Politik

Mit Milizen gegen die Taliban Afghanistans Regierung spielt mit dem Feuer

Die afghanische Regierung setzt auf die Unterstützung lokaler Milizen, um sich gegen den Taliban-Vormarsch auf Kundus zu wehren.

Die afghanische Regierung setzt auf die Unterstützung lokaler Milizen, um sich gegen den Taliban-Vormarsch auf Kundus zu wehren.

(Foto: AP)

Die Taliban-Kämpfer drohen die afghanische Großstadt Kundus im Norden des Landes einzunehmen. Um sich zu verteidigen setzt die politische Führung des Landes auf die Unterstützung mehrerer Milizen. Doch auch die sind kaum mehr als zweifelhafte Notlösung.

Noch nie seit dem Jahr 2001 standen die Taliban-Kämpfer so nah vor Kundus wie jetzt. Zur Verteidigung der Stadt im Norden Afghanistans bedient sich die Regierung in Kabul umstrittener Milizen ehemaliger Mudschaheddin. Angesichts des Abzugs der Nato-Kampftruppen und der jüngsten Rekordverluste in den eigenen Reihen verspricht sich die afghanische Führungsriege davon, den islamistischen Taliban den Garaus zu machen. Doch der vermeintlich geschickte Schachzug könnte nach hinten losgehen: Beobachter sprechen von einem Spiel mit dem Feuer.

Zu den von Kabul eingespannten Anti-Talibankräften gehören hunderte Kämpfer des Kommandeurs Mohammed Omar aus dessen Hochburg an den Ufern des Chanabad-Flusses in der Provinz Kundus. Omars Kampfname lautet Pachsaparan. Das bedeutet "Mauerzerstörer" und bezieht sich auf die in der ganzen Region bekannte Fähigkeit des Kommandeurs, Mauerwerke plattzumachen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Der afghanische Staatspräsident Ashraf Ghani und seine Regierung stehen wegen mangelnder Führungsstärke in der Kritik.

Der afghanische Staatspräsident Ashraf Ghani und seine Regierung stehen wegen mangelnder Führungsstärke in der Kritik.

(Foto: dpa)

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP in Kundus spricht der Warlord mit dem akkurat gestutzten schneeweißen Bart von einem "Volksaufstand". Während er seine mit Sturmgewehren, Panzerfäusten und Patronengurten ausgestatteten Milizionäre präsentiert, fügt er hinzu: "Die Leute sind bereit, ihre Söhne an die Front gegen die Taliban zu schicken, um ihre Häuser zu verteidigen, ihr Land und ihre Ehre."

Offiziell bestreitet die afghanische Regierung jegliche Unterstützung für Pachsaparan. Doch er selbst gibt unumwunden zu, Munition aus Kabul bekommen zu haben. Das bedeutet einen Strategiewechsel. Denn seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 hatten Kabul und die Nato eher ihren Willen bekundet, die Milizen zu entwaffnen. Dahinter stand die Absicht, ein erneutes Versinken in einen blutigen Bürgerkrieg wie in den 90er Jahren zu verhindern. Nach dem Anzug der sowjetischen Armee aus Afghanistan hatten sich damals unterschiedliche Mudschaheddin-Fraktionen bekriegt.

"Ohne uns sind sie unfähig zum Kampf"

"Ohne uns sind die afghanischen Armee- und Polizeikräfte unfähig zum Kampf", sagt einer der Befehlshaber des tadschikischen Milizenkommandeurs Mir Alam auf dessen Stützpunkt in der Nähe von Kundus. Der Mann mit dem großen Edelstein am Goldring, der nicht namentlich genannt werden möchte, fügt hinzu: "Sie kennen das Gelände nicht so wie wir es kennen. Ohne uns wird Kundus fallen."

Der afghanische Staatspräsident Ashraf Ghani und seine Regierung stehen wegen mangelnder Führungsstärke in der Kritik. Bis zur Ernennung wichtiger Minister verstrichen Monate. Ende April rückten die Taliban im Zuge ihrer Frühjahrsoffensive auf Kundus vor und griffen mehrere Kontrollpunkte von Polizei und Armee an. Die davon überraschte Regierung in Kabul schickte Hals über Kopf Verstärkung und rief auch die Miliz von Alam zu Hilfe, der sich gerade in Tadschikistan befand.

Die Milizionäre erklärten, sie hätten bei Talibankämpfern Waffen mit den gleichen Seriennummern wie bei denen der Regierungskräfte gefunden. Es sei an der Regierung aufzuklären, ob es sich hierbei um Waffenhandel handele oder ob die Taliban die Gewehre erbeutet hätten, sagt Alams Befehlshaber. Bislang wurden die Taliban zurückgedrängt. Doch einige von ihnen sickern nach Kundus ein und verüben dort Sprengstoffattentate. "Sie sind überall, sie sind unter uns, und das macht Angst", findet Marzia Rustami, eine Vertreterin der örtlichen Zivilgesellschaft.

Aber auch die Milizen sind für Übergriffe bekannt, wie Hadschi Amanullah Utmansai, ein Ältester aus Kundus, versichert. "Sie treiben Zwangsteuern ein, rauben die Ernte und tragen dazu bei, einen Graben zwischen den Leuten und der Regierung zu schaffen." Vielen Menschen gelten die Milizionäre als unsichere Kantonisten, die nur allzu gern die Seiten wechseln.

Quelle: ntv.de, Anuj Chopra & Kristen van Schie, AFP

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