Sarkozy lehnt "Sparkommissar" ab 25 EU-Staaten paktieren
30.01.2012, 22:14 Uhr
Merkel musste sich Einiges anhören in Brüssel. Im Hintergrund Frankreichs Präsident Sarkozy und Italiens Premier Monti (r.).
(Foto: dpa)
Der Gipfel dauert natürlich länger als geplant. Doch immerhin einigen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel auf den Fiskalpakt. Damit gelten striktere Regeln in Haushaltsfragen. Nur Großbritannien und Tschechien bleiben außen vor. Hohe Wellen schlägt der deutsche Ruf nach einem "Sparkommissar" in Athen. Merkel versucht, zu beschwichtigen.
Beim EU-Gipfel in Brüssel haben zunächst 25 EU-Länder zugesagt, sich an dem Pakt für strenge Haushaltsdisziplin zu beteiligen. Dies betätigte EU-Ratspräsident Herman van Rompuy im Kurznachrichtendienst Twitter. Auch der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt sagte bei dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs, alle 27 EU-Länder "außer Großbritannien und Tschechien" hätten ihre Beteiligung erklärt. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte den Kompromiss "eine wirkliche Meisterleistung". Scharfe Kritik musste Deutschland dagegen für seine Forderung nach einem "Sparkommissar" für Griechenland einstecken.
Das Ziel des sogenannten Fiskalpakts ist, verlorenes Vertrauen an den Finanzmärkten wiederzugewinnen. Ein strikter Sparkurs soll die Staatsdefizite begrenzen und Fälle wie Griechenland künftig verhindern. Besonders Deutschland und Frankreich hatten auf den Pakt gepocht. Großbritannien hatte eine Teilnahme bereits im Dezember abgelehnt und sich nicht aktiv an der Verhandlung des Abkommens beteiligt. Tschechien stimmt dem Abkommen nach Angaben von EU-Diplomaten "im Moment" nicht zu, könne jedoch noch nachziehen. Ursache seien Abläufe zur Ratifizierung des Pakts, sagte Reinfeldt. Der Vertrag soll nach bisherigem Zeitplan im März unterschrieben werden und muss dann noch von den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden.
Defizitgrenze wird abgesenkt
Mit dem Vertrag verpflichten sich die Unterzeichnerländer, striktere Regeln zur Haushaltsdisziplin zu befolgen als in den EU-Verträgen vereinbart. Die Grenze für das strukturelle Defizit des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird zum Beispiel auf nur 0,5 Prozent festgelegt, anstatt auf 1,0 Prozent wie im EU-Recht. Zudem sollen die Unterzeichner wie Deutschland eine verpflichtende Schuldenbremse in ihrem nationalen Recht verankern. Bei Verstößen werden automatisch Defizitverfahren ausgelöst, die nur durch ausdrückliches Mehrheitsvotum der Unterzeichnerstaaten gestoppt werden können. Zudem räumen die Staaten der EU eine schärfere Haushaltskontrolle ein.
Streit hatte zuletzt noch darüber gegeben, inwiefern Nicht-Euro-Länder, die den Pakt unterzeichnen, an Gipfeln der Euroländer teilnehmen dürfen. Reinfeldt zufolge sieht ein Kompromiss nun vor, dass sie "mindestens an einem Gipfel jährlich teilnehmen" sowie an solchen Treffen der Staats- und Regierungschefs, auf denen es sich etwa um Wettbewerbsfähigkeit, den generellen Aufbau der Eurozone sowie künftige Regeln für die Währungsgemeinschaft dreht.
