halte das nicht für glaubwürdig, was hier gesagt worden ist", sagte die Ministerin mit Blick auf Äußerungen des Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch, von dem die dioxinbelasteten Fette stammten. Dieser hatte den Behörden gegenüber angegeben, technische Fette seien durch ein Versehen zu den Fetten für Tierfutter gemischt worden.
Auch Niedersachsens Agrarministerium erhob neue Vorwürfe gegen Harles und Jentzsch. "Die Darstellung, da hat einer den falschen Hahn aufgedreht, erscheint uns sehr unglaubwürdig", sagte Sprecher Gert Hahne in Hannover.
Weiter unklar ist, woher das Dioxin in dem Zusatzfett stammt. Die Länder, die für Lebensmittelkontrollen zuständig sind, suchen fieberhaft nach verdächtigen Produkten auf Höfen und in Geschäften. Das ganze Ausmaß des Skandals ist weiter nicht abzusehen. Die Verbraucher reagieren mit Vorsicht und meiden im Supermarkt Eier und Geflügelprodukte. Der Einzelhandel sieht noch keinen Grund für eine groß angelegte Rückrufaktion. Mehr als 1000 landwirtschaftliche Betriebe sind inzwischen gesperrt.
240.000 Eier in Bayern sichergestellt
Bei rund 240.000 in Bayern sichergestellten Eiern hat sich der Verdacht auf Dioxin bestätigt. Wie das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen berichtete, liegt der bei Proben festgestellte Dioxingehalt teilweise dreimal so hoch wie der zulässige Grenzwert. Die Eier dürften daher nicht verkauft werden. Ein Oberpfälzer Großhändler hatte die Eier von einem Betrieb in Niedersachsen erhalten. Der Verbleib von weiteren 22.000 Eiern ist noch nicht geklärt.
Das Landwirtschaftsministerium von Schleswig-Holstein erließ ein sofortiges Schlachtverbot für Schweinemastbetriebe. 51 Agrarbetriebe und 8 landwirtschaftliche Genossenschaften im Norden hatten über einen Hamburger Händler dioxinbelastetes Futter bezogen. Ein Hamburger Hersteller belieferte fast 140 Kunden in Norddeutschland mit Futtermitteln, die Spuren von Dioxin enthalten haben. Im Einzelnen waren es sechs Abnehmer in Mecklenburg-Vorpommern, 74 in Niedersachsen und 59 in Schleswig-Holstein.
Bis zu 3000 Tonnen belastetes Fett wurden nach Ministeriumsangaben an insgesamt 25 Hersteller von Tierfutter geliefert. Das Fertigfutter ging an Legehennen- und Schweinemastbetriebe in Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Niedersachsen und NRW veröffentlichen Nummern
Verbraucherschützer raten indes vom Verzehr von Eiern und Geflügelfleisch ab. "Um sich keinem Risiko auszusetzen, sollte man auf den Konsum derzeit verzichten", sagte Bernhard Burdick, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale NRW. Eine Ausnahme seien nach derzeitigem Stand Bio-Produkte, die nicht betroffen seien. Bioeier sind an der Kennnummer 0 zu erkennen.
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wo die Zentren der deutschen Geflügelhaltung liegen, haben inzwischen die Stempelnummern möglicherweise belasteter Eier veröffentlicht. Wenngleich keine direkten gesundheitlichen Folgen drohten, sei von ihrem Verzehr abzuraten, erklärte das niedersächsische Agrarministerium.
Quelle: ntv.de, ghö/hvo/dpa/rts/AFP