Parlamentsauflösung und Neuwahlen Ägyptens Militär macht Tempo
13.02.2011, 21:51 Uhr
In Kairo wird das Regierungsgebäude umdekoriert. Die Porträts Mubaraks gelangen in den Fundus.
(Foto: AP)
Nach dem Umsturz in Ägypten drückt die Militärführung aufs Tempo. Binnen sechs Monaten soll es Neuwahlen geben und das Parlament aufgelöst werden. Die Protestbewegung bleibt wachsam. Die neue Führung dementiert, Mubarak habe sich in die Emirate abgesetzt. In Kairo normalisiert sich das Leben; die Menschen gehen wieder zur Arbeit.
Zwei Tage nach dem Machtwechsel hat der Oberste Militärrat die Weichen für die Zukunft gestellt. Binnen sechs Monaten soll die neue Volksvertretung gewählt werden. Zudem setzten die Militärs die von Regimegegnern kritisierte Verfassung außer Kraft. Die neue Führung dementierte Berichte, wonach der gestürzte Staatschef Husni Mubarak Zuflucht in den Richtung Vereinigten Arabischen Emiraten gefunden habe.
Zur Änderung des "Grundgesetzes" werde ein Rat gebildet, kündigten die Militärs in Kairo an. Damit erfüllten die Generäle wichtige Forderungen der Opposition.
Viele Demonstranten verließen den Tahrir-Platz im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt, der das Epizentrum ihrer 18-tägigen Massenproteste war. Etwa 2000 Demonstranten harrten weiter aus und verlangten den Rücktritt der noch von Mubarak eingesetzten Regierung von Ministerpräsident Ahmed Schafik.
Gerüchte um Mubaraks Aufenthaltsort
Schafik hatte in Kairo bestätigt, dass sich Mubarak weiter im Sinai-Badeort Scharm el Scheich aufhält. Die Möglichkeit, dass Mubarak inzwischen Ägypten verlassen haben könnte, beschäftigt in starkem Maße die Fantasie ägyptischer und arabischer Medien, die immer wieder entsprechende Gerüchte lancieren. So hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Medienberichte dementiert, wonach Mubarak von ihnen aufgenommen worden sei. Ein offizieller Vertreter der Luftfahrtbehörde des Emirats Schardscha bestritt, dass der 82-jährige Staatschef am Flughafen der gleichnamigen Stadt gelandet sei, wie die staatliche emiratische Nachrichtenagentur WAM meldete. Mehrere Agenturen hatten unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen berichtet, Mubarak habe sein Land bereits am Freitag verlassen. Eine Maschine der Fluglinie Air Arabia habe ihn im Sinai-Badeort Scharm el Scheich aufgenommen und nach Schardscha gebracht.
Ausnahmezustand besteht weiter
Die ägyptische Militärführung sprach die ebenfalls von der Opposition geforderte Aufhebung des seit fast 30 Jahren geltenden Ausnahmezustands nicht an. Nach dem Rücktritt Mubaraks am vergangenen Freitag hatte das Militär die Macht übernommen. Am Sonntag wurden Bilder Mubaraks in Behördengebäuden abgehängt.
Schafik erklärte die Sicherheit im Land zur wichtigsten Aufgabe. Seine Regierung wolle Normalität herstellen -"von der Tasse Tee bis zur medizinischen Behandlung", sagte der Ministerpräsident in Kairo.
Viele Menschen waren nach den euphorischen Freudenfeiern wegen des Rücktritts Mubaraks bis zum Sonntagmorgen auf dem Tahrir-Platz geblieben. Unbewaffnete Soldaten und Polizisten versuchten, sie abzudrängen. Dabei kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen und Rangeleien. Schon am Vortag hatte das Militär mit dem Abbau von Barrikaden begonnen.
Kairo will berechenbar sein
Ägypten will nach Angaben der Militärs weiter alle internationalen Verträge einhalten - auch den 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begrüßte den Schritt. Verteidigungsminister Ehud Barack sagte am Sonntag dem Fernsehsender ABC, die guten Beziehungen seines Landes zu Ägypten seien auch durch den Machtwechsel in Kairo nicht in Gefahr.
Suche nach Mubaraks Vermögen
In der Schweiz und Großbritannien wird nach möglichen Konten mit veruntreuten Geldern aus Ägypten gesucht. "Die Schweiz will kein schmutziges Geld", sagte die schweizerische Außenministerin Micheline Calmy-Rey dem Deutschlandradio Kultur. Nach Medienberichten soll der Mubarak-Clan mehr als 40 Milliarden Dollar angesammelt haben.
Mubarak und seine Familie sollen Geld, Immobilien und weiteres Vermögen in Großbritannien versteckt haben, berichtete die "Sunday Times". Derzeit würden rechtliche Schritte vorbereitet, um Mubaraks Vermögen einzufrieren. Das Vermögen der Familie Mubarak soll bei Banken in Großbritannien und in der Schweiz, sowie in Immobilien in London, New York und Los Angeles angelegt sein. Mubaraks Ehefrau hat britische Vorfahren, einer seiner Söhne soll Großbritannien als zweite Heimat ansehen.
Algerien setzt auf Verbote und Gewalt
In Algerien machten Sicherheitskräfte die Hoffnung von Regimegegnern auf Massenproteste wie in Ägypten fürs erste zunichte. In der Hauptstadt Algier verhinderte ein riesiges Polizeiaufgebot am Samstag einen Protestmarsch der Opposition. Am Startpunkt der nicht genehmigten Kundgebung gingen Uniformierte mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Zahlreiche Teilnehmer, darunter auch Oppositionspolitiker, wurden vorübergehend festgenommen. Auch am Sonntag gab es Proteste.
Unterdessen geht der Exodus der Bootsflüchtlinge aus Tunesien nach Italien unvermindert weiter. Angesichts des massiven Ansturms genehmigte die italienische Regierung am Sonntag die Wiederöffnung eines großen Flüchtlingslagers auf Lampedusa südlich von Sizilien, wo binnen vier Tagen 5000 Bootsflüchtlinge ankamen. Am Vortag hatte die Regierung den humanitären Notstand für Lampedusa ausgerufen und eine Luftbrücke eingerichtet.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/rts/AFP