Merkel bemüht sich um Schadensbegrenzung
Unterdessen bleibt die Bundesregierung, ungeachtet heftiger Kritik aus ganz Europa, bei ihrer Forderung nach verstärkter Kontrolle für Griechenland. In der Debatte um einen "Sparkommissar" für Athen bemühte sich Kanzlerin Merkel aber um Schadensbegrenzung. Sie machte deutlich, dass mit - und nicht gegen Griechenland - gehandelt werden müsse. Allerdings sprach sich auch Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy dagegen aus, einem hochverschuldeten Land die Hoheit über seine Haushaltspolitik zu entziehen. Schuldensünder "unter Vormundschaft" zu stellen sei "unangemessen, undemokratisch und ineffizient".
Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, bezeichnete den deutschen Vorschlag als "inakzeptabel". Eine solche Regelung sei nur möglich, wenn es sie für alle Staaten gebe. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte: "Beleidigen muss man niemanden in der Politik." Aus den Reihen der "Chefs" gab es aber auch Verständnis für den Vorschlag: "Ich kann die Frustration verstehen", meinte Schwedens Regierungschef Reinfeldt. "Griechenland hält sich nicht an eigene Versprechen."
Merkel sagte zwar: "Ich glaube, dass wir eine Diskussion führen, die wir nicht führen sollten." Sie fügte aber hinzu: "Es geht darum: Wie kann Europa unterstützen, dass in Griechenland die Dinge eingehalten werden, die als Auflagen gegeben werden. Aber alles geht nur, indem Griechenland und die anderen Staaten das miteinander diskutieren." Aus der Ferne distanzierte sich selbst Außenminister Guido Westerwelle: "Ich bin sehr unglücklich über den Ton in dieser Debatte", sagte er auf einer Nahost-Reise in Kairo. Dem Vernehmen nach kamen die Ideen aus dem Berliner Finanzministerium.
"Kleines aber feines Stück weitergekommen"
Gipfelchef Herman Van Rompuy wollte über Griechenland auf dem Gipfel nicht länger debattieren, weil der Prüfbericht von Experten der EU und des Internationalen Währungsfonds noch nicht vorliegt. Beim Gipfel sei nur kurz über Griechenland gesprochen worden, sagte Merkel. "Wir sind ein kleines aber feines Stück weitergekommen." Es sei zunächst kein neuer Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zu Griechenland geplant. Das pleitebedrohte Land ringt derzeit mit seinen Gläubigern um einen teilweisen Schuldenerlass.
Die Staatenlenker stärkten derweil das Kriseninstrumentarium, um Länder vor der Pleite zu schützen. Sie billigten den dauerhaften Krisenfonds für schwächelnde Euro-Länder ESM. Dieser soll am 1. Juli starten und einen Umfang von 500 Milliarden Euro haben. Der ESM soll Kredite am Kapitalmarkt aufnehmen und dieses Geld an pleitebedrohte Euro-Staaten weiterreichen. Dadurch können Schuldensünder günstiger an Geld kommen, als wenn sie selbst Summen am Markt aufnehmen würden. Ob das Volumen für Notkredite ausreicht, soll der nächste EU-Gipfel im März überprüfen.
Der Gipfel beschloss auch, mehr für das Wirtschaftswachstum und vor allem für Arbeitsplätze junger Menschen zu machen. Dazu sollen vorhandene Mittel aus den milliardenschweren Brüsseler EU-Töpfen rascher und besser eingesetzt werden. Derzeit sind in den Strukturfonds noch 82 Milliarden Euro vorhanden, die bisher nicht für konkrete Projekte vorgesehen sind. Die Staaten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit bei mindestens 30 Prozent liegt und die deswegen auf Hilfe bei der Suche nach förderungswürdigen Projekten hoffen dürfen, sind Estland, Griechenland, Italien, Portugal, Slowakei, Spanien, Lettland und Litauen.
Sorge macht das hochverschuldete Portugal, das wieder ins Visier der Anleger geraten ist. Die Renditen für Staatsanleihen kletterten auf die höchsten Stände seit Einführung des Euro. Der Fast-Pleitestaat erhält bereits 78 Milliarden Euro Nothilfen aus dem derzeitigen Rettungsfonds EFSF.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts