Panorama

Im Namen des Volkes Kachelmann-Prozess kennt nur Verlierer

Kachelmanns ehemalige Freundin. 11 Jahre lang führten die beiden eine Beziehung.

Kachelmanns ehemalige Freundin. 11 Jahre lang führten die beiden eine Beziehung.

(Foto: REUTERS)

Der "Prozess des Jahres" ist vorbei. Jörg Kachelmann ist frei. Das Publikum im Gerichtssaal applaudiert. Dennoch stehen am Ende des Mammutprozesses nur Verlierer.

Zunächst natürlich Kachelmann selbst. "Es bleibt immer etwas hängen", lautet die entsprechende Binsenweisheit. Denn der Freispruch zweiter Klasse bedeutet, dass es für die erste Klasse wohl nicht gereicht hat. Notwendig dafür wären Beweise für Kachelmanns Unschuld gewesen. Diese gibt es aber nicht. Und wenn es heißt "aus Mangel an Beweisen", dann suggeriert das auch, dass man nur noch mehr hätte finden müssen, um den 52-Jährigen zu überführen.

3300 Euro Entschädigung bekommt Kachelmann für seine Tage in Untersuchungshaft. Die Kosten für den Prozess trägt der Steuerzahler.

3300 Euro Entschädigung bekommt Kachelmann für seine Tage in Untersuchungshaft. Die Kosten für den Prozess trägt der Steuerzahler.

(Foto: APN)

Möglicherweise gab es aber gar keine Beweise für den schweren Vorwurf der Vergewaltigung. Möglicherweise hat sich seine Ex-Geliebte die Geschichte aus Rache ausgedacht. Aber auch dafür gibt es keine Beweise. Es bleibt die banale Erkenntnis, dass nur Kachelmann und seine damalige Freundin wissen, was sich wirklich in der Februar-Nacht 2010 abgespielt hat. Und die Gewissheit, dass einer von beiden lügt.

Womit wir beim zweiten Verlierer des neun Monate währenden Prozesses wären: das mögliche Opfer. Ist die Frau tatsächlich vergewaltigt worden, ist ihr keine Gerechtigkeit widerfahren. Auf jeden Fall steht sie nun aber im Verdacht, sie habe Kachelmann durch falsche Anschuldigungen hinter Gitter bringen wollen. Und zu haben – immerhin saß Kachelmann 132 Tage in Untersuchungshaft.

Nachher ist man immer schlauer, aber es war mit Sicherheit keine gute Idee von Kachelmanns Ex-Geliebter, Polizei und Staatsanwaltschaft gleich zu Beginn des Falles über die Herkunft eines Briefes zu belügen. Selbst Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge musste einräumen: "Die Staatsanwaltschaft ist nicht so blöd, nicht zu erkennen, dass die Zeugin in vielen Punkten gelogen hat." Und wer einmal lügt …

Alice Schwarzer musste sich für ihre Berichterstattung im Auftrag der "Bild"-Zeitung viel Kritik gefallen lassen. Sie glaubt an die Version der Ex-Geliebten.

Alice Schwarzer musste sich für ihre Berichterstattung im Auftrag der "Bild"-Zeitung viel Kritik gefallen lassen. Sie glaubt an die Version der Ex-Geliebten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein letzter Verlierer des Prozesses – und dies ist vermutlich am gravierendsten – sind die Opfer von sexueller Gewalt. Ganz unabhängig davon, ob Kachelmann schuldig oder unschuldig ist, seine Geliebte gelogen hat oder nicht. Denn dieser gigantische Mammutprozess mit medialer Aufrüstung in ungeahntem Maße, sich in Szene setzenden Anwälten, einer die Presse suchenden Staatsanwaltschaft und sagenhaften 43 Verhandlungstagen ist sicher keine Ermunterung für Vergewaltigungsopfer, sich der Polizei anzuvertrauen. Vergewaltigungsverfahren sind meist Indizienprozesse. Immer steht Aussage gegen Aussage. Dennoch dürfte der Kachelmann-Prozess all jene bestärken, die glauben, am Ende werde das Opfer doch zum Täter und es habe keinen Sinn, sich in das Licht der Öffentlichkeit zu wagen und sich den intimen Befragungen in einem Gerichtsverfahren zu unterziehen.

Dabei gibt es für die Wahrheitsfindung keine bessere Alternative. Auch wenn wir im Fall Kachelmann nur festhalten können: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."

Quelle: ntv.de

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