Smog in Peking Leben ohne Luft und Sonne
31.01.2013, 11:54 Uhr
Wer Angst um seine Gesundheit hat, trägt eine Atemschutzmaske. Aber was macht man mit den Kindern?
(Foto: dpa)
Die Luftverschmutzung in Peking erreicht neue Dimensionen. Mittlerweile ist eine Fläche betroffen, die vier Mal größer als Deutschland ist. In Zeiten des Smog ist das Leben in Peking nicht nur dreckig, sondern auch deprimierend. Unser Korrespondent hat sich entschieden - und ist aus Peking weggezogen.
Mit der Luftverschmutzung in Peking ist es wie mit dem Rauchen. Man fällt nicht auf der Stelle tot um, wenn man ein paar Tage tief einatmet. Man weiß nur, dass man seinem Körper etwas ganz und gar Ungutes antut. Aber das Rauchen aufgeben, das machen die meisten dennoch nicht. Zieht man also wegen des Smogs aus Peking weg? Es wird zwar viel darüber gesprochen, wie schlecht die Luft geworden ist in den vergangenen Jahren. Aber die wenigsten ziehen deshalb aus Peking weg. Nase zu und durch.
Die Bewohner der chinesischen Hauptstadt, die sich im Januar mit einer neuen Dimension der Luftverschmutzung vertraut machen mussten, kann man in drei Kategorien teilen: die ahnungslos Unbesorgten, die wissenden Besorgten und die wissenden Unbesorgten. Zur ersten Kategorie zählen vor allem Chinesen, die sich nicht mit ausländischen Medien befassen. Sie sind sich darüber im Klaren, dass ihre Stadt kein Luftkurort ist. Aber so schlimm wird es schon nicht sein, glauben sie bestens fehlinformiert. Jahrelang wurde ihnen von der Regierung der Smog über ihren Köpfen als dichter Nebel verkauft. Entsprechend arglos stehen vor allem Ältere morgens in den Parks und machen gemeinschaftlich Gymnastik. Das sei gut für die Gesundheit, glauben sie.
Dreckig und deprimierend
Erst langsam rückt die Regierung mit der Wahrheit heraus und hat begonnen, die Einwohner zu warnen. Viermal rief sie im Januar Smogalarm aus, wenn auch nicht die höchste Stufe. Dabei stellt man sich die Frage, wie schlimm es eigentlich noch werden soll. Der höchste Wert lag bei schier abstrusen 993 Mikrogramm Feinstaub mit Partikeln von bis zu 2,5 Mikrometer im Durchmesser - auf einem einzigen Kubikmeter Luft wohlgemerkt. Auf kurze Distanz kann man das zwar nicht sehen, aber schmecken und riechen. Ab 100 Meter Entfernung versinken die Gebäude hinter in einem Schleier. Von der Sonne ganz zu schweigen. Man kann ohne Sonnenbrille hineinschauen. Das ist nicht nur dreckig, sondern auch deprimierend. Das Gemüt leidet so wie die Lunge.
Das Problem ist vielseitig. Chinas Wirtschaft wächst rasend schnell und produziert große Teil der dafür nötigen Energie aus Kohle. Viele der Partikel werden aus den angrenzenden Provinzen in Richtung Hauptstadt geweht. Peking ist zudem mit fünf Millionen Autos verstopft, die ihre Abgase in die Luft blasen. Die Geografie und das Klima tun ihr Übriges. Die Kessellage macht Winde rar, das Wüstenklima Niederschläge selten.
Nach den Standards der Weltgesundheitsorganisation sind 25 Mikrogramm pro Kubikmeter unbedenklich. Alles darüber kann bereits Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Gerade für Risikogruppen wie Kinder, Alte oder Atemwegserkrankte. Peking hat den Grenzwert also 40-fach überschritten. Das war der Grund für das riesige Medienecho Anfang Januar. Sogar in China selbst, was die Regierung letztlich zum Bekenntnis des Problems zwang. Aber der Smog war vorher schon da. Allerdings ist die Tendenz eindeutig. Vor ein paar Jahren galten Luftwerte von 180 bis 200 Mikrometer als dramatisch. Die Grenze hat sich lange schon verschoben. Im Januar waren Werte zwischen 300 und 500 normal.
Nach sechs Monaten sind die Filter schwarz
Wenn man zur zweiten Kategorie der Pekinger Bevölkerung zählt, bedeuten diese Zahlen einen massiven Verlust an Lebensqualität. Diese Kategorie besteht überwiegend aus Ausländern, ist informiert über das Ausmaß und verfolgt akribisch die stündlichen Messungen der Feinstaubbelastung durch die amerikanische Botschaft. Schon vor dem Frühstück geht der Blick auf das Smartphone. Und dann weiß man: Sport, Spielplatz und Spaziergang fallen aus. Stattdessen reduziert man die Zeit im Freien auf ein Minimum und dreht zuhause die Luftreiniger auf volle Kraft. Die versprechen je nach Leistung sauberes Atmen in den eigenen vier Wänden. Die Verkäufe der Geräte sind im vergangenen Monat rapide angestiegen. Alle sechs Monate müssen die Filter gewechselt werden. Dann sind sie pechschwarz.
Wer trotzdem raus muss, sollte eigentlich eine Atemmaske tragen. Wirksame gibt es für knapp 50 Euro. Die Filter kosten nochmal 30 Euro und müssen je nach Einsatzzeit alle zwei bis drei Wochen getauscht werden. Doch wie sieht das aus, wenn man eine Maske trägt, während die zweijährige Tochter ohne auskommen muss auf dem Weg zum Kindergarten? Zweijährigen eine Maske aufzusetzen für länger als drei Atemzüge, ist unmöglich. Also geht man selbst auch ohne Maske, und hat ein fürchterlich schlechtes Gewissen, seinem Kind so etwas anzutun. Die Zigarette würde man einer Zweijährigen schließlich auch untersagen. Manche Eltern haben begonnen, ihren Babys Atemschutz anzulegen. Die Kinder sind so jung, dass sie sich dagegen noch nicht wehren, aber schon einmal an das Tragen einer Maske gewöhnen. Manche versuchen es mit Mundschutz wie sie Krankenschwestern tragen. Netter Versuch, völlig wirkungslos.
Diejenigen Bewohner, die zur Kategorie wissend, aber unbesorgt zählen, verziehen nur ungläubig die Mundwinkel, wenn sie solche Kinder sehen. Ihnen ist das Gerede um die schlechte Luft einfach viel zu anstrengend oder ein aufgebauschtes Medienereignis. Schaut doch mal nach Indien oder in die Mongolei, wie schlimm es dort ist, argumentieren sie. Manche erkennen in der Berichterstattung pures China-Bashing, also das Herumhacken auf China. Andere haben einfach keine Lust, ihre Freizeitgestaltung nach den Messwerten zu richten. Je mehr Kinder im Haus, desto schwieriger fällt es den Leuten, diese Position zu halten. Die Verantwortung für die eigene Gesundheit ist jedem selbst überlassen. Aber die Kinder?
Uns wurde die Verantwortung zu groß. In dieser Woche haben wir unseren Lebensmittelpunkt von Peking nach Shanghai verlegt. Keine Kurzschlusshandlung, sondern ein monatelanger Reifeprozess. Hier pustet die Meeresluft oft den Dreck weg, oder der Regen wäscht die Luft. Shanghai ist kein Paradies, was die Luftverschmutzung angeht. Aber alles ist besser als Peking.
Quelle: ntv.de