Panorama

"Fort muss er, seine Uhr ist abgelaufen!" Schiller als deutscher Zündfunken

In seinen 45 Lebensjahren hat Friedrich Schiller Werke geschaffen, die in vielen Epochen zunächst hoch bejubelt, dann verboten und später wieder fulminant gefeiert wurden.

Friedrich Schiller ist einer der größten deutschen Dichter und Dramatiker.

Friedrich Schiller ist einer der größten deutschen Dichter und Dramatiker.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Als man sich nach der Grundsteinlegung zum Neubau eines Schiller-Museums in Weimar zum 225. Geburtstag des Dichters 1984 in der DDR Friedrich Schiller wieder stärker zuwandte, konnte niemand ahnen, dass es ausgerechnet ein Schiller-Stück war, mit dem fünf Jahre später auf einer ostdeutschen Bühne der Grabgesang auf die DDR eingeläutet wurde. "Was läuft das Volk zusammen, treibt es auseinander! Schafft das freche Volk mir aus den Augen. Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen!" Bei diesen Worten aus Schillers Freiheitsdrama "Wilhelm Tell" konnte das Theaterpublikum in der Ost-Berliner Volksbühne nach den Montagsdemonstrationen in Leipzig im Wendeherbst 1989 nur noch johlen und Beifall klatschen.

Christoph Schroth hatte mit seinem Gastspiel vom Schweriner Theater den Nagel auf den Kopf getroffen und quasi den Fall der Mauer wenige Wochen später vorweggenommen, als im Schlussbild die Schauspieler Zündschnüre an die hier als "Baustelle" ausgewiesene Zwingburg mit den Worten legen: "Reißt die Mauern ein! Wir haben's aufgebaut, wir wissen's zu zerstören!" Gänsehaut, Bravorufe und wahre Beifallsstürme tobten durch den Saal, ähnlich wie schon zuvor bei den gegen den verhassten Landvogt gerichteten Rufen "Fort muss er, seine Uhr ist abgelaufen!" Der Rücktritt des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker erfolgte eine Woche später.

"Wilhelm Tell" erst gefeiert und dann verboten

Schiller im "deutschen 20. Jahrhundert" und im geteilten Deutschland ist eine Geschichte für sich. Leicht vergessen wird auch die frühe Aneignung gerade Wilhelm Tells durch die Nazis und das spätere Verbot durch Hitler persönlich - aus guten Gründen, siehe anno 1989 Ostberlin. Mit dem Schweizer "Wilhelm Tell" wurde 1938 der Anschluss Österreichs ("Heim ins Reich!") noch als "deutsches Nationalepos" theatralisch begangen und verschwand dann bald auf allerhöchste Weisung von den Bühnen.

Der Piscator-Schüler Hansgünther Heyme machte noch 1966 in Wiesbaden Furore, als er den berühmten Rütli-Schwur aus dem Tell mit dem berüchtigten Horst-Wessel-Lied der Nazis ("Die Fahne hoch") unterlegte, wie es im Dritten Reich auch tatsächlich geschehen war. Den Hitler-Attentäter Johann Georg Elser vom Münchner Bürgerbräukeller nennt der Dramatiker Rolf Hochhuth ("Der Stellvertreter") übrigens noch heute den "Wilhelm Tell des 20. Jahrhunderts", weil er den "Schuss" gegen den Diktator gewagt und tatsächlich ausgeführt habe, auch wenn Hitler wenige Minuten vor der Explosion das Versammlungslokal verließ.

Schiller steht für ganzes Deutschland

Friedrich Schiller ist am 10. November 1759 in Marbach geboren.

Friedrich Schiller ist am 10. November 1759 in Marbach geboren.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Nach dem Krieg wurden mit dem Freiheitsdrama das (früher von Heinrich George geleitete) wieder aufgebaute West-Berliner Schillertheater (1951) und die Ost-Berliner Volksbühne wiedereröffnet. "Seid einig, einig, einig!" heißt es in dem Stück und noch 1954 meinte der erste DDR-Kulturminister Johannes R. Becher ("Auferstanden aus Ruinen...Deutschland, einig Vaterland") zum 150. Todestag Schillers, wie sich der renommierte ostdeutsche Theaterkritiker Ernst Schuhmacher erinnert, "Friedrich Schiller ist unser, weil er unser ganzes Deutschland, unsere freie, wiedervereinigte deutsche Nation ist."

Die Zeiten änderten sich, was auch ein anderes Drama von Schiller betraf, die "Wallenstein"-Trilogie, mit dem berühmten Reiterlied von der Freiheit: "Wohlauf Kameraden aufs Pferd, ins Feld, in die Freiheit gezogen...Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist, man sieht nur Herren und Knechte, die Falschheit herrschet, die Hinterlist, bei dem feigen Menschengeschlechte." Das durfte unter dem SED-Chef Walter Ulbricht auf der Bühne nur noch gesummt werden, so wie es Becher mit seiner Zeile der Nationalhymne "Deutschland einig Vaterland" ähnlich erging - sie wurde in der DDR später gar nicht mehr gesungen - je näher die Einheit rückte.

Zehnstündige Wiedergeburt von "Wallenstein"

Die vielleicht bisher spektakulärste Wiedergeburt des "Wallenstein" ist dem "grand old man" des (west)deutschen Nachkriegstheaters, Peter Stein, zu verdanken, der 2007 die gesamte Trilogie in Berlin in vollständiger Länge von zehn Stunden auf die Bühne brachte - in einer stillgelegten Brauereihalle in Berlin-Neukölln, mit Hilfe des von Claus Peymann geleiteten Berliner Ensembles. Stein musste dabei sogar kurzzeitig für den Titeldarsteller Klaus Maria Brandauer einspringen, der sich bei einem Bühnenunfall verletzt hatte, später spielte er die letzten Vorstellungen im Rollstuhl. Der Publikumszuspruch für diese "theatralische Schiller-Zumutung" war enorm.

Am 9. November 2009 nun befragt die früher von Stein und heute von Thomas Ostermeier geleitete Berliner Schaubühne am Lehniner Platz mit seinen eigenen Worten: "Was kann eine gute und stehende Schaubühne eigentlich bewirken?" Es gehe um "menschliche Schwächen", "sowohl denen Schillers als auch denen des ganzen Menschengeschlechts überhaupt" - unter dem macht es die Schaubühne selten. Also es geht vor allem "um Liebe und Geld", Schiller also forever und wohl ewig aktuell, wie jedes gute Theater.

Quelle: ntv.de, Wilfried Mommert, dpa

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