Dioxin-Gepansche in illegalem Betrieb Experten: Skandal ist politisches Versagen
06.01.2011, 11:06 Uhr
(Foto: dapd)
Lebensmittelsicherheit ist eine Mogelpackung, sagt der zuständige Verband, und bemängelt bis zu 1500 fehlende Kontrolleure. Verantwortlich für den Dioxinskandal sei die Politik. Dazu passt, dass die belasteten Futtermittel auch in einem nicht angemeldeten, illegalen Betrieb in Niedersachsen gepanscht wurden. Der Bauernverband fordert Entschädigung, Ermittler prüfen sichergestellte Unterlagen.
Der Dioxin-Skandal um vergiftetes Futtermittel hat ein weiteres Bundesland erreicht. Neben acht anderen Bundesländern ist nun auch Hessen betroffen. 320 Ferkel, die mit belastetem Futtermittel gefüttert wurden, sollen an einen Mastbetrieb in Osthessen geliefert worden sein. Das teilte der Landkreis Hersfeld-Rotenburg mit. Derzeit seien Fachleute aus dem Fachdienst Veterinärwesen und Verbraucherschutz bei dem Betrieb.
Bis zu 150.000 Tonnen Futter mit krebserregendem Dioxin haben in Deutschland Unmengen von Schweinefleisch und Geflügelprodukten verseucht. Über 1000 landwirtschaftliche Betriebe sind gesperrt. Während die Suche nach den Verantwortlichen und die Diskussion über die Folgen auf Hochtouren läuft, klagt der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure über mangelndes Personal.
Nach Angaben des Verbandes kann die Lebensmittelindustrie gar nicht ordentlich überprüft werden, da in Deutschland bis zu 1500 staatliche Prüfer fehlten, um die Branche effektiv zu überwachen. Lebensmittelsicherheit - wie sie im jetzigen Dioxinskandal oft verlangt wird - sei in Deutschland deshalb eine Mogelpackung, sagte der Vorsitzende Martin Müller in der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Bisher seien bundesweit 2500 Kontrolleure für 1,1 Millionen Betriebe zuständig. In manchen Regionen stehe nur ein Mitarbeiter für 1200 Firmen zur Verfügung. Die Folge sei, dass etwa jedes zweite Unternehmen in Deutschland innerhalb eines Jahres überhaupt nicht kontrolliert werde, sagte Müller. Das politische Versprechen, die gesamte Lieferkette für Eier, Getreide, Milch und Fleisch staatlich zu kontrollieren, sei reine Utopie.
Müller kritisierte die Kommunen für deren Lebensmittelkontrolle nach Kassenlage. Auch die föderale Kleinstaaterei in Deutschland führe zu Sicherheitslücken. Einheitliche Mindeststandards für Kontrollen in allen Bundesländern seien in der Praxis ein frommer Wunsch. Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass die bestehenden Vorgaben des Bundes vor Ort auch umgesetzt würden.
Auch der Verbandschef der Ernährungsindustrie, Jürgen Abraham, sieht politisches Versagen als einen Grund des Dioxinskandals. "Die Behörden, allen voran die Ordnungsämter und Veterinärbehörden, haben ihre Aufsichtspflicht verletzt", sagte er. Schon bei den Fleischskandalen in den Vorjahren sei dies der Fall gewesen.
Ermittler entdecken illegalen Betrieb
Auf der Suche nach den Verantwortlichen des Dioxinskandals ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Herstellerfirma des Futters, Harles und Jentzsch, sowie ein weiteres Unternehmen. Bei Razzien im Harles-und-Jentzsch-Firmensitz in Uetersen und einem Tochterunternehmen im niedersächsischen Bösel beschlagnahmten die Behörden bereits zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt. Dort entdeckten die Ermittler auch einen Mischbetrieb, der die dioxin-verseuchten Fette beigemischt und an weiterverarbeitende Betriebe geliefert haben soll - und zwar illegal und deshalb unkontrolliert, sagte der Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), Eberhard Haunhorst. In diesem Fall handele es sich eindeutig um ein kriminelles Vorgehen. Die sichergestellten Unterlagen weisen demnach auf eine "eher kriminelle Machenschaft" hin.
Das Unternehmen im schleswig-holsteinischen Uetersen dementierte Berichte über eine drohende Insolvenz. "Es ist nicht so. Wir arbeiten weiter", sagte Geschäftsführer Siegfried Sievert. Futtermittel würden zur Zeit nicht verkauft, aber das Geschäft mit technischen Fettsäuren sichere die Existenz. Die Firma aus Uetersen hatte die Verunreinigung von Futtermitteln mit Dioxin bei einer Routineuntersuchung festgestellt und gemeldet.
Während die Ermittler die sichergestellten Unterlagen prüfen, bekräftigt der Deutsche Bauernverband (DBV) seine Forderung nach Entschädigungen. "Wer den Schaden verursacht hat, muss ihn auch bezahlen", sagte Generalsekretär Helmut Born dem Berliner "Tagesspiegel". "Wir werden gegenüber den Futtermittelbetrieben ganz sicher vorstellig werden", kündigte er an. Nach seiner Einschätzung kann die Sperrung eines Hofs dessen Besitzer "sehr schnell 10.000 oder 20.000 Euro Umsatz" kosten.
Lieferung trotz zu hoher Werte

Die Firma Harles & Jentzsch nahm - angeblich aus Versehen - die billigeren technischen Fette für die Futtermittelproduktion.
