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Justiz fehlt Zeit und Personal "Umweltkriminalität hat Gewinne wie der Drogenhandel"

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Das Fischsterben in der Oder ist der erste große Fall der Brandenburger Schwerpunktstaatsanwaltschaft.

Das Fischsterben in der Oder ist der erste große Fall der Brandenburger Schwerpunktstaatsanwaltschaft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Umweltkriminalität ist nach dem Drogenhandel und Produktpiraterie die drittgrößte kriminelle Aktivität der Welt. Und eine der profitabelsten. Die EU schätzt, dass die illegale Müllentsorgung, die illegale Holzwirtschaft, aber auch Verbrechen wie Verstöße gegen den Tier- und Artenschutz jedes Jahr Schäden und Verluste im Wert von 110 bis 281 Milliarden US-Dollar verursachen. Die Ermittlungserfolge sind gering - vor allem, wenn die Täter aus dem Bereich der organisierten Kriminalität stammen, wie die größte illegale Müllhalde Brandenburgs zeigt. "Die Entsorgung wird die Kommune ungefähr 12 Millionen Euro kosten", sagt Lukas Benner. Dabei mangelt es vor allem in Europa nicht an Regeln und zuständigen Behörden, sondern an Personal und Zeit zum Ermitteln, wie der grüne Bundestagsabgeordnete im "Klima-Labor" von ntv.de erklärt. Das soll sich ändern. Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bauen derzeit als deutsche Vorreiter Schwerpunktstaatsanwaltschaften auf, in denen in Zukunft Dutzende Ankläger Jagd auf Umweltverbrecher machen.

ntv.de: Was genau ist Umweltkriminalität eigentlich?

Lukas Benner sitzt seit 2021 für die Städteregion Aachen im Bundestag.

Lukas Benner sitzt seit 2021 für die Städteregion Aachen im Bundestag.

(Foto: picture alliance / photothek)

Lukas Benner: Eine vollumfängliche Definition gibt es leider nicht. Grob kann man sagen, dass es sich um illegale Aktivitäten handelt, die der Umwelt schaden, um damit Geld zu verdienen. Die größten Spielarten sind der illegale Müllhandel und der illegale Holzhandel. Umweltkriminalität betrifft aber auch den Handel mit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, den illegalen Bergbau oder die illegale Einleitung von Abwässern in Flüssen.

Weil es günstiger ist, als Abwasser korrekt zu entsorgen?

Genau. Interpol schätzt, dass mit Umweltkriminalität weltweit 280 Milliarden Dollar an Gewinnen erzielt werden.

280 Milliarden Dollar Gewinn?

Ja. In der EU sind wir beim illegalen Holzeinschlag bei ungefähr 6 Milliarden Euro im Jahr, beim illegalen Abfall sind es 15 Milliarden Euro. Wir reden von einem Sektor, der Gewinnmargen hat wie der Drogenhandel, aber den Verfolgungsdruck von Falschparken.

Wer verfolgt denn Umweltkriminalität in Europa?

Da geht es schon los, die verschiedenen Bereiche sind in den Nationalstaaten verschiedenen Behörden zugeordnet. Es gibt ein Umweltstrafrecht, das Straftaten gegen die Umwelt betrifft. Dort ermitteln klassisch Polizei und Staatsanwaltschaft. In der Holzwirtschaft gibt es aber auch das Holzhandelssicherungsgesetz (HolzSiG). Das besagt, dass die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) kontrolliert, ob Holz illegal in einem Heimatland geschlagen wurde. Aber die BLE hat viel zu wenig Personal. Der WWF hat mal überspitzt formuliert, dass ein Holzbetrieb statistisch gesehen alle 200 Jahre kontrolliert wird. Sie können sich vorstellen, wie sehr das abschreckt.

Wird auch in Deutschland illegal Holz geschlagen und anschließend an Baumärkte oder so verkauft?

Illegalen Holzeinschlag gibt es in Deutschland, keine Frage. In den meisten Fällen wird Holz aber in Ländern wie Rumänien illegal geschlagen und dann von deutschen Unternehmen importiert. Ähnliches kennt man von Tropenhölzern aus dem Regenwald. Dagegen kann man mit Bußgeldern vorgehen, aber dafür muss ein Verstoß im Herkunftsland nachgewiesen werden. Der deutsche Staatsanwalt müsste also belegen, dass das Holz illegal in Rumänien oder Brasilien gerodet wurde.

Und die Polizei ist für diese Fälle gar nicht verantwortlich?

Das kommt darauf an. Für den Holzhandel ist laut dem Holzhandelssicherungsgesetz die BLE zuständig. Illegale Mülldeponien sind dagegen vom StGB, also vom Strafgesetzbuch, abgedeckt. Dafür ist wiederum die Polizei zuständig.

Wenn ich also sehe, dass jemand irgendwo illegal Müll ablädt, rufe ich die Polizei?

Bei Umweltkriminalität ist die Vorstellung oft der Kühlschrank im Wald. Es gibt in Deutschland auch sehr viele illegale Mülldeponien, aber es nicht so, dass nachts ein LKW irgendwo Müll ablädt, sondern gerade in Europa geht es um gefälschte Papiere: Müll wird umdeklariert. Aus deutschem Müll wird tschechischer Müll, der dann in Tschechien landet. Oder es werden Firmen gegründet, die eine Recyclinganlage aufbauen wollen, das aber nie tun, sondern nur riesige Mengen anhäufen.

