Brave New World, nur besser? Unser Mann auf dem Mars
27.01.2014, 14:47 Uhr
Ausschnitt aus Newiaks Bewerbungsvideo: Der Student ist ein wahrer Idealist.
Denis Newiak träumt von einer besseren Welt - und will dafür zum Mars fliegen. Das Pionierprojekt soll zum Brutkasten für gesellschaftliche Utopien werden, der Haken: Es wird eine Reise ohne Wiederkehr.
Fünf Meter im Durchmesser und sechs in die Höhe. Denis Newiaks neue Welt wird klein, verdammt klein. Bis 2025 will der Potsdamer einer von vier Astronauten sein, die von der niederländischen "Mars One"-Stiftung auf den Roten Planeten geschossen werden. Die räumliche Enge in jeder der sechs geplanten Landekapseln ist allerdings bei weitem nicht das Einzige, was den durchschnittlichen Erdenbürger schlucken lässt. Was im vergangenen April weltweit für Aufregung sorgte, war die brutale Endgültigkeit, die mit der Ankündigung der bemannten Mission einherging: Die Reise zum Mars wird für die Auserwählten zu einer Reise ohne Wiederkehr.
Dass sich trotzdem 202.586 Weltraum-Fans aus 140 Ländern per Video für "Mars One" beworben haben, spricht für die Faszination, die der Trip ins Unbekannte auslöst. "V ielen geht es nur darum, der erste Mensch auf dem Mars zu sein. Mir nicht", sagt Denis Newiak. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der 25-Jährige zu den 1058 Bewerbern gehört, die es in die zweite Runde geschafft haben. Newiak geht es um viel mehr als persönlichen Ruhm – es geht ihm um das große Ganze.
Mehr als ein Brutkasten für gesellschaftliche Utopien
"Alle Menschen sollten ein Leben führen dürfen, das diesen Namen auch verdient", sagt der Potsdamer. Was das mit der Marsmission zu tun hat? "Eine Reise zum Mars, das steht doch in den Köpfen der meisten Menschen gleichbedeutend für etwas Unmögliches. Wenn wir es schaffen, dieses Menschheitsprojekt zusammen zu stemmen, was bedeutet das dann erst für die ganzen Probleme hier unten auf der Erde, die momentan noch so unlösbar erscheinen?"
Es sind schöne Gedanken, die der Student der Filmwissenschaften an diesem grauen Januarmorgen in der Filiale einer Kaffeehauskette im Potsdamer Hauptbahnhof formuliert. Draußen hetzen die Menschen wie Getriebene zu ihren Zügen, drinnen träumt Newiak von einer besseren Welt: "Auf dem Mars sind wir am Anfang zu viert. Da kann es nicht sein, dass sich einer zurücklehnt – wir werden viel Zeit zum Diskutieren haben und am Ende eine Form des gemeinschaftlichen Wirtschaftens entwickeln müssen, um zu überleben. Ich hoffe, dass wir dieses Modell auf die Erde übertragen können, wo es immer noch so ist, dass eine kleine herrschende Klasse im Vergleich zur geleisteten Arbeit unverhältnismäßig viel Entscheidungsgewalt innehat."
Dass "Mars One" mehr wird als ein Brutkasten für gesellschaftliche Utopien, ist allerdings auch Denis Newiak klar – neben der philosophischen Komponente freut sich der Potsdamer vor a llem auf die Herausforderungen, die die Pionierreise mit sich bringt. "Wir werden auf dem Mars fast keine Unterstützung von der Erde bekommen, sondern müssen für unser eigenes Leben sorgen." Die neuen Marsbewohner werden Pflanzen kultivieren, Energie aus Solaranlagen gewinnen und die tief im Boden versteckten Wasserreserven des Roten Planeten anzapfen. Dazu kommen Forschungsaufgaben und die medizinische Selbstversorgung,kurzum: "Sachen, die auf der Erde selbstverständlich sind, müssen wir uns auf dem Mars hart erarbeiten. Wir müssen füreinander da sein und uns gegenseitig helfen - darauf freue ich mich ganz besonders."
An Selbstsicherheit mangelt es Newiak nicht
Eine ganze Reihe von Experten wie der ehemalige Astronaut Ulrich Walter räumt den Pionieren zwar bereits auf ihrer 210-tägigen Reise zum Mars nur eine 30-prozentige Überlebenschance ein, Newiak stört das indes wenig. "Erstens ist es ja noch ein bisschen hin, die technologischen Möglichkeiten werden in zehn Jahren noch einmal ganz andere sein. Außerdem werden wir uns so gut wie möglich vorbereiten, um die Risiken zu minimieren." Sollte der Student auch noch die nächsten zwei Bewerbungsrunden überstehen, wartet auf die zukünftigen Marsianer ein jahrelanges, intensives Training - "deutlich härter, als es momentan in der Astronautik üblich ist."
Auch die psychologische Komponente jagt Newiak keine Angst ein. Isolationsexperimente, bei denen Freiwillige bis zu 500 Tage eine simulierte Weltraummission bestritten, zeigen zwar, dass Depressionen und Aggressionen zu großen Problemen werden können - der 25-Jährige ist sich aber sicher: "Das ist kaum vergleichbar. Die Probanden hatten ja nichts zu tun, da würde ich auch wahnsinnig werden. Bei uns sieht die Sache ganz anders aus."
Immerhin, an Selbstsicherheit mangelt es Newiak nicht. Ob das allerdings ausreicht, um den jungen Mann, der hier auf der Erde so wahnsinnig umtriebig ist - neben seinem Studium fährt er Straßenbahn, gibt Tanzstunden, ist Einsatzsanitäter und Rettungsschwimmer bei der DLRG sowie Chefredakteur der Potsdamer Studierendenzeitung "speakUP" (und das ist nur eine kleine Auswahl seiner Nebentätigkeiten) - zufriedenzustellen, wird sich wohl erst auf dem Mars herausstellen.
Bis dahin kann man immerhin festhalten, dass Denis Newiaks Traum von einer besseren Welt ein verdammt schöner ist. Klar, der Student mag ein hoffnungsloser Idealist sein. Aber manchmal braucht es vielleicht genau solche Idealisten, um die Welt wieder ein kleines Stück voranzubringen. "Wieso wird nicht verboten, dass eine Milliarde Menschen auf der Erde mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen?", kontert Newiak die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit einer Reise ohne Wiederkehr. Recht hat er.
Quelle: ntv.de