"Tätertherapie ist Opferschutz" Kiel will Pädophilen helfen
15.04.2009, 09:46 UhrEin Mann sitzt in der U-Bahn, als eine attraktive blonde Mutter mit ihrem kleinen Sohn einsteigt. Der Puls des sympathisch wirkenden Mittdreißigers geht schneller, das Herz fängt laut an zu pochen. Aber es ist nicht etwa die Frau, die den Fahrgast erregt. "Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?", fragt eine Stimme. "Es gibt Hilfe!". Mit diesem Werbespot versucht nun auch die Kieler Uni-Klinik Männer mit pädophilen Neigungen auf ihr neues Präventionsprogramm aufmerksam zu machen. "Tätertherapie ist Opferschutz", erklärt Sexualmediziner Professor Hartmut Bosinski, der die anonyme und kostenlose Initiative leitet. "Wir wollen die Männer erreichen, bevor sie sich an Kindern vergehen."
Bereits vor vier Jahren hat die Berliner Charit, als erste Klinik weltweit, ein solches Projekt ins Leben gerufen. Mehr als 800 Männer aus ganz Deutschland suchten seitdem in der Hauptstadt Hilfe, nun geht in Kiel der erste regionale Ableger an den Start. Aktuelle Zahlen zeigen, dass dafür Bedarf besteht. Nach Schätzungen der Berliner Experten leben in Deutschland bis zu 220.000 Menschen mit pädophilen Neigungen verschiedenen Ausmaßes.
Nicht heilen, sondern lernen
"Pädophile gibt es in allen sozialen Schichten. Das reicht vom Hilfsarbeiter bis zum Politiker", erklärt Bosinski. In der Therapie, die als Einzel- oder Gruppenbehandlung läuft, soll vermittelt werden: "Du bist nicht schuld an Deiner Neigung, aber Du bist verantwortlich, was daraus wird." Heilbar sei die sexuelle Störung, die sich meist schon zur Pubertät bemerkbar mache, nicht. "Ihre Neigung werden sie nicht los, sie können aber lernen, damit umzugehen, damit daraus keine Taten werden." Bosinski betont, dass zu den Taten auch die Nutzung von Kinderpornografie gehöre. "Hinter jedem Kinderporno steckt ein Missbrauch."
Unterschieden wird zwischen "exklusiven" Pädophilen, also Männer, die ausschließlich Kinder begehren und solchen, die sich darüber hinaus auch von altersadäquaten Menschen angezogen fühlen. Bei diesen Patienten werde versucht, den anderen Anteil zu stärken. "Exklusive" Pädophile müssten sich dagegen mit einem asexuellen Leben abfinden. Mit Unterstützung von Medikamenten könne ihr Sexualtrieb aber eingedämmt werden, erklärt der Mediziner.
An den Täter herankommen
Auf den regionalen Vorreiter im Norden, der von der schleswig-holsteinischen Regierung mit 80.000 Euro im Jahr gefördert wird, müssen nach Meinung der Experten zügig ähnliche Initiativen in anderen Bundesländern folgen. "Das Projekt ist eine wirklich gute Chance, um an Täter heranzukommen, die sich sonst im Dunkelfeld bewegen", sagt die Vorsitzende der deutschlandweit aktiven Kinderschutzstiftung Hänsel und Gretel, Barbara Schäfer-Wiegand. Die ehemalige baden-württembergische Sozialministerin setzt sich derzeit für eine Umsetzung des Projekts im Südwesten ein. Ähnliche Pläne laufen in Niedersachsen, Sachsen und Bayern.
Im Gegensatz zur Bundeshauptstadt ist die Kieler Initiative bislang schleppend angelaufen. Rund einen Monat nach Projektstart haben sich erst sieben Männer gemeldet. Mit drei von ihnen wurden Gesprächstermine vereinbart. "Leider wissen einfach noch zu wenige Menschen, dass es uns gibt", sagt Bosinski. Dabei sei die Hilfe auch im Norden dringend nötig. "Jeder therapierte Mann ist ein Beitrag zum Schutz der Kinder."
Jenny Tobien, dpa
Quelle: ntv.de