Die größte illegale Müllhalde Brandenburgs befindet sich in Fredersdorf-Vogelsdorf nicht weit vom Tesla-Werk entfernt. Das war so ein Fall: Ein Unternehmen hat gesagt, dass es eine Müllverwertungsanlage bauen will. Es hat viel Geld dafür bekommen, dass große Mengen Müll dort abgeladen werden konnten, hat aber nie auch nur angefangen, damit in irgendeiner Form umzugehen. Jetzt ist nur ein Riesenberg Müll mitten in einem Gewerbegebiet in einem kleinen Brandenburger Dorf übrig. Die Entsorgung wird die Kommune ungefähr 12 Millionen Euro kosten. Das ist wirklich ein Milliardengeschäft, das man im selben Atemzug wie Drogen- und Menschenhandel nennen muss

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Die Verantwortlichen in Brandenburg sind vermutlich verschwunden?

Die sind verschwunden und die entsprechenden GmbHs natürlich insolvent. Man kommt an niemanden ran.

Wo müsste man denn ansetzen? Das klingt nach Aufgaben für internationale Organisationen wie Interpol oder Europol.

Bei Interpol gibt es ein kleines Dezernat für Umweltkriminalität. Das ist das eigentliche Problem: Es mangelt nicht an Straftatbeständen, sondern an Leuten. Es gibt ein Verfolgungsdefizit, also zu wenig Personal und zu wenig Zeit zum Ermitteln. Deswegen hat Brandenburg eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft eingerichtet. Das ist die Erste, die sind Vorreiter. Denn zur Umweltkriminalität gehört, dass niemand weiß, wer den Müll abgeladen, die Bäume geschlagen oder das Abwasser illegal eingeleitet hat. Das zu klären, kostet viel Zeit.

Nur Brandenburg hat so eine Staatsanwaltschaft?

Nordrhein-Westfalen baut gerade ebenfalls eine auf, das wurde im Haushaltsplan beschlossen. Es kommen noch in diesem Jahr zehn Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Im dritten Quartal sollen sie ihre Arbeit aufnehmen.

Werden diese Staatsanwälte aus anderen Abteilungen abgezogen oder neu eingestellt? An Kriminalität mangelt es anderswo ja auch nicht.

Die Erstbesetzung findet über Umbesetzungen statt. Es sind nicht besonders viele Staatsanwälte auf dem freien Arbeitsmarkt verfügbar. Aber das sind explizit neue Stellen, denn das ist das Ziel: Sie sollen zeitlich und von anderen Fällen losgelöst ermitteln können. Denn natürlich kann ich als Land einfach sagen, dass sich 5, 10 oder 20 Staatsanwälte zusätzlich damit beschäftigen. Aber dann bleibt weniger Zeit für andere Fälle.

Lässt sich denn schon sagen, wie sehr das hilft? Gibt es Erfahrungswerte aus Brandenburg, dass die Aufklärungsquote steigt?

Mitarbeiter des LKA-Brandenburg suchen 2009 in einem Kiessandtagebau nach illegalen Abfällen.

Mitarbeiter des LKA-Brandenburg suchen 2009 in einem Kiessandtagebau nach illegalen Abfällen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Staatsanwaltschaft in Brandenburg arbeitet erst seit ein paar Jahren, die großen Erfolge kommen also noch. Aber man sieht, dass sie große, komplexe Sachverhalte aufdecken kann. Wichtig ist aber die Zuarbeit der Umweltschutzbehörden in den betroffenen Kommunen. Denn man begeht nur dann eine Straftat, wenn man gegen geltendes Verwaltungsrecht verstößt. So ein Verstoß kann dann aber auch rein verwaltungsrechtlich von den Kommunen geahndet werden. Wir erleben sehr oft, dass sie zu lange versuchen, Fehlverhalten von Unternehmen auf diese Weise zu bekämpfen: Das war zu viel Abwasser, du bekommst eine Geldstrafe. Stattdessen müssten sie viel häufiger sagen, dass man sich im Bereich von handfester Kriminalität befindet, und die Staatsanwaltschaft einschalten.

War das bei der illegalen Mülldeponie in Brandenburg auch der Fall?

Das ist schwierig zu sagen, denn durch die Wende weiß man gar nicht genau, welches Unternehmen wann was gemacht hat. Das versuchen wir noch nachzuvollziehen.

Die Wende liegt aber schon eine Weile zurück. Wurde das so lange zugelassen?

Ja, viel zu lange. Man hat nicht genau hingeschaut und auch gehofft, dass das Unternehmen doch noch die versprochene Müllverwertungsanlage baut. Das war vielleicht ein bisschen naiv, aber ich möchte niemandem etwas unterstellen. In Brandenburg wurde auch viel illegaler Müll in Baggerseen gekippt. Das ging problemlos, weil es so dünn besiedelt ist.

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Aber das Problem mit dem Verwaltungsrecht kann man an der Oder-Katastrophe verdeutlichen. Es sind viele Tausend Fische gestorben. Wahrscheinlich ist durch eine zu hohe Salzkonzentration eine giftige Alge gewachsen, die dem Wasser Sauerstoff entzogen hat. Für die Salzkonzentration waren mutmaßlich Einleitungen verantwortlich. Gerade sehen wir, dass die Salzkonzentration schon wieder steigt. Es gibt also immer noch ein Problem. Die Frage ist, ob Polen vielleicht zu viele Genehmigungen erteilt hat, ob jemand sehr viel mehr einleitet als erlaubt oder alle nur ein bisschen mehr. Das Positive ist, dass die polnischen Behörden dieser Sache zusammen mit der Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Brandenburg auf den Grund gehen.

Mit Lukas Benner sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.

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Quelle: ntv.de

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