Mehr als 170 Tote in Russland Wasser verwüstet ganze Dörfer
08.07.2012, 21:02 Uhr
(Foto: dpa)
Bei verheerenden Überschwemmungen im Süden Russlands sterben mindestens 170 Menschen. Viele ertrinken, einige sterben an Stromschlägen. Wie hoch die Zahl der Opfer tatsächlich ist, ist noch völlig unklar, weil viele Menschen ins Meer gerissen wurden. Die Hinterbliebenen haben eine schlimme Vermutung: Die Behörden sollen an der Katastrophe schuld sein.
Der Tod im schmutzigen Hochwasser kam rasend schnell für die mehr als 170 Flutopfer im südrussischen Urlaubsgebiet Krasnodar. Vor allem für ältere Menschen gab es kein Entrinnen aus ihren Häusern, sie ertranken nachts qualvoll in den heranrollenden Fluten. Sirenen blieben stumm, Radiodurchsagen gab es nicht, klagen Überlebende. Nach den schwersten Überschwemmungen in der jüngeren Geschichte Russlands herrschen im Riesenreich Trauer und Wut.
"Es war wie ein Tsunami", beschreibt eine Frau mit erstickter Stimme die Wucht des Wassers. Ihren beiden Kindern ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. "Niemand hat uns gewarnt", sagt ein Mann. Die Verwüstung in der dicht besiedelten Ferienregion am Schwarzen Meer, etwa 1200 Kilometer südlich von Moskau, ist immens.
In Krimsk rissen die Sturzfluten ganze Dachstühle mit sich, in Gelendschik schoben Wassermassen Lastwagen wie Spielzeugautos beiseite, in Noworossijsk türmt sich dicker Schlamm auf Seitenstraßen. Die verheerende Bilanz: etwa 5000 überschwemmte Häuser, rund 22.000 Menschen ohne Strom, knapp 3000 Bewohner in Notunterkünften. In mehreren Städten wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Experten schätzen allein den Sachschaden auf mindestens 250 Millionen Euro. Viele Menschen stehen vor dem Nichts.
Putin findet markante Worte
"Das war wie eine Sintflut, das Ende der Welt", sagt ein Mann aus Krimsk, wo das Wasser eine Schneise der Verwüstung hinterlassen hat, im Fernsehen. "Hier stand mein Haus, aber die Fluten haben alles weggerissen." Im letzten Moment sei er im Schlafanzug geflüchtet, erzählt er. Neun Meter hohe Wellen seien durch den Ort gerollt, das könne nicht vom Dauerregen kommen, ergänzt sein Nachbar. "Da war mit einem Mal eine Wand aus Wasser, die das Atmen schwer machte."
Der schlimme Verdacht: Die Behörden hätten die Schleusen eines nahen Stausees geöffnet und das Hochwasser damit mitverursacht. Ermittler räumen zwar ein, dass Wasser abgelassen wurde. Dies sei aber nicht der Grund für die Überschwemmungen gewesen, sagen sie.
Fast jeden Sommer steht das größte Land der Erde vor Katastrophen. Zuletzt waren das die schlimmsten Waldbrände in der russischen Geschichte mit vielen Toten. Und beinahe jedes Mal geht es um das Ignorieren elementarer Sicherheitsvorkehrungen. "Wenn Vorschriften befolgt werden, darf so etwas nicht passieren", zischte Kremlchef Wladimir Putin im Fernsehen. Der zum Katastrophenort herbeigeeilte Präsident ordnete eine gründliche Aufklärung an.
Einmal mehr müssen viele Russen mit ansehen, dass die zentral in Moskau gesteuerte Politik erst im Katastrophenfall Probleme anpackt. Eigenverantwortung wird allgemein weder gefördert, noch ist sie ausdrücklich erwünscht.
Hilfsangebot vom verfeindeten Georgien
Georgien bot Russland humanitäre Hilfe an. Krasnodar grenzt an die Kaukasusrepublik. Der Schritt der Regierung in Tiflis gilt als ungewöhnlich. Russland und Georgien hatten 2008 Krieg geführt um die von Tiflis abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien.
Rund 300 Kilometer nördlich von Sotschi, wo 2014 die Olympischen Winterspiele stattfinden, sitzt der Schock bei den Betroffenen in Krasnodar tief. Augenzeugen meinen, dass die vorläufige Bilanz des Schreckens noch nicht das wahre Ausmaß der Tragödie widerspiegelt. "Zahlreiche Menschen wurden ins Meer gespült. Niemand kann sagen, wie viele Opfer es gibt", beteuert ein Mann.
Die wirklichen Probleme würden erst beginnen, wenn das Wasser abgelaufen sei, kommentierte der Radiosender Echo Moskwy. "Dann stehen die Menschen vor ihren zerstörten Häusern und verwüsteten Feldern." Die fruchtbaren Böden brachten dem Landstrich den Namen "Kornkammer Russlands" ein. Die Ernte sei gefährdet, meint der Sender. Und der Ruf der Region, die sich regelmäßig auch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin als sorgloses Feriengebiet präsentiert, sei zumindest beschädigt.
Quelle: ntv.de, dpa