Panorama

Verhängnisvolle Partnerschaft Höxter-Paar: Täter oder Opfer oder beides?

Was sich hinter diesen Mauern abspielte, wird derzeit ermittelt.

Was sich hinter diesen Mauern abspielte, wird derzeit ermittelt.

(Foto: dpa)

Wilfried und Angelika W. stehen künftig in einer Reihe mit anderen mordenden Paaren. Und wie bei Fred und Rosemary West oder Paul Bernardo und Karla Homolka ist es auch hier nicht so einfach mit der klaren Definition, wer Täter und wer Opfer war.

Wer war die treibende Kraft bei den schweren Misshandlungen auf einem Hof in Höxter-Bosseborn, die nach bisherigem Erkenntnisstand zwei Frauen das Leben kostete? War Wilfried W. der Haupttäter oder doch seine Ex-Frau Angelika? Oder lässt sich das möglicherweise gar nicht so leicht beantworten?

Wilfried W. sagt laut seinem Anwalt, Angelika W. sei die treibende Kraft gewesen. Manchmal habe ihn ihre Brutalität erschreckt. Doch er war es, der die Partneranzeigen schaltete, mit denen die Opfer auf den Hof gelockt wurden. Angelika W. wiederum sagte der Polizei zufolge aus, sie habe die Frauen gequält, weil sie geglaubt habe, Wilfried W. erwarte dies von ihr.

Für Psychologin Lydia Benecke wird an diesen sich scheinbar widersprechenden Aussagen vor allem eines deutlich: "Bei Paaren, die über einen längeren Zeitraum zusammen Straftaten begehen, ist es meist so, dass die Dynamik zwischen den beiden große Auswirkungen hat." Dadurch entwickeln sich beide weiter und fast immer weisen sich hinterher beide Täter gegenseitig die Hauptschuld zu, sagt sie n-tv.de.

Fatale Ergänzung

Gegen Wilfried W. spreche, dass er bereits, bevor er Angelika W. kannte, mit einer Partnerin zusammen eine andere Frau gequält hat. Er war 1995 zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden, weil er seine damalige Ehefrau massiv misshandelt hatte – zusammen mit seiner Geliebten. Für Benecke ist trotzdem die Frage: "Was hat sich verändert, nachdem Wilfried und Angelika W. ab 1999 als Paar agierten?" Diese Frage spiele sicher auch bei den Ermittlungen eine entscheidende Rolle.

In den Fällen, die Benecke bei ihrer Arbeit erforscht hat, entwickelten die Täterinnen, die zusammen mit ihren männlichen Mittätern Frauen gequält und misshandelt haben, ab einem gewissen Moment eine Eigeninitiative. Sie könne sich ein Muster vorstellen, bei dem er "den Anfang gemacht" und sie sich hineinziehen lassen habe. Dabei sei nicht ausgeschlossen, dass Angelika W. auch eines der Opfer von Wilfried W. wurde. Ihr Anwalt Peter Wüller hatte berichtet, dass bei ärztlichen Untersuchungen bei seiner Mandantin "sehr, sehr viele alte Verletzungen" festgestellt worden seien. Wüller sprach von Narben, Hämatomen, Verbrennungen, "die linke Schulter und der linke Arm sind rohes Fleisch".

Eine Frau, die misshandelt wird, zwingt wiederum andere Frauen, erst mit einer Zahnbürste eine Toilette und anschließend die eigenen Zähne zu putzen? Offenbar ist das so, und das ist längst nicht alles. Angelika W. hat in der Untersuchungshaft eine Liste erstellt, in der sie die verschiedenen Misshandlungen aufzählt, darunter schlagen, treten, fesseln, würgen, "heißes Bügeleisen, Kopf in kaltes Wasser tauchen, Gegenstände in die Vagina einführen, Kälte und Essensentzug". Die 47-Jährige hat einem "Spiegel"-Bericht zufolge drei DIN-A4-Blätter vollgeschrieben und dabei auch angegeben, wer die jeweiligen Handlungen ausführte: W. für Wilfried W.  oder "ich". Die meisten Misshandlungen nahm demnach sie selbst vor. Dazu habe sie in der Vernehmung ausgesagt, dass sie von ihrem Ex-Mann nicht gezwungen und auch nicht angewiesen worden sei.

Ineinandergreifende Muster

Bei Fred und Rosemary West, die gemeinschaftlich in Großbritannien in den 1970er Jahren zehn Frauen getötet haben, wurde später bekannt, dass Rosemary eine ihrer Stieftöchter umgebracht hat, während Fred West im Gefängnis saß. Aber auch Fred West hatte schon Tötungsdelikte begangen, bevor er Rosemary kannte. Der Fall von Paul Bernardo und Karla Homolka, die gemeinsam in den 1990er Jahren in Kanada drei Frauen töteten, flog auf, weil Homolka schwerverletzt im Krankenhaus behandelt werden musste. Bernardo hatte sie in einem Wutanfall verprügelt. Als man später Videoaufnahmen von den gemeinsamen Taten fand, wurde deutlich, dass Homolka jedoch keineswegs passiv war, sondern dass die Initiative bei den gemeinsamen Übergriffen auch von ihr ausging.

Für Benecke liegt die Erklärung dafür in der Paarbeziehung der Täter. "Bei Pärchen, die über einen längeren Zeitraum zusammen Taten begehen, sind in der Regel die Persönlichkeiten von beiden auffällig. Persönlichkeitsauffällige Menschen haben immer einen anderen Typ persönlichkeitsauffälliger Mensch, mit dem sie perfekt harmonieren und den sie quasi intuitiv finden." Ob das auch in Höxter der Fall sei, müssten sicher Gutachter klären. Sie könne sich aber vorstellen, dass sowohl Wilfried, als auch Angelika W. die Neigung zu emotionaler Entgleisung und zu Aggression haben.

Nur mit dem einfachen Täter-Opfer-Schema komme man in diesem Fall nicht weiter. "Menschen sind nicht nur Täter oder Opfer, sondern manchmal sind sie beides  gleichzeitig. Manche sind Opfer und genießen es trotzdem, diese Rolle auch wieder umzukehren und auch mal Täter zu werden, indem sie ihren Frust und ihre Aggressionen ausleben." Vielleicht war es diese Dynamik, der in Höxter schließlich zwei Frauen zum Opfer fielen.

Quelle: ntv.de

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