Seit einem Jahr wird velibriert Paris fährt Rad
09.07.2008, 11:18 Uhr Paris per Rad ist herrlich: Kein Metro-Geratter in den Ohren, Fahrradwege, auf denen man bequem am Stau vorbeifährt - und in den meisten Fällen ist der Radler auch noch schneller am Ziel als der Metro- oder Autofahrer. Billiger ist es allemal. Ein Parkplatz in Paris kostet am Tag so viel wie ein Kinobesuch samt Popcorn, vom Benzin gar nicht zu reden. Die Metro ist mit 1,50 Euro pro Ticket zwar relativ billig, aber dafür häufig übervoll und stickig. Da scheint es umso erstaunlicher, dass die Pariser das Fahrradfahren erst spät als allgemeines Fortbewegungsmittel anerkannt haben - und zwar ziemlich genau vor einem Jahr. Der Dank gebührt einem robusten grauen Drahteselchen namens "Velib".
Leihfahrräder im Selbstbedienungsverfahren gibt es auch anderswo: In Deutschland stellt die Bahn in mehreren Großstädten Räder zur Verfügung, die per Mobiltelefon gemietet werden können, in Brüssel und Washington gibt es ähnliche Systeme. Aber nirgendwo haben die Fahrradparks an den Straßenrändern und die radelnden Hauptstädter das Stadtbild und die Stadtkultur so verändert wie in Paris. Allerdings sind auch mehr Radunfälle zu beklagen als zuvor, bislang kamen drei Velib-Nutzer bei Unfällen ums Leben.
Fisch sucht Fahrrad mal anders
"Velib" ist inzwischen auch als Verb in die französische Umgangssprache eingegangen - ich velibiere, du velibierst.. müsste man übersetzen. Bei Adressenangaben gibt es immer häufiger einen Hinweis auf die nächste Velibstation. Findige Pariser haben "Celib" erfunden, Leihfahrradtouren für Singles auf Partnersuche. Angeblich kommt es am späten Abend, wenn die letzte Metro weg ist, besonders häufig zum Flirt an der Ausleihstation.
Das System ist einfach: Der Radler zahlt eine Abo-Gebühr von etwa 30 Euro pro Jahr oder 1 Euro pro Tag und darf dann jeweils eine halbe Stunde lang gratis fahren. Die Räder können an jeder beliebigen Station entnommen und wieder abgestellt werden. Wer sein Rad an einer höher gelegenen Station - etwa auf Montmartre - abstellt, bekommt 15 Gratisminuten für die nächste Fahrt. Finanziert wird das ganze durch einen Vertrag mit der Werbefirma JCDecaux: Die Firma vermietet lukrative Werbeflächen in der Stadt und kümmert sich im Gegenzug um den Fahrradpark mit derzeit 16.000 Rädern und 1300 Ausleihstation.
Längst noch nicht rentabel
Es gehört zur Velib-Etikette, den Sattel nach hinten zu drehen, wenn das Rad einen Platten oder ein anderes technisches Problem hat, um den Wartungsdienst darauf aufmerksam zu machen. Etwa 3000 Räder sind im Schnitt in Reparatur. Zahlreiche Räder wurden bereits gestohlen, einige tauchten in Containern in der Hafenstadt Marseille wieder auf, eines wurde kürzlich in Rumänien entdeckt. Von Rentabilität ist bei JCDecaux längst noch keine Rede - aber das Unternehmen ist zuversichtlich, dass sich das noch einpendeln wird. Die zweite Generation der grauen Stadträder ist noch etwas robuster ausgestattet als die erste.
Einer, der sich besonders über den Erfolg von Velib freut, ist der sozialistische Bürgermeister Bertrand Delano. Er hat das System in Lyon abgeschaut und erkannt, dass er sich damit in Paris beliebt machen kann - schließlich möchte Delano 2012 gerne als Präsidentschaftskandidat antreten. Den bislang größten Triumph wird "Velib" am Ende der Tour de France erleben: Kurz bevor die Sieger der Tour über die Champs lyses fahren, soll eine Staffel von Velib-Fahrern an den Zuschauern vorbeiradeln.
Quelle: ntv.de, Ulrike Koltermann, dpa