Sonderling, Messie, Kunstsammler - Phantom Wer ist Cornelius Gurlitt?
11.11.2013, 15:03 Uhr
Die Klingel am Salzburger Haus von Cornelius Gurlitt.
(Foto: REUTERS)
In seiner Münchener Wohnung versteckte Cornelius Gurlitt einen Milliarden-Kunstschatz. In Deutschland hat er keine Steuernummer. Er hat keine Familie, keinen Job - bloß einen österreichischen Pass. Wer ist dieser unsichtbare Bildersammler? Eine Spurensuche.
Bedeutende Kunstfunde gab es schon immer: Im Juli 1999 finden Grabräuber in Sachsen-Anhalt die Himmelsscheibe von Nebra, eine archäologische Sensation. Im Oktober 2002 entdecken Zollfahnder in einem ICE zwischen Basel und Freiburg im Gepäck von zwei syrischen Antiquitätenhändlern fast 1000 Kunstgegenstände aus Raubgrabungen. Der Wert liegt in Millionenhöhe.
Doch das ist alles nichts gegen die unglaubliche Entdeckung von gut 1400 Spitzenkunstwerken in der Wohnung des fast 80 Jahre alten Österreichers Cornelius Gurlitt. Zwar mussten Fachleute damit rechnen, dass noch viele Bilderschätze, die seit dem Dritten Reich als verschollen galten, auftauchen würden. Mit einem Sensationsfund dieser Größe hat jedoch niemand gerechnet. Umso weniger, als der Mann, der den Kunstschatz vor der Welt versteckte, ein nahezu Unbekannter ist. Wer ist dieser kauzige Mann, den Journalisten jetzt in einem Münchner Einkaufszentrum aufgestöbert haben?
In München war er nicht gemeldet, obwohl er hier zusammen mit seiner Mutter bis zu ihrem Tod v or zwei Jahren im Stadtteil Schwabing in einer Wohnung am Hofgarten lebte. Sehr zurückgezogen, fast ohne Kontakt zur Außenwelt. Öffentlich trat er so gut wie nie in Erscheinung. Gurlitt hat in Deutschland keine Steuernummer, bezieht keine Rentenversicherung und ist hierzulande nicht krankenversichert. Er hat keine Familie, keinen Job - bloß einen österreichischen Pass.
Der Mann mit dem Dachschaden
Spuren führen nach Salzburg. Das Einfamilienhaus im noblen Stadtteil Aigen ist genauso mysteriös wie sein Besitzer. Zugewuchert und verwahrlost passt es nicht zu den adretten Häusern aus den 1950er Jahren und den modernen Villen. Ein Schandfleck im Nobelviertel. Der lebendigste Part des verlassenen Häuschens ist der knar zende Briefschlitz. Anwohner erklären, Gurlitt dort seit Jahren nicht mehr gesehen zu haben. Sie beschreiben ihn als Sonderling, als scheu und unscheinbar, als einen Eigenbrötler, der stets adrett gekleidet war und einen bescheidenen Volkswagen fuhr.
Ein Nachbar berichtet dem "Focus", dass es fast 45 Jahre gedauert habe, bis er Gurlitt zum ersten Mal gesprochen habe. Er beschreibt den Kunsthändler als blass, klein von Statur, elegant gekleidet und sehr wortkarg. Er habe ihn gefragt, ob er der Besitzer des Hauses sei, doch keine Antwort bekommen. Untypisch sei das für eine Gegend, in der man sich gerne grüßt. Irgendwann hörte der Nachbar auf, sich über Gurlitts starren Blick zu wundern. Normal wurde dagegen dessen gepflegtes Äußeres, das im Widerspruch zur Verwahrlosung des Anwesens stand. "Wir sind halt davon ausgegangen, dass sich der Mann in der Dresdner Bombennacht einen Dachschaden geholt hat."
Auch in Salzburger Galerien ist der Name Gurlitt unbekannt. Laut der Staatsanwaltschaft Salzburg soll allerdings vor zwei Jahren ein Rechtshilfeersuchen aus Augsburg in Sachen Gurlitt vorgelegen haben. Demnach ermittelten die Kollegen aus Deutschland wegen möglicher Steuerhinterziehung. Die Ermittlungen wurden aufgrund mangelnder Verdachtslage aber abgeschmettert.
Pathologischer Messie, lieb und umgänglich
Was man über Gurlitt lesen kann, klingt widersprüchlich. So beschreibt der "Focus" ihn als pathologischen Messie, der die bedeutenden Kunstwerke neben vergammelten Lebensmitteln hortete. "Lieb und umgänglich" beschreibt ihn dagegen die Münchner Lempertz Galeristin Emma Bahlmann in der "Süddeutschen Zeitung" - und "absolut seriös".
Dass Cornelius Gurlitt fast ebenso unsichtbar sein konnte wie der Kunstschatz in seiner Wohnung, ist erstaunlich, denn Gurlitt ist der Spross einer Dynastie von Kunsthändlern. Die Gurlitts zählten über mehrere Generationen hinweg zur Elite der deutschen Kunstszene. Sein Großvater, der ebenfalls Cornelius hieß, war Architekt und Kunsthistoriker. Dieser wiederum war Sohn eines Landschaftsmalers und Neffe des Komponisten und Musiktheoretikers Gustav Cornelius Gurlitt. Willibald Gurlitt, der ältere Sohn von Cornelius, war ein bedeutender Musikwissenschaftler. Die nun gefundenen Bilder gehen mutmaßlich auf dessen Bruder Hildebrand Gurlitt zurück, den 1895 in Dresden geborenen Vater von Cornelius.
Von den Nazis verhasst
1930 verlor Hildebrand Gurlitt seinen Posten als Direktor des König-Albert-Museums in Zwickau. Später verjagten ihn die Nazis von seiner Stelle als Direktor des Kunstvereins in Hamburg - weil er sich vehement für moderne Kunst einsetzte und weil er eine jüdische Großmutter hatte. Daraufhin machte er sich als Kunsthändler selbstständig. Doch dann kamen ausgerechnet die Nazis auf ihn zu. Er erhielt von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels den Auftrag, Bilder weiterzuverkaufen, welche die Nazis als "entartete Kunst" aus den Museen entfernt und enteignet hatten - und diese im Ausland zu Geld machen wollten.
Gurlitt gehörte bald zum kleinen Kreis der sogenannten Verwerter, die für das Regime mit "entarteter Kunst" handelten. Zudem beauftragte ihn Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels, im besetzten Frankreich Kunst für das geplante "Führermuseum" in Linz zu kaufen.
Gurlitt konnte so vermutlich Hunderte von Bildern günstig erwerben. Nach dem Krieg konnte er sich wieder als Händler etablieren, weil er von den US-Amerikanern als Verfolgter eingestuft wurde. Er amtierte noch einige Jahre lang als Leiter des Düsseldorfer Kunstvereins. 1956 starb er bei einem Verkehrsunfall. Über den Verbleib der Raubkunst hat er sich nie wirklich erklären müssen. Er habe, schreibt der "Focus", einzig berichtet, dass in der Nacht des 13. Februar 1945, als Dresden bombardiert wurde, alle Bilder seines Privatbesitzes verbrannt seien. Das war offenkundig eine Lüge.
Quelle: ntv.de