Vierfachmord von Annecy Täter war wohl Bruder eines Opfers
24.06.2013, 13:30 Uhr
Ein bislang unbekannter Täter nimmt im vergangenen Jahr auf einem Parkplatz in den Alpen eine Familie und einen Radfahrer unter Beschuss. Drei Erwachsene sterben, die Kinder haben Glück, sie überleben. Lange tappte die Polizei im Dunkeln, jetzt nimmt sie einen 54-jährigen Mann fest.
Fast zehn Monate nach dem mysteriösen Vierfachmord von Annecy hat es eine erste Festnahme gegeben. Ein 54-jähriger Mann wurde nach Angaben der britischen Polizei in Surrey bei London festgenommen. Er wird derzeit befragt. Es könnte sich dabei um den Bruder des ermordeten Familienvaters handeln.
Der Fall hatte im vergangenen Herbst weltweit für Schlagzeilen gesorgt: Der aus dem Irak stammende Brite Saad al-Hilli, seine Ehefrau Ikbal und deren Mutter waren am 5. September auf einem abgeschiedenen Waldparkplatz bei Annecy in Ostfrankreich mit gezielten Schüssen in die Stirn getötet worden. Sie machten in der Region Urlaub.
Die damals sieben und vier Jahre alten Töchter der Familie überlebten wie durch ein Wunder, die Ältere von ihnen wurde allerdings durch Schläge auf den Kopf und einen Schuss schwer verletzt. Die Jüngere entging den Schüssen, indem sie sich unter dem Körper ihrer Mutter versteckte. Sie war erst rund acht Stunden nach dem Fund der Leichen in dem von Kugeln durchsiebten Auto entdeckt worden. Die beiden traumatisierten Mädchen leben laut Medienberichten jetzt bei Pflegeeltern und konnten bislang nicht zum Tathergang befragt werden.
Staatsanwaltschaft hat wohl "aureichend Belastungsmaterial"
Außerdem war auch ein Radfahrer getötet worden, ein junger Familienvater aus der Region. Er hatte fünf Schusswunden. Nicht länger als 30 Sekunden soll die Aktion insgesamt gedauert haben. Die Opfer wurden regelrecht hingerichtet. "Es gab den Willen, alle lebenden Personen zu töten", sagte damals der Staatsanwalt von Annecy, Eric Maillaud. Er sprach von einem Verbrechen von "extremer Brutalität".
Trotz Großfahndung und unzähliger Zeugenbefragungen konnten die Ermittler in Frankreich und Großbritannien auch nach Monaten noch keinen Tatverdächtigen ausmachen. Sie gingen aber davon aus, dass die al-Hillis das eigentliche Ziel des Angriffs waren und der Radfahrer, der für eine Nuklearfirma arbeitete, nur "zur falschen Zeit am falschen Ort" war. Schnell geriet der Bruder von Saad al-Hilli, Zaid al-Hilli, wegen möglicher Erbstreitigkeiten in Verdacht.
Nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft bestätigte sich diese Vermutung jetzt. Es handele sich bei dem Festgenommenen tatsächlich um den Bruder des getöteten Ehemannes. Die britische Polizei teilte nun mit, er sei wegen des Verdachts "der Beteiligung an einem Mordkomplott" festgenommen worden. Staatsanwalt Maillaud bestätigte Durchsuchungen in dessen britischen Wohnsitz sowie in dem Golfplatz, dessen Geschäftsführer er ist. Es gebe "ausreichend Belastungsmaterial" für ein Verhör im Polizeigewahrsam.
Bruder war bereits kurz nach den Morden verdächtig
Zaid al-Hilli solle zum Verhältnis zu seinem Bruder, zum Familienerbe und seinem Terminkalender befragt werden. Erst vor wenigen Tagen hatte der Staatsanwalt auf auffällige Telefonate des Bruders mit Teilnehmern in Rumänien verwiesen. Der 54-Jährige war einer Vorladung für den 21. Juni nicht gefolgt. Vor allem deshalb sei es zu der Festnahme gekommen. Die Ermittlungen konzentrieren sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf einen familiären Hintergrund der Tat. Grundsätzlich neue Anhaltspunkte seien in der jüngsten Zeit aber nicht aufgetaucht, räumten die Ermittler ein.
Zaid al-Hilli war bereits kurz nach dem Vierfachmord verhört worden. Er erschien damals sogar freiwillig bei der britischen Polizei, um seine Unschuld zu beteuern. Dabei soll es um mehrere Immobilien, unter anderem im Irak und in Spanien gegangen sein. Das Mordopfer war britischen Medienberichten zufolge kurz vor der Reise nach Frankreich in seiner alten Heimat gewesen, um Immobilien zurückzufordern, die unter dem Regime Saddam Husseins enteignet worden waren. Sicher ist, dass der 2011 in Spanien verstorbene Vater der Brüder al-Hilli auf einem Schweizer Konto fast eine Million Euro liegen hatte. Der anfängliche Verdacht konnte allerdings zunächst nicht erhärtet werden. Ende März wurde Zaid al-Hilli erneut befragt. Angehörige der Familie warfen den Ermittlern jedoch vor, sich einseitig auf die Spur der Familie zu konzentrieren.
Die Ermittler gingen in den vergangenen Monaten aber auch dem Verdacht nach, dass die Morde mit der Arbeit von Saad al-Hilli als Ingenieur im sensiblen Luft- und Raumfahrtsektor zusammenhängen könnten oder mit dessen irakischer Herkunft. In der Presse kamen zahllose Spekulationen auf, die von Geldwäsche für den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein bis zu einer Unterstützung des Iran durch den 50-Jährigen reichten.
Quelle: ntv.de, ame/AFP