Geisterschiffe im Mittelmeer "Ezadeen" erreicht den Hafen
03.01.2015, 00:04 Uhr
Die Schleuser vertrauen darauf, dass die Küstenwache das Schiff entdeckt: Die "Ezadeen" im Schlepp.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es ist der zweite führerlose Flüchtlingsfrachter binnen weniger Tage: Die italienische Küstenwache geleitet einen ehemaligen Viehtransporter mit mehr als 400 Menschen in Sicherheit. Das verantwortungslose Kalkül der Schleuser geht auf.
Nach Stunden der Unsicherheit auf hoher See haben Spezialisten der italienischen Küstenwache 450 Flüchtlinge vor der Küste Italiens in Sicherheit gebracht. Begleitet von Einheiten der Küstenwache erreichte der führerlose Frachter "Ezadeen" mit den Migranten an Bord am späten Abend den Hafen der kalabrischen Stadt Corigliano Calabro.
Da die Einfahrt des abgeschleppten Schiffes einige Zeit dauerte, konnten die Flüchtlinge nicht unmittelbar von Bord gehen. Sie waren am Vortag bei ihrer Flucht über das Mittelmeer von der Besatzung des Frachters im Stich gelassen worden. Die Küstenwache entdeckte das Schiff und leitete die Rettung ein. Die "Ezadeen" ist bereits der zweite führerlose Flüchtlingsfrachter binnen weniger Tage.
In beiden Fällen musste ein Havariekommando der italienischen Küstenwache an Bord gebracht werden, um ein ungesteuertes Auflaufen auf die Küste zu verhindern. Wie zuvor die "Blue Sky M" trieb die "Ezadeen" unkontrolliert in rauer See auf die italienischen Küstengewässer zu. Die Besatzungen hatten jeweils die Steuerung blockiert und das Schiff samt seiner menschlichen Fracht an Bord mit Kurs auf Italien seinem Schicksal überlassen.
An Bord des Frachters "Ezadeen" befinden sich nach Angaben der Behörden rund 450 Menschen. Erst kurz vor dem Jahreswechsel hatte die italienische Küstenwache in einer ähnlichen Situation ein Flüchtlingsdrama an Bord der "Blue Sky M" verhindert. Hier befanden sich fast 800 syrische Flüchtlinge in akuter Gefahr.
Neue Strategie der Schleuser
Experten der EU kritisierten das neue Vorgehen der Schleuserbanden als verantwortungslose "Geisterschiff"-Strategie. Die Fälle der führerlos im Meer entdeckten Flüchtlingsschiffe zeigten, "dass Schleuser neue Wege finden, in EU-Territorium zu gelangen", erklärte ein Sprecher der EU-Kommission. Der Kampf gegen Menschenschmuggel werde auch im neuen Jahr zu den Prioritäten der EU-Einwanderungspolitik gehören.
Die Rettungsaktion rund um die "Ezadeen" verlief offenbar ähnlich dramatisch wie im Fall der "Blue Sky M": Die italienischen Behörden waren am Donnerstagabend auf den Frachter "Ezadeen" aufmerksam geworden, als er sich rund 150 Kilometer vor der süditalienischen Küste befand. Laut Marinesprecher Filippo Marini reagierte niemand an Bord auf einen Funkspruch der Behörden. Einer Passagierin sei es schließlich gelungen, die Küstenwache per Funk darüber zu informieren, dass die Crew von Bord gegangen sei.
Auf hoher See im Stich gelassen
Dem Frachter war den Angaben zufolge mittlerweile der Treibstoff ausgegangen, er trieb manövrierunfähig auf die süditalienische Küste zu. Die Besatzung eines isländischen Patrouillenbootes, das in der Gegend für die EU-Grenzschutzagentur Frontex im Einsatz war, konnte wegen des schlechten Wetters nicht an Bord des Frachters gehen.
Die italienische Luftwaffe schickte schließlich einen Hubschrauber los. Am Freitagmorgen seilten sich sechs Männer der Küstenwache auf die "Ezadeen" ab und übernahmen die Kontrolle über das Schiff, das sich mittlerweile nur noch 37 Kilometer vor der Küste befand. An Bord waren Männer, Frauen und Kinder.
Der 50 Jahre alte Frachter, der unter der Flagge von Sierra Leone fuhr, ist normalerweise für Viehtransporte vorgesehen und war offiziell auf dem Weg ins südfranzösische Sète. Nach Angaben des Internetdienstes Marinetraffic.com kam das Schiff ursprünglich aus dem syrischen Tartus und legte zuletzt im nordzyprischen Famagusta ab.
Bis zu 2000 Dollar für die Überfahrt
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kassieren Schleuser von den Flüchtlingen pro Kopf zwischen 1000 und 2000 Dollar (830 bis 1650 Euro) für die Überfahrt. Menschenschmuggler setzten in jüngster Zeit verstärkt auf große Frachtschiffe statt kleiner Boote, um Migranten heimlich nach Europa zu bringen, sagte ein IOM-Sprecher. Auf diese Weise könnten sie ihre Gewinne maximieren. Zudem sind die Bedingungen im Mittelmeer in den Wintermonaten zu rau, um Schlauchbooten oder Kuttern die Überfahrt zu wagen.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR drängte die Regierungen der EU zu einer gemeinsamen Anstrengung, "um Menschen im Meer zu retten und legale Alternativen zu gefährlichen Reise über das Mittelmeer zu bieten". Die EU-Innenpolitikerin Monika Hohlmeier forderte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos auf, "schnellstmöglich eine Sicherheitsstrategie zur Bekämpfung des internationalen Menschenhandels" zu präsentieren. In den vergangenen 14 Monaten sind mehr als 170.000 illegale Einwanderer an den italienischen Küsten gelandet, die meisten kamen aus Syrien und Eritrea. Mindestens 3400 Flüchtlinge ertranken nach UN-Angaben 2014 im Mittelmeer. Experten gehen von einer sehr viel höheren Dunkelziffer aus.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa