Traum von besserer Welt Pienes Werke aus Licht und Feuer sind echte Antörner


Silbrige Punkte wirbeln durch den Raum, Kunst trifft Technik. Das Lichtballett zieht in Basel magisch in den Bann.
(Foto: Timo Ohler)
Raus aus den Rahmen, engen Räumen, hinein in den Himmel. Rauf auf die Straße, zu den Menschen: Otto Pienes Werke aus Luft, Licht und Feuer bezaubern, versprühen in angespannter Zeit Frieden und Glück. Auf himmlischer Spurensuche in Basel und Düsseldorf.
Energiequelle, Taktgeber, Antörner - das alles ist Licht. Es regt den Stoffwechsel an, regelt unsere Tag- und Nacht-Aktivitäten, nimmt die Angst vor Dunkelheit. Dass es tanzen kann, zeigt Otto Piene 1959 zum ersten Mal. Aufleuchtende und verglimmende Punkte werden bei ihm zum magischen Lichtballett. Wie schön sind diese vibrierenden Spots, die rhythmisch an den Augen vorbeigleiten. Sie fördern die eigene Resilienz in angespannter Zeit. Die Lichtplastiken des Künstlers bespielen gleich den ersten Raum der Ausstellung "Otto Piene. Wege zum Paradies" im Baseler Museum Tinguely und verführen zum Bleiben.

Blumen, Sterne und andere Geschöpfe jagte Piene in den Himmel und machte ihn zum Museum für alle.
(Foto: Otto Piene Archiv, Elisabeth Goldring)
In Pienes Welten einzutauchen, heißt auch, mit ihm von Frieden und einer besseren Welt zu träumen. Bestes Beispiel sind seine gigantischen Luftskulpturen. Mit Sternen, Blumen und wundersamen Geschöpfen bevölkert er den Himmel. Am Anfang dieser von ihm erfundenen Sky Art steht seine Erkenntnis, dass der Luftraum den Menschen fast unbegrenzte Freiheit biete. Der Künstler stellte sich die Frage: "Warum machen wir dort keine Ausstellungen?"
Gesagt, getan: Aufblasbare Skulpturen aus buntem Stoff sind die Lösung für seine Vision. Pienes berühmteste Arbeit schwebt 1972 in München über dem Olympiastadion. 460 Meter lange mit Helium befüllte Schläuche spannt er zu einem gigantischen Regenbogen. Das Naturphänomen vereint Gegensätze wie Sonne und Regen, gilt als das Zeichen für Frieden und Vielfalt. Bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele wurde die fliegende Plastik nach dem Attentat auf das israelische Nationalteam zu einem starken Symbol für ein friedliches Miteinander. Millionen Menschen sahen via Fernseher zu. Pienes Traum, Kunst aus dem Elfenbeinturm zu befreien und enorme Reichweite zu schaffen, ist an diesem Tag Wirklichkeit geworden.
Licht im Dunkel

Auch in Kriegszeiten malte Piene in seine Skizzenbücher. Ein Jahr lang haben Sandra Beate Reimann und Lauren Elizabeth Hansen sie für die Baseler Schau gesichtet.
(Foto: ProLitteris, Zürich, Otto Piene Estate)
Der Himmel war nicht immer sein Sehnsuchtsort, sondern brachte auch Kriegshorror. 15-jährig wurde der 1928 geborene Otto Piene in Lübbecke zum "Flakhelfer" gemacht. Er erinnert sich später, dass Kindersoldaten wie er beschossen wurden, während sie selbst die da oben abschießen sollten. Auch in diesem düsteren Jahr hält er seine Erlebnisse in Skizzenbüchern fest. In Basel wird sein Leben anhand dieser Büchlein greifbar. Sein erstes Skizzenbuch bekommt er bereits mit sieben Jahren. 24 von insgesamt 72 erhaltenen Skizzenbüchern erzählen von seinen vielfältigen Ideen. Viele werden erst Jahrzehnte später realisiert. Pienes Faszination für Licht kann als Reaktion auf Tod und Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gelesen werden. Bomben illuminierten damals die Nächte künstlich. Mit seiner Lichtkunst will er beim Publikum die gegenteilige, lebensbejahende Wirkung provozieren und der Dunkelheit den Schrecken nehmen.

Auf einem Feld bei St. Paul, Minnesota, fand ein Testlauf für den Olympischen Regenbogen statt.
(Foto: Jean Nielsen, Otto Piene Estate)
Zahlreiche Fotografien von Aktionen wie die zu den Olympischen Spielen bringen die Vorstellungskraft im Museum Tinguely zum Schwingen. Einige der Luftplastiken sind in immersiven Räumen erfahrbar. Durchsichtige Tiefseetiere und rote Seeanemonen bauen sich überdimensional vor dem Publikum auf. Sie werfen Schatten, schwarze Lichtblumen tanzen zu Stroboskoplicht, zucken verführerisch und fallen wieder in sich zusammen. Werden und Vergehen liegen in der Natur, ebenso wie in Pienes Werk, dicht beieinander.
Er studierte Philosophie und Kunst unter anderem in Düsseldorf. Nach den finsteren Kriegsjahren hat er mit Kollegen 1958 die ZERO-Gruppe gegründet. Gemeinsam mit seinen Künstlerfreunden Heinz Mack und Günther Uecker will er die Kunst neu entwickeln, ohne den Ballast der Vergangenheit. Licht, Luft, Wind, Bewegung, Feuer und Energie, als elementare Naturkräfte sind seine essenziellen Materialien.
Kunst ohne Leseanweisung

