Tod einer Mitbewohnerin Wie Knox der "Engel mit den Eisaugen" wurde
30.01.2014, 10:14 Uhr
Die juristischen Auseinandersetzungen um den Tod von Meredith Kercher im italienischen Perugia gehen ins siebte Jahr. Doch im Zentrum des Falls steht nicht die Suche nach dem Mörder der jungen Frau, sondern der möglichst sensationelle Blick auf die Angeklagte Amanda Knox.
Im Spätsommer 2007 beginnen in der italienischen Universitätsstadt Perugia zwei junge Frauen ihr Auslandsstudium, die Britin Meredith Kercher und die US-Amerikanerin Amanda Knox. Der Zufall will es, dass die beiden in eine Wohngemeinschaft ziehen. Drei Monate später ist Meredith Kercher tot und Amanda Knox als ihre mutmaßliche Mörderin weltberühmt.
Seitdem hat sich der Mordfall Kercher zu einem der bizarrsten Verfahren entwickelt, die je um ein Tötungsverbrechen geführt wurden. Der nun zu Ende gehende Prozess ist bereits der dritte, in dem es um den Fall geht. Wahrscheinlich wird es noch nicht der letzte gewesen sein. Da das Gericht in zweiter Instanz urteilt, können sowohl Anklage als auch Verteidigung Berufung einlegen. Es ist wahrscheinlich, dass sich Italiens höchstes Gericht, der Kassationsgerichtshof in Rom, noch ein zweites Mal mit dem Fall befassen muss.
Nicht die Tat an sich ist besonders spektakulär, vielmehr sind es die Bemühungen der italienischen Polizei und Justiz, die richtigen Täter zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. In der Nacht vom 1. auf den 2. November wird die damals 21-Jährige Meredith Kercher vergewaltigt und später halbnackt, von Messerstichen übersät und mit durchschnittener Kehle in ihrem WG-Zimmer gefunden. Ein Fenster ist eingeschlagen. Die italienischen Mitbewohnerinnen sind bei ihren Familien, Knox entdeckt die Tat, als sie von ihrem Freund Raffaele Sollecito in die Wohnung zurückkehrt. Das Paar ist erst wenige Tage zusammen.
Schlampereien am Tatort
Schon die Ermittlungen unmittelbar nach der Tat lassen erfahrenen Kriminalisten die Haare zu Berge stehen. Bei verschiedenen Untersuchungen wird den Carabinieri schlampige Tatortarbeit nachgewiesen, die Polizisten hätten in Kerchers Zimmer keine Schutzkleidung getragen und den Tatort nicht nach internationalen Maßstäben gesichert.
Die Folge sind verunreinigte DNA-Spuren und eine unzulängliche Beweislage. Hinzu kommt, dass Knox, die zu diesem Zeitpunkt kaum italienisch spricht, zwar ein Geständnis ablegt, jedoch nach stundenlanger Vernehmung ohne Anwalt und Übersetzer. Knox berichtet außerdem von Schlägen. Später widerruft sie die Aussage.
Der mit ihr angeklagte Sollecito bestreitet die Tat die ganze Zeit über. Hinter den Kulissen gibt es jedoch Versuche, ihn dazu zu bewegen, seine Freundin zu belasten. Doch Sellecito verweigert einen Deal. Zwischenzeitlich kommt ein weiterer Beschuldigter ins Spiel, den Knox der Tat beschuldigt. Doch der Mann hat ein Alibi, er kommt frei, Knox wird wegen der falschen Anschuldigung zu drei Jahren Haft verurteilt, die sie zu diesem Zeitpunkt jedoch schon abgesessen hat. Später entschuldigt sie sich bei dem Mann und schreibt ihre Falschaussage dem enormen Druck der Vernehmung zu.
Der Fall Rudy Guedé
Der einzige mutmaßlich Schuldige, dessen DNA tatsächlich am Tatort gefunden wird und der sich durch die Flucht nach Deutschland zusätzlich verdächtig macht, Rudy Hermann Guedé, erhält aus kaum nachvollziehbaren Gründen ein abgekürztes Verfahren. Der wegen Einbrüchen und Gewalttaten vorbestrafte Ivorer wird schließlich zu 30 Jahren Haft statt lebenslänglich verurteilt, im zweiten Revisionsverfahren wird die Strafe auf 16 Jahre reduziert, da Guedé nicht allein gehandelt habe. Schließlich bekommt er die Aussicht, nach der Verbüßung von 4 bis 5 Jahren wieder auf freien Fuß zu kommen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Tatvorwurf des Diebstahls komplett fallengelassen wird, obwohl Kercher erwiesenermaßen 300 Euro, zwei Kreditkarten und zwei Mobiltelefone entwendet wurden.
