"Einvernehmlicher Geschlechtsverkehr" Mildes Urteil in Inzest-Prozess
19.12.2011, 11:30 UhrEin Rentner aus Bayern wird wegen Inzests zu knapp drei Jahren Haft verurteilt. Den Vergewaltigungsvorwurf lässt das Gericht fallen, obwohl die Tochter ausgesagt hatte, ihr Vater habe sie mit dem Tode bedroht, falls sie ihn verrate.
Der Aufsehen erregende Inzestprozess vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth ist mit einem Urteil im Sinne des Angeklagten zu Ende gegangen. Der 69-jährige Rentner aus dem fränkischen Dorf Willmersbach muss für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Damit blieb das Gericht noch unter der Forderung des Verteidigers, der fünf Jahre für ausreichend befunden hatte.
Die Staatsanwaltschaft hatte 14 Jahre sowie die anschließende Sicherungsverwahrung wegen Inzest und Vergewaltigung gefordert.
Den Vorwurf der Vergewaltigung sah das Gericht nicht als erwiesen an. Die Tochter hatte ihrem Vater im Prozess vorgeworfen, er habe sie 34 Jahre lang regelmäßig missbraucht und mit dem Tode bedroht, falls sie ihn verrate. Der Vater hatte hingegen von einvernehmlichem Sex gesprochen.
"Beischlaf unter Verwandten"
Dem folgten die Richter. Bei dem Kontakt zwischen Vater und Tochter habe es sich um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt, urteilte das Gericht. Weil einvernehmlicher Inzest aber auch strafbar ist, wurde der 69-Jährige wegen Beischlafs unter Verwandten sowie Nötigung zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.
Außerdem habe das Gericht Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers, sagte der Vorsitzende der Strafkammmer, Günther Heydner. Die Frau habe sich bei ihren Aussagen vor der Polizei, dem Vernehmungsrichter und dem Gericht immer wieder in Widersprüche verwickelt. "Ihre Aussage ist nicht konstant", sagte der Kammervorsitzende.
Der 69-Jährige war wegen Vergewaltigung in rund 500 Fällen angeklagt. Er sollte der Anklage zufolge seine heute 46 Jahre alte Tochter seit deren zwölften Lebensjahr über einen Zeitraum von 34 Jahren vergewaltigt haben. Er soll mit dieser außerdem drei Söhne gezeugt haben, von denen zwei starben.
Wie die Zeugenvernehmung ergab, war der Inzest in dem Ort durchaus ein Gesprächsthema. Der Verdacht soll auch den Behörden gemeldet worden sein. Allerdings griff nie jemand ein. Erst als die Tochter selbst straffällig wurde, erzählte sie ihrer Bewährungshelferin von den - angeblichen oder realen - Vergewaltigungen.
Geldgier oder Stockholm-Syndrom?
Der Anwalt des Angeklagten, Karl Herzog, warf der Tochter Geldgier vor. Als sie von ihrem Vater erfahren habe, dass dieser sie nicht länger als Alleinerbin ihres Elternhauses vorgesehen habe, sei sie tief enttäuscht gewesen.
Die Anwältin der Tochter, Andrea Kühne, warnte in ihren Plädoyer davor, das Verhalten der immer wieder missbrauchten Frau mit gewöhnlichen Maßstäben zu messen. So dürften die wenigen Widersprüche in der Aussage der Angeklagten nicht überbewertet werden. Aus Sicht der Anwältin deute bei der 46-Jährigen vieles auf ein sogenanntes Stockholm-Syndrom hin; dabei entwickelten die Opfer mit der Zeit emotionale Bindungen zu ihren Peinigern.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP