Panorama

Ursachenforschung nach Zugunglück Wut und Trauer in Argentinien

Polizisten und Sicherheitskräfte stehen an der Unglücksstelle.

Polizisten und Sicherheitskräfte stehen an der Unglücksstelle.

(Foto: dpa)

Dutzende Menschen sterben bei einem Zugunglück in Buenos Aires, über 650 werden verletzt. In Argentinien herrscht Staatstrauer, die Fahnen hängen auf Halbmast. Wie konnte es zu der Katastrophe im Bahnhof Once kommen? Noch ist alles Spekulation. Aber viele machen auch das marode Bahnsystem verantwortlich.

Argentinien trägt Trauer. Nach einem der wurden noch anstehende Karnevalsveranstaltungen in der Hauptstadt abgesagt. Präsidentin Cristina Kirchner zeigte sich erschüttert und ordnete zwei Tage Staatstrauer an. Die Fahnen hängen auf Halbmast. Wie es zu der Tragödie kommen konnte, darüber gibt es derzeit nur Spekulationen. In die Trauer mischte sich aber auch Wut über das als veraltert geltende Bahnsystem, in das viel zu wenig investiert werde.

"Die Züge sind eine Schande", schrieb etwa "Clarin"-Chefredakteur Ricardo Kirschbaum in einem Kommentar. "Das Eisenbahnsystem liegt seit langem im Koma, die Passagiere müssen gedrängt und unter unsicheren Bedingungen reisen." Als mögliche Ursache für die Tragödie wird ein technischer Fehler nicht ausgeschlossen. Die Bremsen an dem Zug sollen defekt gewesen sein, möglicherweise sogar schon länger. Sicher ist nur: Der Zug kam nicht zum Stehen und fuhr direkt in die Katastrophe.

Manager des Zugbetreibers wird ausgebuht

Auch "menschliches Versagen" werde untersucht, sagte ein Manager des Betreibers "Trenes de Buenos Aires" (TBA). Bei TBA gebe es mehr Investitionen als bei anderen Gesellschaften. Die Züge und die Sicherheit seien in einem guten Zustand, betonte Cirigliano. Er wurde bei der spontanen Pressekonferenz am Bahnhof nach Medienangaben von Passagieren beschimpft wurde und musste sich zurückziehen.

Verletzte Personen werden notversorgt.

Verletzte Personen werden notversorgt.

(Foto: dpa)

Viele Familien der Verletzten und Todesopfer blieben im Ungewissen über das Schicksal ihrer Angehörigen. Einige fuhren zu den Hospitälern und auch zur Leichenhalle. "Er ist nicht auf der Arbeit erschienen und taucht auch auf keiner Liste auf", sagte die Mutter des 20-jährigen Lucas Menghini Rey, der jeden Morgen mit der Bahn zur Arbeit fuhr. Die ganze Familie suche nach ihm. "Irgendwo ist er, tot oder lebendig", sagte die verzweifelte Mutter der Zeitung "La Nacion".

Auch der 28-jährige Zugführer wurde bei dem Unglück verletzt. Er liegt noch auf der Intensivstation eines Krankenhauses, ist aber nach lokalen Medienberichten außer Lebensgefahr.

"Ich flog von einem Waggon in den anderen"

Die Uhr zeigte 08.32 Uhr als der Kopfbahnhof Once an Mittwoch in der Millionenmetropole Buenos Aires ins Chaos stürzte. Es war Hauptverkehrszeit. Hunderttausende nutzen täglich den Bahnhof, der westliche Vororte von Buenos Aires verbindet. Viele Pendler steigen dort in die U-Bahn oder in Busse um. Das wollte auch Fabio Cordone, der im dritten Waggon fuhr, als die Fahrt jäh durch den gewaltigen Aufprall endete. "Ich flog von einem Waggon in den anderen", berichtete der 37-Jährige einem Reporter der Zeitung "Clarin".

Hubschrauber fliegen schwer verletzte Menschen ins Krankenhaus.

Hubschrauber fliegen schwer verletzte Menschen ins Krankenhaus.

(Foto: dpa)

Vor allem im vorderen Zugteil hielten sich viele Passagiere auf, die möglichst schnell aussteigen wollten, um rasch zu den U-Bahnen zu kommen. Der Zug "N°3772" rollte schon auf Gleis zwei im Bahnhof Once in Buenos Aires ein. Aber er hielt nicht. Erst ein Prellbock am Gleisende stoppte den Pendlerzug aus dem rund 40 Kilometer entfernten Moreno.

"Ich sah, wie Fensterscheiben umherflogen und eine Person, die nah am Fenster saß, wurde aus dem Zug auf die Bahntrasse geschleudert", sagte Cordone, der bei dem Unglück "nur" am Bein verletzt wird. Binnen Minuten verwandelte sich der Bahnhof in ein Katastrophengebiet. Feuerwehrmänner, Bahnpersonal, Ärzte und Sanitäter arbeiteten daran, die Menschen aus dem Zug zu bekommen und medizinisch zu versorgen. Es dauerte vier lange Stunden bis keine Menschen mehr im Zug waren.

Waggons schieben sich ineinander

Durch die massive Wucht des Aufpralls schob sich der erste Wagen des Zuges mehrere Meter in den zweiten hinein. "Die Sitze sind einfach umgeknickt wie Papier", beschrieb ein Überlebender die Horror-Szenen aus dem Inneren des Todeszuges. Auf dem Bahnsteig lagen Verletzte, einige blutüberströmt. Knochenbrüche und Quetschungen waren die häufigsten Verletzungen. Andere überstanden das Unglück nur mit ein paar Kratzern. Alle wirkten aber geschockt.

Auch Verkehrsminister Juan Pablo Schiavi betonte in einer Pressekonferenz, dass er so etwas noch nie gesehen habe. Er teilte erste Fakten mit. Danach war der Zug 1000 Meter vor dem Aufprall noch 47 km/h schnell, wie Daten des Satelliten-Systems GPS belegten. Dann verlangsamte der 28-jährige Zugführer die Geschwindigkeit auf 39 km/h. Dann weiter auf 37, 26 und 20 Stundenkilometer. "Das waren die gewöhnlichen Geschwindigkeiten", sagte Schiavi. "Aber wir wissen nicht, was auf den letzten 40 Metern passiert ist. Der Zug hat nicht gehalten."

Quelle: ntv.de, Helmut Reuter, dpa

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