Politik

Stammzellenforschung Abgeordnete im Dilemma

Vor der Bundestags-Entscheidung zur embryonalen Stammzellenforschung zeigt sich das ethische Dilemma, in dem die Abgeordneten stecken. Die Arbeit mit diesen Zellen ist umstritten, weil zu ihrer Gewinnung menschliche Embryonen zerstört werden müssen. Aber auf dieser Forschung ruhen viele Hoffnungen zur Heilung schwerer Krankheiten - obwohl der seit Jahren beschworene Erfolg weiter ausbleibt. Während die Forschung auf Liberalisierung "dieses zukunftweisenden Gebiets" drängt, lehnt die katholische Kirche die Stammzellforschung wegen der "Missachtung des menschlichen Lebens" ab.

Auch der Bundestag ist tief gespalten. Er will am Freitag über vier fraktionsübergreifend gestellte Anträge entscheiden, für die sich für die unterschiedlichen Positionen höchst ungewöhnliche Bündnisse gebildet haben. Bei dieser Abstimmung sind die Abgeordneten allein ihrem Gewissen verpflichtet; ein Fraktionszwang besteht nicht.

Ergebnis offen

Gefordert wird in den vier Gruppenanträgen entweder ein völliger Verzicht auf die Stichtagsregelung, eine einmalige Aktualisierung, die Bewahrung der bisherigen Rechtslage oder ein völliges Verbot der Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Obwohl die Befürworter einer Verschiebung des Stichtages bisher über die Mehrheit im Parlament verfügen, gilt das Abstimmungsergebnis in der ethisch umstrittenen Frage noch als offen.

Vor allem Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) steht als ehemalige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in einer besonderen Zwickmühle; sie befürwortet dennoch eine Verschiebung des Stichtags vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) favorisiert diese Lösung. Nach Darstellung von Schavan sind Politiker und Forscher durch die intensive Debatte der vergangenen Monate aufeinander zugegangen: "Das gegenseitige Verständnis ist gewachsen."

Katholiken absolut dagegen

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, und der Leiter ihrer Bioethik-Kommission, Gebhard Fürst, haben das Parlament vor einer Änderung des Stammzellengesetzes gewarnt. Eine Lockerung der strengen Regeln würde zu einem geringeren Schutz des menschlichen Lebens führen, sagte der Freiburger Erzbischof Zollitsch. Es gehe um eine grundsätzliche Frage: "Wir dürfen die Tür zu einer Welt, in der menschliche Embryonen zur Ware werden, nicht weiter öffnen."

"Nach den furchtbaren Erfahrungen des Nationalsozialismus, der Leben klassifizierte und sogenanntes unwertes Leben der Vernichtung preisgab, hatten wir in Deutschland eine klare Position in der Gesellschaft. Der Schutz des Lebens war selbstverständlich", sagte Zollitsch. "Wir sind dabei, so manches von dieser Position zu verlieren."

Haltung der evangelischen Kirche bedauert

Die katholische Kirche habe hier eine klare Haltung. In der Debatte um das Stammzellengesetz sei es leider nicht gelungen, eine gemeinsame Position mit der evangelischen Kirche zu finden. "Es ist schade, dass die evangelische und die katholische Kirche nicht mit einer Stimme sprechen", sagte Zollitsch. "Ich bedauere dies. Denn das macht es den Bundestagsabgeordneten schwerer, eine Entscheidung zu treffen." Unter den evangelischen Bischöfen gebe es in der Frage der Stammzellen unterschiedliche Meinungen. Deshalb sei es den Kirchen nicht möglich gewesen, gemeinsam Position zu beziehen.

Auch Fürst kritisierte die Haltung der evangelischen Kirche in dieser Frage. Dass der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, sich für eine Verschiebung des Stichtags einsetze, bedauere er sehr. "Wenn er jetzt einen Stichtag akzeptiert, dann akzeptiert er auch einen abgestuften Schutz menschlichen Lebens. Embryonen im Reagenzglas haben demnach niedrigeren Status und genießen weniger Schutz als Embryonen im Mutterleib. Das kann ich guten Gewissens nicht nachvollziehen", sagte der Leiter der Bioethik-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz der "Passauer Neuen Presse".

Entfremdung von Union und Kirche

"Die Gewinnung menschlicher Embryonen ist nur möglich, indem menschliche Embryonen getötet werden. Es kann keinen Zweck geben, der eine solche Tat rechtfertigt", so der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart weiter. "Wer den Stichtag verschiebt, schafft einen neuen Anreiz, um doch wieder Embryonen gezielt zu erzeugen." In der Bioethik sei eine gewisse Entfremdung zwischen Union und Kirche eingetreten. "In diesen Fragen sind uns die Grünen näher als die CDU."

Dagegen haben zahlreiche Spitzenforscher an die Parlamentarier appelliert, der Änderung der Stichtagsregelung zuzustimmen. Dies sei "eine grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterführung dieses zukunftweisenden Gebiets", heißt es in einem von 17 Professoren verfassten Appell. Zu den Unterzeichnern zählen die international angesehenen Zellforscher Oliver Brüstle (Bonn), Henning Beier (Aachen), Konrad Hochedlinger (Boston), Rudolf Jaenisch (Cambridge/USA), Hans Schöler (Münster) und Wolfgang Franz (München).

Frühe Phase

Ungeachtet jüngster Erfolge bei der Umprogrammierung erwachsener menschlicher Zellen in Stammzellen werde die Forschung mit embryonalen Zellen unbedingt benötigt. Die Umprogrammierung befinde sich noch in einer sehr frühen Phase. "Ob und wann diese Methode klinisch eingesetzt werden kann, ist noch nicht absehbar." Die Forschung an qualitativ hochwertigen embryonalen Stammzellen sei deshalb "eine unverzichtbare Grundlage für die Weiterentwicklung der adulten Stammzellforschung und der Zellreprogrammierung", schreiben die Experten.

Auch der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, hat sich für eine neue Stichtagsregelung in der Stammzellforschung ausgesprochen. Der Bundestag möge sich bei seiner Abstimmung für bessere Arbeitsmöglichkeiten von deutschen Wissenschaftlern auf diesem Gebiet entscheiden.

Quelle: ntv.de, mit dpa, rts

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