Ethnische Unruhen in Birma 26.000 Menschen fliehen
28.10.2012, 08:58 Uhr
Auf der Flucht: Kinder der muslimische Minderheit der Rohingya verlassen ihr niedergebranntes Dorf.
(Foto: dpa)
Eigentlich schien es, als würde Ruhe einkehren in Birma, nachdem die Zentralregierung sich langsam der Demokratie zuwandte. Doch nun sorgen heftige ethnische Unruhen für einen gewaltigen Flüchtlingsstrom. Betroffen ist vor allem die muslimische Minderheit der Rohingya. Eine menschenrechtliche Bewährungsprobe für das südostasiatische Land.
Das für den Freiheitskampf der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi bekanntgewordene Birma steuert nach schweren Zusammenstößen zwischen Buddhisten und Muslimen auf ein neues Flüchtlingsdrama zu. Neue ethnische Unruhen im Westen des Staates haben die Lage in der Region drastisch verschärft. Die Gewalt habe in den vergangenen Tagen mehr als 26.000 Menschen zur Flucht veranlasst, sagte der Vertreter der Vereinten Nationen in Birma, Ashok Nigam. In der zurückliegenden Woche verloren demnach mehr als 80 Menschen ihr Leben. Rund 130 wurden verletzt.
Der UN-Repräsentant berief sich auf Angaben der birmanischen Regierung. Demnach wurden im von der Gewalt betroffenen westlichen Bundesstaat Rakhine bei Kämpfen zwischen Buddhisten und Muslimen in den vergangenen Tagen mehr als 4500 Häuser zerstört. Die meisten der Flüchtlinge seien Muslime. Es sei gut möglich, dass noch wesentlich mehr Menschen als derzeit bekannt auf der Flucht seien.
Die Schutzsuchenden, überwiegend Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya, strömten zu völlig überfüllten Lagern.
Staaten- und rechtlos
Die Lage in Rakhine hatte sich nach Zusammenstößen im Juni, die bereits 75.000 Menschen in die Flucht trieben, zunächst wieder beruhigt. Doch vor einer Woche flammte die Gewalt erneut auf. Seit Juni wurden amtlichen Angaben zufolge mehr als 150 Menschen beider Religionsgruppen getötet, die tatsächliche Zahl dürfte aber höher liegen.
Die Bevölkerung in Birma ist zu 89 Prozent buddhistisch. Rund vier Prozent der Bevölkerung sind muslimischen Glaubens. Die etwa 800.000 Muslime in Rakhine gehören den Rohingya an. Sie sind staatenlos und in ihren Rechten erheblich eingeschränkt. Die UNO sieht die Rohingya als eine der am stärksten verfolgten Minderheiten der Welt an.
Angehörige der muslimischen Minderheit erreichten schon am Samstag auf Dutzenden Holzbooten kleinere Inseln und Küstenorte Birmas, wo sie nach tagelangen Ausschreitungen im Westen des asiatischen Landes Schutz suchen. Ein Sprecher der Regierung von Rakhine, Hla Thein, sagte, rund 6000 Flüchtlinge seien in der Hauptstadt des Bundesstaats, Sittwe, mit dem Schiff angekommen. Die Regierung wolle sie anderswo unterbringen. Dies sei aber schwierig, weil immer mehr Menschen ankämen. Bewohner eines Camps am Rande von Sittwe berichteten, Sicherheitskräfte behinderten den Zugang zu dem Lager.
Regierung droht mit Notstandsgesetz
Win Myaing, ein anderer Regierungssprecher in Rakhine, sagte, die Behörden hätten die Lage in der Region unter Kontrolle. Sicherheitskräfte seien im Einsatz, und es sei "ruhig". Zuvor hatte der Sprecher gesagt, die meisten der Todesopfer hätten bei den Kämpfen Stichwunden erlitten. Die Armee habe in die Menge schießen müssen, nachdem Warnschüsse nichts genützt hätten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderte die birmanische Regierung auf, die Rohingya vor "bösartigen Angriffen" zu schützen und allen Menschen in der Region zu helfen. Die Regierung müsse zudem die Probleme bei den Wurzeln packen. "Wenn die Behörden nicht auch die Ursachen der Gewalt angehen, wird es wahrscheinlich noch schlimmer werden", warnte HRW.
Die Krise gilt als eine wesentliche Bewährungsprobe für Birmas neue Regierung. Das Land tendierte zuletzt zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Zentralregierung drohte in der Krisenregion mit Notstandsgesetzen. Ein Komitee unter der Führung von Aung San Suu Kyi forderte erhöhte Sicherheitsvorkehrungen und ein rasches Vorgehen gegen die Drahtzieher der Unruhen.
Quelle: ntv.de, rts/AFP