Neunter Amtrak-Unfall 2015 Zug raste ins Unglück
14.05.2015, 05:00 Uhr
Menschen wirbeln in den Abteilen durch die Luft wie Papier. Waggons liegen kreuz und quer. Schweres Metall ist komplett verbogen: Die Bilder des entgleisten Amtrak-Zuges an der US-Ostküste sind grausam, der Grund für das Unglück ist wohl bereits gefunden.
Der in Philadelphia verunglückte Zug ist nach Berichten mehrerer US-Medien anscheinend viel zu schnell gefahren. Als der Zug viel zu schnell unterwegs gewesen sei, habe es eine "volle Anwendung der Notbremse" durch den Fahrer gegeben, sagte Robert Sumwalt von der Transportsicherheitsbehörde NTSB. Dadurch sei die Geschwindigkeit des Zuges aber nur um ein paar Meilen pro Stunde reduziert worden. Der NTSB-Ermittler stützte sich bei seinen Angaben auf den Datenschreiber des Zuges.

Das Unglück entfacht eine neue Diskussion über den Zustand des teils maroden US-Schienennetzes und die Finanzierung der Bahngesellschaft Amtrak.
(Foto: REUTERS)
Ersten Ermittlungen zufolge war der Regionalzug mit mehr als 100 Meilen pro Stunde (mehr als 160 Stundenkilometer) in eine Kurve gerast und damit doppelt so schnell wie erlaubt. Die Notbremsung verlangsamte den Zug laut Sumwalt nur von 106 auf 102 Meilen pro Stunde. "Es dauert eine lange Zeit und Strecke, einen Zug abzubremsen", sagte der NTSB-Ermittler.
Sumwalt hob hervor, dass ein System zur Geschwindigkeitskontrolle der Amtrak-Züge auf dem Streckenabschnitt des Unglücks noch nicht in Betrieb sei. "Wir denken, dass wenn solch ein System in dem Abschnitt installiert gewesen wäre, der Unfall nicht geschehen wäre", fügte der Experte hinzu. Mindestens sieben Menschen kamen ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.
Immer noch Vermisste
Sumwalt und seine Kollegen wollen für die Untersuchung des Unglücks noch etwa eine Woche vor Ort bleiben. Auch Ermittler der Bundespolizei FBI waren vor Ort. Mehr als 16 Stunden nach dem nächtlichen Unfall wurden noch mehrere Passagiere vermisst. "Wenn Sie in dem Zug waren und wohlauf sind, melden Sie sich bitte", bat Samantha Phillips von der städtischen Notfall-Behörde. "Bitte rufen Sie an, wenn es Ihnen gut geht."
Das Suchgebiet wurde ausgeweitet, falls Menschen weit aus dem Zug geschleudert wurden. Bürgermeister Michael Nutter versprach, dass jeder Abschnitt der Unfallstelle genau durchsucht werde.
Der Zug der staatlichen Amtrak-Gesellschaft war am Dienstagabend (Ortszeit) auf dem Weg von Washington nach New York nach einer scharfen Kurve plötzlich entgleist. Sechs Waggons und die Lokomotive sprangen von den Schienen. An Bord waren 238 Passagiere und 5 Crewmitglieder. Viele der Verletzten konnte dem Sender CNN zufolge nach der Behandlung das Krankenhaus wieder verlassen. Sie hätten häufig Schnitt- und Schürfwunden, Prellungen und Knochenbrüche erlitten.
"Unbeschreibliche" Bilder
Das US-Fernsehen zeigte Bilder von einem Waggon, der einem Riesenknäuel von verbogenem Metall glich. Andere Wagen lagen auf der Seite, die Lokomotive hatte sich vom Rest des Zuges getrennt. "Diese Waggons zu sehen, diese riesigen Metallfahrzeuge auf dem Kopf liegend, eines davon fast entzweit, der Motor komplett getrennt, ist nahezu unbeschreiblich", sagte Nutter.
Augenzeugen sprachen von blutüberströmten Menschen, die durch Fenster ins Freie gezogen wurden. "Ein totales, katastrophales Durcheinander", beschrieb Nutter die nächtliche Szene nach dem Unfall. Die Wucht beim Entgleisen war Augenzeugenberichten zufolge so groß, dass Passagiere, Gepäck, Laptops und Handys durch die Luft wirbelten. Menschen krochen durch die Gänge und versuchten, durch Fenster und Türen ins Freie zu gelangen.
Republikaner kürzen Amtrak-Budget
Präsident Barack Obama bekundete in einem Telefonat mit dem Bürgermeister und einer schriftlichen Mitteilung "tiefe Trauer" und Anteilnahme. Der Unfall sei eine "Tragödie», die uns alle betrifft", erklärte der Präsident. Er sicherte Nutter die Unterstützung der Bundesbehörden bei der Aufklärung der Unfallursache zu. Das Unglück entfachte eine neue Diskussion über den Zustand des teils maroden US-Schienennetzes und die Finanzierung der Bahngesellschaft Amtrak. Nur Stunden nach dem Unfall stimmten die Republikaner im Budgetausschuss des Abgeordnetenhauses für eine Kürzung des Amtrak-Budgets um rund 270 Millionen Dollar (238 Millionen Euro), was Kritik bei Demokraten auslöste.
Der Ostküstenkorridor zwischen Washington und Boston mit den Stationen Philadelphia und New York ist die meistbefahrene Bahnstrecke Nordamerikas. Es war bereits der neunte Unfall eines Amtrak-Zuges in diesem Jahr. Allerdings passierten die meisten Unglücke bei Kollisionen mit Fahrzeugen auf Bahnübergängen. Im Jahr 1943 waren bei einem Bahnunglück an der gleichen Stelle in Philadelphia 79 Menschen ums Leben gekommen.
Quelle: ntv.de, bad/dpa/AFP