Dafür belastet Guedé später vor allem Knox schwer, allerdings lässt die Art der Befragung voller Suggestivfragen kriminalistische Unabhängigkeit vermissen. Später sagt der inhaftierte Mafia-Boss Luciano Aviello aus, sein Bruder habe Kercher bei einem Einbruch getötet, zieht die Aussage zurück, nur um sie dann noch einmal zu machen. Ein Mithäftling Guedés berichtet außerdem, der Ivorer habe bei Gesprächen im Gefängis Knox und Sollecito entlastet und die Tat einem anderen Afrikaner angelastet.
Erstes Urteil: Schuldig, zweites Urteil: Unschuldig
Im Dezember 2009 werden Knox und Sollecito jedoch des Mordes und der sexuellen Nötigung schuldig gesprochen und zu 26 beziehungsweise 25 Jahren Haft verurteilt. In der Berufungsinstanz werden die Urteile zwei Jahre später aufgehoben, Knox und Sollecito werden freigesprochen und im Oktober 2011 aus der Haft entlassen. Knox kehrt vier Jahre nach ihrer Ankunft in Perugia in die USA zurück.
Das Verfahren war von Übersetzungsfehlern, unglaubwürdigen Zeugen und unlogischen Indizienketten geprägt. Begleitet wurde es von einer medialen Hexenjagd auf Knox, "voller Frauenfeindlichkeit und Aberglaube", wie es der italienische Journalist Mario Spezi beschrieb. Aus der jungen Studentin Knox wurde so der "Engel mit den Eisaugen", dem jede Geste und jeder Kinderspitzname zum Beweis ihrer Mordlust gereichte.
Die Familie Knox setzte schließlich auf die Hilfe einer professionellen PR-Agentur, um der medial vorgefassten Meinung eine andere Sicht auf Amanda entgegen zu setzen. So wurde der Fall auch zu einem Paradebeispiel für prozessbegleitende Öffentlichkeitsarbeit. Ohne diese Litigation-PR hätte es den Freispruch möglicherweise nicht gegeben. Zu den Absonderlichkeiten des Prozesses gehört jedoch auch, dass die italienische Justiz massiv mit Verleumdungsklagen gegen Journalisten vorging, die an der offiziellen Tatversion zum Kercher-Mord Zweifel anmeldeten.
Satan und Dämonen
Was wirklich in der Mordnacht geschah, darüber gehen die Meinungen noch immer auseinander. Die Staatsanwaltschaft vertritt seit Jahren die These, eine Mischung aus ausgeuferten Alkohol- und Drogenexzessen sowie Sexspielen habe zu Kerchers Tod geführt. Knox ist in dieser Version eine sexsüchtige junge Frau, die Hexe, die zwei Männer dazu brachte, Kercher mit ihr gemeinsam umzubringen.
Wegen dieser Einschätzung geriet vor allem Staatsanwalt Guliano Mignini in die Kritik, dessen Festlegung auf Knox und Sollecito durchaus als Vorverurteilung, möglicherweise aber auch als Besessenheit bezeichnet werden kann. Der streng katholische Mignini spann eine Verschwörungstheorie, in der von "satanischen Ritualen" und "dämonischen Motiven" die Rede war. Vielleicht hätte man stutzig werden sollen, weil diese Argumentation schon 2001 große Teile seiner Anklageschrift zu einer ungeklärten Mordserie bildete. Die damals angeklagten 20 mutmaßlichen Mitglieder einer satanischen Sekte wurden übrigens freigesprochen.
Im jetzigen Prozess war dann auch hauptsächlich von mutmaßlichen Streitereien zwischen Kercher und Knox als mögliches Mordmotiv die Rede. Doch auch Knox hat mit ihren widersprüchlichen Aussagen Vertrauen verspielt. Und wegen der unprofessionellen Polizeiarbeit lassen sich einige Fragen am Ende wohl nicht eindeutig beantworten. Und Knox hofft noch immer, dass "ein für alle Mal festgestellt wird, dass ich meine Freundin Meredith nicht ermordet habe".
Quelle: ntv.de