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Nach Erkenntnissen der EU-Kommission sind zusätzlich zu den bislang bekannten Chargen möglicherweise 136.000 dioxinverseuchte Eier aus Deutschland in der niederländischen Nahrungsmittelindustrie verarbeitet worden. Sie seien jedoch nicht in den Handel gelangt, sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli. Bisher sei nicht klar, in welchen Produkten die Eier verarbeitet wurden und ob sie tatsächlich mit Dioxin belastet waren. Die fragliche Charge Eier stammte von einer Firma aus Sachsen-Anhalt und wurde Anfang Dezember an ein Unternehmen im niederländischen Barneveld geliefert.
Wie aus einem Bericht des Bundeslandwirtschafts- ministeriums an den Agrarausschuss des Bundestags hervorgeht, wurde bereits am 25. November bei einer Untersuchung von Futterfett ein erhöhter Dioxingehalt von 3600 Pikogramm (ein Billionstel Gramm) pro Kilogramm Fett festgestellt. Trotz der erhöhten Werte wurden die Futterfette aber noch vier Wochen lang bis zum 23. Dezember 2010 ausgeliefert. Dadurch gelangten rund 3000 Tonnen Futterfette in das Tierfutter - zwischen 30.000 und 150.000 Tonnen Futter wurden damit hergestellt.
Die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Bärbel Höhn sagte, jetzt müsse geklärt werden, wer wann was gewusst hat. "Was ist da schiefgelaufen?", fragte Höhn. Man hätte die Futterfettauslieferung womöglich viel früher stoppen können.
Regelmäßige Skandale
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner bezweifelt, dass das Dioxin durch einen Fehler beigemischt wurde, wie das Unternehmen behauptet. Fehler bei den Behörden sieht die CSU-Politikerin nicht. "Auf alle Fälle haben alle Länder schnellstmöglich reagiert", sagte Aigner.
Dagegen beklagte die Verbraucherorganisation Foodwatch, dass es immer wieder zu Dioxin-Skandalen in Deutschland kommt. "Der eigentliche Skandal ist, dass wir regelmäßig solche Dioxin-Skandale haben", sagte Foodwatch-Sprecherin Christiane Groß bei n-tv. "Ich erinnere nur daran, dass wir im Mai letzten Jahres erst das Thema hatten, dass Bio-Eier mit Dioxin belastet waren. Der eigentliche Skandal ist, dass nicht die wirksamen Maßnahmen ergriffen werden, um das zu verhindern." Häufig komme Dioxin über Fette und Öle in die Futtermittel. "Hier muss man ansetzen und die Regeln ändern, damit so was in Zukunft nicht mehr passiert."
Aigner lehnt Strafverschärfungen ab
Ministerin Aigner forderte die Länder erneut auf, dafür zu sorgen, dass verdächtiges Futtermittel und Lebensmittel sofort zurückgenommen werden. Bei n-tv forderte sie, die Bearbeitung von Fetten für Futter und für industrielle Zwecke zu trennen. Härtere Strafen lehnte sie ab. Aigner geht davon aus, dass bewusst ungeeignete Fette zu Futtermitteln zusammengepanscht wurden. "Ich halte das nicht für glaubwürdig, was hier gesagt worden ist", sagte die Ministerin mit Blick auf Äußerungen des Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch, von dem die dioxinbelasteten Fette stammten. Dieser hatte den Behörden gegenüber angegeben, technische Fette seien durch ein Versehen zu den Fetten für Tierfutter gemischt worden.
Auch Niedersachsens Agrarministerium erhob neue Vorwürfe gegen Harles und Jentzsch. "Die Darstellung, da hat einer den falschen Hahn aufgedreht, erscheint uns sehr unglaubwürdig", sagte Sprecher Gert Hahne in Hannover.
Weiter unklar ist, woher das Dioxin in dem Zusatzfett stammt. Die Länder, die für Lebensmittelkontrollen zuständig sind, suchen fieberhaft nach verdächtigen Produkten auf Höfen und in Geschäften. Das ganze Ausmaß des Skandals ist weiter nicht abzusehen. Die Verbraucher reagieren mit Vorsicht und meiden im Supermarkt Eier und Geflügelprodukte. Der Einzelhandel sieht noch keinen Grund für eine groß angelegte Rückrufaktion. Mehr als 1000 landwirtschaftliche Betriebe sind inzwischen gesperrt.
Bis zu 3000 Tonnen belastetes Fett wurden nach Ministeriumsangaben an insgesamt 25 Hersteller von Tierfutter geliefert. Das Fertigfutter ging an Legehennen- und Schweinemastbetriebe in Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Niedersachsen und NRW veröffentlichen Nummern
Verbraucherschützer raten indes vom Verzehr von Eiern und Geflügelfleisch ab. "Um sich keinem Risiko auszusetzen, sollte man auf den Konsum derzeit verzichten", sagte Bernhard Burdick, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale NRW. Eine Ausnahme seien nach derzeitigem Stand Bio-Produkte, die nicht betroffen seien. Bioeier sind an der Kennnummer 0 zu erkennen.
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, wo die Zentren der deutschen Geflügelhaltung liegen, haben inzwischen die Stempelnummern möglicherweise belasteter Eier veröffentlicht. Wenngleich keine direkten gesundheitlichen Folgen drohten, sei von ihrem Verzehr abzuraten, erklärte das niedersächsische Agrarministerium.
Quelle: ntv.de, ghö/hvo/dpa/rts/AFP