Fragen und Antworten Was spricht für die Bombentheorie?
05.11.2015, 14:00 Uhr
Die sterblichen Überreste der Opfer sind weitgehend geborgen.
(Foto: AP)
Auch wenn Ägypten bisher keine Beweise für eine Bombenexplosion an Bord von Flug 9268 sieht, verdichten sich die Anzeichen dafür. Doch was spricht für diesen Hergang und wäre der IS überhaupt in der Lage zu einer solchen Attacke? Noch ist vieles Spekulation.
Woher kommt die neue Einschätzung, eine Bombe könnte den Absturz verursacht haben?
Großbritanniens Außenminister Philip Hammond teilte am späten Mittwochabend nach einer Sitzung des britischen Sicherheitskabinetts mit: "Wir haben festgestellt, dass es eine signifikante Möglichkeit gibt, dass der Absturz durch einen Sprengsatz an Bord des Flugzeugs verursacht wurde." Einen Tag später legte Großbritanniens Premierminister David Cameron noch einmal nach: "Wir können nicht sicher sein, dass das russische Passagierflugzeug von einer terroristischen Bombe zum Absturz gebracht wurde", sagte Cameron, "aber es sieht mit zunehmender Wahrscheinlichkeit aus, als sei das der Fall gewesen." Ein Anschlag sei wahrscheinlicher, als dass es keiner war, fügte er hinzu. Hintergrund sind offenbar neue Einschätzungen von britischen und US-Geheimdiensten. Demnach vermuten die Geheimdienste, dass die Terrorgruppe Islamischer Staat oder einer ihrer Ableger eine Bombe an Bord der russischen Passagiermaschine platziert haben könnten. Zu den Szenarien der Geheimdienstexperten gehört auch, dass ein Flughafenmitarbeiter die Bombe an Bord gebracht haben könnte. Inzwischen wurde der bisherige Chef des Flughafens von Scharm el Scheich abgesetzt.
Gibt es für die Bombentheorie Beweise?
Noch gibt es keinen formalen Abschlussbericht, auch seien die forensischen Beweise von der Absturzuntersuchung nicht gesichtet worden, heißt es dazu aus Geheimdienstkreisen. Allerdings tauchte ein Video auf, das die Explosion des Flugzeugs und den anschließenden Absturz vom Boden aus gefilmt zeigen soll. Das Bundeskriminalamt bestätigte der "Welt", dass man entsprechende Hinweise weitergegeben habe. Eine Aussage darüber, ob das Video den Absturz der russischen Passagiermaschine vom 31. Oktober 2015 zeigt, wollte das BKA aber nicht treffen.
Zuvor hatte sich der Verdacht auf eine Explosion durch Kommunikationen erhärtet, die innerhalb des IS abgefangen wurden. Diese seien unabhängig von der öffentlichen Erklärung, in der der IS die Verantwortung für den Absturz übernahm, sagte ein US-Beamter dem Sender CNN. In einer Audio-Nachricht, die am Mittwoch auf einschlägigen Social-Media-Kanälen verbreitet wurde, bestand der IS zudem hartnäckig darauf, dass sie es waren, die das Flugzeug zum Absturz brachten. n-tv Terrorismusexperte Michael Ortmann wertet die Bekennernachrichten des IS als deutliches Zeichen: "Da sich der Islamische Staat so schnell zu einem Attentat auf Flug 7K9268 bekannt hat, mit dem Wissen, dass große Ermittlungen folgen, kann man wohl davon ausgehen, dass der IS weiß, dass es sich um einen Anschlag handelt."
Wäre der IS dazu in der Lage?
Das US-Außenministerium sieht im Sinai-Ableger des IS eine der aktivsten Mitgliedsorganisationen des Terrornetzwerks, das mit Sicherheit in der Lage sei, Bomben herzustellen. Wenn es jedoch gelungen sei, einen Sprengsatz an Bord eines Flugzeugs zu bringen, würde diese eine Zunahme der Bedrohung darstellen.
Was könnte den IS bewegt haben, dieses Flugzeug als Ziel auszuwählen?
Russland hat im September damit begonnen, Ziele in Syrien aus der Luft anzugreifen. Zur Erklärung hieß es, man stimme sich mit der Regierung in Damaskus ab, um vor allem IS-Stellungen und andere terroristische Gruppen zu treffen. Deshalb könnte der Angriff auf die Passagiermaschine eine Vergeltungaktion für die russischen Luftangriffe sein. Die meisten Passagiere an Bord des Flugzeugs der russischen Fluggesellschaft Metrojet waren Russen. Bei dem Absturz waren alle Passagiere und Crew-Mitglieder ums Leben gekommen.
Welche anderen möglichen Unglücksursachen könnte es noch geben?
Möglich wäre auch eine technische Absturzursache. Ägyptens Zivilluftfahrt-Minister Hossam Kamal sagte, es habe keine Anzeichen für Probleme an Bord des Fluges gegeben. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu früheren Berichten, denen zufolge der Pilot darum gebeten hatte, wegen technischer Probleme notlanden zu dürfen. Die Witwe des Copiloten hatte berichtet, ihr Mann habe vor dem Abflug aus Sharm el-Sheikh geklagt, die Verfassung des Flugzeugs lasse "viel zu wünschen übrig". Der Fluggesellschaft zufolge war die 18 Jahre alte Maschine jedoch voll flugfähig. Noch nicht ausgeschlossen ist auch menschliches Versagen. Der Pilot hatte mehr als 12.000 Stunden Flugerfahrung, davon 3860 in einem A321. Ob trotz der großen Erfahrung ein Fehlverhalten der Crew zum Absturz führte, darüber kann die Auswertung des Stimmenrekorders und des Flugdatenschreibers Auskunft geben. Beide Black Boxes wurden gefunden. Der Stimmenrekorder ist allerdings schwer beschädigt, so dass es nicht einfach sein wird, die Daten auszulesen. Eine weitere These ist, dass das Flugzeug nach einem Raketenbeschuss abstürzte. Sicherheitsexperten stehen diesem Szenario jedoch sehr skeptisch gegenüber. Zum Unglückszeitpunkt befand sich die Maschine in einer Flughöhe, die außerhalb der Reichweite der Raketen liegt, über die der IS bisher bekanntermaßen verfügt.
Was bedeutet der Absturz für Reisen nach Ägypten?
Die Fluggesellschaften Easyjet, Thomson Airways, Thomas Cook und British Airways haben nach eigenen Angaben ihre Flüge zum Flughafen Scharm el Scheich gestrichen oder aufgeschoben. Auch niederländische Fluggesellschaften fliegen die ägyptische Urlaubsregion zunächst bis Sonntag nicht mehr an. Das Auswärtige Amt in Berlin hat seine Sicherheitshinweise für Ägypten bisher nicht verschärft. Allerdings wird bereits seit längerem vor einem erhöhten Risiko terroristischer Anschläge gewarnt. Insbesondere von Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird dringend abgeraten. Deutsche Experten seien an den Untersuchungen zum Absturz des russischen Passagierflugzeugs beteiligt. Da der Flugverkehr teilweise eingeschränkt sei, sollten Reisende Kontakt zu ihrer Fluggesellschaft oder ihrem Reiseveranstalter aufnehmen.
Quelle: ntv.de