Panorama

Zehn Jahre Germanwings-Absturz Maria Radners Vater träumt nicht mehr von seiner toten Tochter

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In Le Vernet erinnert ein Stein an Maria Radner, ihren Mann Sascha und den kleinen Felix.

In Le Vernet erinnert ein Stein an Maria Radner, ihren Mann Sascha und den kleinen Felix.

(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)

Vor zehn Jahren stirbt Maria Radner zusammen mit ihrem Mann und dem kleinen Sohn beim Germanwings-Absturz. Ihr Vater sucht bis heute nach Antworten und nach Menschen, die Verantwortung für die Tragödie übernehmen.

Maria Radner ist am 24. März 2015 auf dem Rückweg von einer Aufführung von Wagners "Siegfried" in Barcelona. Die 33-Jährige hat am Gran Teatre del Liceu die Rolle der Erda gesungen, mit ihr im Flugzeug sitzen auch Oleg Bryjak, der den Alberich sang, Radners Mann Sascha und der gemeinsame Sohn. Felix ist gerade 18 Monate alt.

Klaus Radner in einem der Gerichtssäle, in dem er seit der Katastrophe darum kämpft, dass jemand die Verantwortung übernimmt.

Klaus Radner in einem der Gerichtssäle, in dem er seit der Katastrophe darum kämpft, dass jemand die Verantwortung übernimmt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ebenso wie die anderen 149 Passagiere des Germanwings-Fluges von Barcelona nach Düsseldorf wird niemand von ihnen das Ziel erreichen. Radner, ihre Familie und ihr Kollege sterben an jenem Tag in den französischen Alpen, als der Co-Pilot das Flugzeug gegen die schroffen Felswände steuert.

Zehn Jahre später denkt ihr Vater Klaus Radner noch immer mehrmals am Tag an seine Tochter, deren Mann und den Enkel. "Ich habe gelernt, damit zu leben", sagt Radner dem "Stern". Verkraftet habe er ihren Tod nur insofern, "dass ich noch am Leben bin". (Das vollständige Interview finden sie hier).

So viel Wut und Zorn

Maria Radners musikalisches Talent war schon als Kind unübersehbar, ihre gar nicht so musikalischen Eltern förderten die Tochter. Ihre Karriere hatte die gebürtige Düsseldorferin nach dem Studium an der Musikhochschule ihrer Heimatstadt schnell in die großen Opernhäuser dieser Welt geführt. Noch während ihres Studiums debütierte sie unter dem weltberühmten Dirigenten Zubin Mehta mit einer Arie der Reina Sofia in Martin y Solers Oratorium "Philitaei a Jonatha disperse".

Nach ihrem Tod hatte ihr Vater immer wieder Selbstmordgedanken, machte schließlich eine Therapie, um den Schmerz auszuhalten. "Das Problem war, dass ich keine Menschen mehr ertragen konnte", erzählte er dem "Stern". "Ich hatte so eine Wut, so einen Zorn in mir." Der Psychologe habe ihm geholfen, "meine Gefühle wieder ins Lot zu bringen. Er sagte zu mir: Sie machen sich Ihr Leben kaputt, wenn Sie jeden Morgen mit Wut und Zorn aufwachen."

Maria Radner (hier 2010 während einer Probe) sollte im Katastrophenjahr in Bayreuth singen.

Maria Radner (hier 2010 während einer Probe) sollte im Katastrophenjahr in Bayreuth singen.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Heil ist das Leben von Klaus Radner und seiner Frau trotzdem nicht wieder geworden, aber er träumt nicht mehr von den Toten. In seinem Garten hat er eine Gedenkstätte für die Tochter, den Schwiegersohn und den Enkel errichtet. Jeden Samstag geht er gemeinsam mit seiner Frau auf den Friedhof. "Das gibt uns viel."

2010 hatte Maria Radner einen viel beachteten Liederabend in London gegeben. Sie sang unter anderem begleitet vom Pianisten Simon Lepper das Richard-Strauss-Lied "Und morgen wird die Sonne wieder scheinen". Nach dem Absturz schauten sich Tausende Menschen die Aufnahme auf Youtube an. Im Sommer 2015 hätte die begnadete Altistin in "Rheingold" und "Götterdämmerung" ihr Bayreuth-Debüt geben sollen.

Geld bringt die Toten nicht zurück

Mit den anderen Angehörigen all jener Menschen, die bei der Germanwings-Katastrophe ums Leben kamen, teilt Klaus Radner die Verzweiflung, die sich auch nach zehn Jahren kaum abschütteln lässt. 50.000 Euro haben die Radners jeweils als Entschädigungszahlung für die Tochter und den Enkel, die sie verloren haben, bekommen. Die Kosten für eigene Recherchen und Anwälte übersteigen diese Summe erheblich, erzählte Radner dem "Stern". Maria Radners Agentur habe auf der Zahlung von Provisionen für künftige Engagements bestanden, die sie ihr vermittelt hatte. Engagements, die nie stattfanden. Auch das Haus von Tochter und Schwiegersohn musste verkauft werden. "Die Bank verlangte Vorfälligkeitsentschädigung. Das mussten wir alles bezahlen, weil die Lufthansa darin keinen direkten Schaden des Absturzes sah." Er habe das alles "nie gegengerechnet, es war mir egal".

Bis heute treibt ihn jedoch um, dass niemand die Verantwortung dafür übernommen hat, dass der Co-Pilot Andreas Lubitz überhaupt an diesem Tag fliegen durfte. Für ihn ist Lubitz "ein geisteskranker Massenmörder", den jemand hätte stoppen müssen. Die eigenen Eltern, die Lufthansa, die behandelnden Ärzte, irgendjemand, der gesehen habe, wie es Lubitz ging. "Niemand will für die Katastrophe verantwortlich sein. Hinter Unternehmen oder Organisationen stehen aber Menschen, die Verantwortung tragen. Ich will, dass jemand Verantwortung übernimmt. Und zwar persönlich."

Dass das noch geschieht, ist nicht sehr wahrscheinlich. Ein französisches Gericht entschied im März 2022, dass der Straftatbestand der fahrlässigen Tötung nicht erfüllt war, da niemand hätte vorhersehen können, dass der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich abstürzen lassen würde. 2017 waren bereits die deutschen Ermittlungen eingestellt worden. Schmerzensgeld-Klagen gegen die Lufthansa wurden abgewiesen, weil das Luftfahrt-Bundesamt für die medizinischen Untersuchungen der Piloten verantwortlich ist. Von dem Verfahren, das gegen das Luftfahrt-Bundesamt noch in Braunschweig anhängig ist, verspricht sich Radner nichts mehr. "Man hat uns zu verstehen gegeben, dass das Gericht eigentlich keine Zeit hat und wir uns mit dem Gegner einigen sollen."

Am Jahrestag des Absturzes werden Klaus Radner und seine Frau die Einladung der Lufthansa annehmen und nach Le Vernet reisen. Jedes Jahr kämen zwischen 130 und 170 Angehörige dorthin, sagt er. Dort fühlt er sich seiner Tochter Maria, dem Schwiegersohn Sascha und dem kleinen Enkel Felix nahe. "Meine Frau und ich gehen immer auf den Berg, der etwa 1800 Meter hoch ist. Wir stehen dann auf der Aussichtsplattform, von der man die Absturzstelle sehen kann."

Quelle: ntv.de

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