Farbe, Licht, Bewegung – 1000 handbemalte Dias schenken den Zuschauern Glück.
(Foto: Museum Tinguely, Daniel Spehr)
Die visionäre Gruppe hat unglaubliche Strahlkraft, vernetzt sich überall in Europa zu einer internationalen, einflussreichen Avantgarde. Die drei Deutschen hatten den Begriff "Nation" hinter sich gelassen. Gänzlich frei von Ideologie wird das Publikum Teil ihrer Arbeiten – ohne jegliche Leseanweisung. Das unvoreingenommene Erleben steht über allem. 1966 kommt es zwischen den drei Künstlern zum Streit und jeder geht seiner eigenen Wege. Während Mack und Uecker auch mit Spiegel und Nägeln arbeiten, hatte Otto Piene den Pinsel gegen Flammen eingetauscht.
Sein Feueratelier können Interessierte nach Voranmeldung in Düsseldorf besuchen. Hier entstanden seine sogenannten Feuergouachen. "Dazu zündete er Lacke und Fixativ, die er auf eine Leinwand gesprüht hatte, an. Im richtigen Moment pustete er sie selbst aus", erzählt Barbara Könches ntv.de. Sie leitet die 2008 gegründete ZERO-Foundation, die ebenfalls in dem Arbeitshaus von Otto Piene untergebracht ist. Vor zehn Jahren starb der Kunstpionier im Taxi, direkt nach dem Eröffnungsabend einer großen Soloschau in der Berliner Neuen Nationalgalerie, an einem Herzinfarkt. Im April wäre er 95 Jahre alt geworden, und er hätte sicher noch viel zu sagen.

Barbara Könches öffnet in Düsseldorf gerne die Tür in die Welt der ZERO-Künstler.
(Foto: Judith Michaelis)
Die Energie, die von seinem Werk ausgeht, ist weiterhin spürbar. "Gute Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer aktuell ist und sich in jeder Zeit wohlfühlt", fasst die Kunsthistorikerin Könches zusammen. Die Vielschichtigkeit des Künstlers werde im Museum Tinguely in Basel wunderbar begreifbar gemacht, freut sie sich. Otto Piene kämpft mit seinen Kunstwerken für Frieden und Demokratie, setzt sich für Abrüstung ein, ohne den Zeigefinger zu erheben. Und so reisen die Besucher im letzten Raum des Baseler Museums 26 Minuten lang zur Sonne. Bequem auf Sitzsäcken betören sie Farbsequenzen und der Wunsch nach Love, Peace und Happiness wächst.
Traum von einer besseren Welt

Angesengte Bilder, schwarze Wände, Streichholzhaufen – in diesem Düsseldorfer Atelier hat Otto Piene mit Feuer gearbeitet.
(Foto: Melanie Stegemann)
Im Düsseldorfer Atelier hingegen ist die Zeit stehen geblieben. Tiefschwarz und verrußt, wie eh und je. Die durch den Einsatz von Feuer entstehenden Blasen, Rauchspuren und Verkrustungen machen die Bilder zu einmaligen Kraftfeldern. Das spüren die Besucher. Auf einem Tisch liegt ein Häufchen aus Streichhölzern, die hat Piene beim Arbeiten, einer bestimmten Ordnung folgend, hingeworfen. Auf der anderen Seite stehen Fixativ und Sprühdosen. Ab 1964 verlegt er sein Leben sukzessive nach Amerika. Er unterrichtete am Massachusetts Institute of Technology Umweltkunst. Dennoch arbeitet er regelmäßig in diesem Hinterhofatelier.
"Das hier war seine europäische Dependance. Alles sieht so aus, wie nach seinem letzten Besuch", erzählt Barbara Könches. Selbst die Rollos, die er bereits in den 60er Jahren heruntergelassen hatte, seien unberührt. Beunruhigte Nachbarn hatten anfangs zu schnell die Feuerwehr gerufen, wenn es mal wieder brannte beim Piene. Nachdem er die Läden geschlossen hatte, passierte das nicht mehr. Er schien das unberechenbare Element gut zu beherrschen.
Otto Piene ließ sich sein Leben lang von Licht lenken, ertastete mit seiner Sky Art das Universum. Mit der daraus entstandenen Kunst wollte er eine bessere und friedlichere Welt entwerfen. Die Wege zum Paradies scheinen trotz menschlicher Klugheit in Zeiten des Aufrüstens weiter entfernt denn je. Doch wie sagte Otto Piene: "Ja, ich träume von einer besseren Welt. Sollte ich von einer schlechteren träumen?"
Otto Piene. Wege zum Paradies, bis 12. Mai im Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 2, 4002 Basel
Zero Foundation, Hüttenstraße 104, 40215 Düsseldorf, Voranmeldung erwünscht.
Quelle: ntv.de