"EU keine humanitäre Organisation" Allianz bombardiert im Süden
24.03.2011, 13:31 Uhr
Französische Kampfjets auf dem Deck des Flugzeugträgers "Charles de Gaulle" im Mittelmeer.
(Foto: AP)
Die internationale Militärkoalition weitet ihre Luftangriffe in Libyen aus. Während die militärischen Planungen für einen NATO-Einsatz zur Durchsetzung einer Flugverbotszone voranschreiten, steht die politische Entscheidung weiter aus. Das politische Deutschland muss sich wegen seiner Stimmenthaltung immer schärfere Kritik anhören. Bundeskanzlerin Merkel fordert indes härtere Sanktionen gegen Gaddafi.

Nach Auffassung von Frankreichs Außenminister Juppé dauert es nicht mehr lange, bis Gaddafis Militär zerstört ist.
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Vor allem Frankreich, das als erstes Land unmissverständlich ein militärisches Eingreifen in der Libyen-Krise gefordert hatte und sich dabei eine Führungsrolle zuerkennt, betrachtet die deutsche Zurückhaltung bei dem Einsatz in dem arabischen Land mit Unverständnis. "Manche EU-Partner halten die EU offenbar für eine humanitäre Hilfsorganisation", sagte der französische Außenminister Alain Juppé recht deutlich in Anspielung auf Deutschland. Frankreich wolle hingegen, dass die EU eine politische Kraft sei, die auch militärisch eingreifen könne, fügte er hinzu. "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass nicht immer dieselben Länder vorangehen", sagte er.
"Das kommt vor"
Juppé meinte, es gebe eine variable Geometrie: Bei der Wirtschaftspolitik spielten die Länder der Eurozone eine wichtige Rolle, bei der Verteidigung zeichne sich eine franko-britische Achse ab. Dennoch tut die aktuelle Auseinandersetzung nach Auffassung Juppés dem deutsch-französischen Verhältnis keinen Abbruch. "Ich mag meinen Amtskollegen Guido Westerwelle sehr gern und will eng mit ihm zusammenarbeiten. Er hat seinen Standpunkt, ich habe meinen. Das kommt vor", sagte Juppé. Bei wirtschaftlichen Fragen arbeiteten Frankreich und Deutschland weiterhin Hand in Hand.
Merkel verteidigt deutsche Haltung
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nun ihrerseits vor dem Bundestag die deutsche Enthaltung bei der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat verteidigt. Weiterhin gebe es "Bedenken hinsichtlich der militärischen Umsetzung der Resolution", sagte sie in einer Regierungserklärung. "Aber auch wenn das so ist: Die Bundesregierung unterstützt die Ziele, die mit dieser Resolution verabschiedet wurden, uneingeschränkt." Deutschland hoffe auf einen schnellen und vor allem "nachhaltigen Erfolg". Die Kanzlerin rechtfertigte auch die Entscheidung, deutsche Soldaten für Awacs-Überwachungsflüge über Afghanistan bereitzustellen. Auf diese Weise will Deutschland die NATO-Partner beim Libyen-Einsatz entlasten.

Merkel und Westerwelle in Bundestag. Sie müssen international und auch im eigenen Land harsche Kritik wegen der Stimmenthaltung in Sicherheitsrat einstecken.
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Vom EU-Gipfel, der am Nachmittag in Brüssel beginnt, forderte sie härtere Wirtschaftssanktionen gegen das Regime von Machthaber Muammar al-Gaddafi. Merkel sprach sich für ein "komplettes Ölembargo und weitreichende Handelseinschränkungen" gegen Libyen aus. "Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt endlich eine gemeinsame Haltung erreichen." Deutschland sei es wichtig, humanitäre Hilfe zu leisten, sagte sie: "Bürgerkriegsflüchtlinge, wie wir sie eventuell aus Libyen zu erwarten haben, sind Flüchtlinge, die unserer Solidarität bedürfen."
Hochrangige Vertreter der schwarz-gelben Koalition in Berlin hatten Zweifel am Einsatz der internationalen Truppen gegen Gaddafi geäußert. Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, sagte der "Bild", das Mandat der Vereinten Nationen zu Libyen sei "leider nicht zu Ende gedacht". So sei von Bodentruppen "keine Rede", obwohl sie "wahrscheinlich" gebraucht würden. Auch decke das Mandat eine Vertreibung Gaddafis nicht ab. Zudem hätte nach Kauders Meinung "mancher Bündnispartner gut daran getan, sich vorher mit der Bundesregierung abzustimmen".
FDP-Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel warf den an dem Einsatz beteiligten Staaten vor, kein politisches Konzept für die Zukunft Libyens zu haben. "Man sollte wissen, wie man ein militärisches Engagement wieder beendet, bevor man es beginnt", sagte Niebel dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel". Zugleich warnte er vor überzogenen Erwartungen an die Aufständischen. Er wisse nicht, ob die Gegner Gaddafis sich für Freiheit einsetzten oder Stammeskämpfe austrügen, sagte der Minister.
Frankreichs Außenminister Juppé widersprach der Einschätzung. "Wir denken schon jetzt über das Ende des Militäreinsatzes nach", beteuerte er. "Es geht uns nicht darum, das Regime auszuwechseln. Das ist Aufgabe der Libyer", sagte Juppé.
"Wir zielen auf militärische Mittel"
Juppé wertete den seit Samstag andauernden Militäreinsatz als Erfolg. Die internationale Militärkoalition unter Führung der USA, Frankreichs und Großbritanniens werde weiterhin militärische Ziele aus der Luft angreifen. "Wir zielen auf militärische Mittel und nichts anderes", sagte Juppé dem Radiosender RTL.
Die Angriffe gingen "so lange wie notwendig" weiter. Es sei eine Frage von Tagen oder Wochen, aber nicht von Monaten, bis die militärische Schlagkraft von Gaddafi zerstört sei. Der französische Außenminister erinnerte daran, dass das Ziel der Intervention der Schutz der libyschen Zivilbevölkerung sei. Berichte, nach denen durch die Luftangriffe der Militärkoalition auch Zivilisten getötet worden seien, wies Juppé zurück und erklärte, es sei "genau das Gegenteil" der Fall.
NATO diskutiert weiter
Die NATO werde vor allem eine operative Rolle spielen, sagte Juppé. Daneben werde es die politische Kontaktgruppe geben, die sich am Dienstag in London erstmals treffen wolle. Ob daran auch die libysche Opposition beteiligt werde, sei noch nicht geklärt.
Die NATO hat sich nach Angaben eines Diplomaten im Wesentlichen auf einen Plan für die Kommandostruktur geeinigt. Die Kommandos für die täglichen Einsätze sollen sich auf dem NATO-Stützpunkt in Neapel und auf dem Stützpunkt im norditalienischen Poggio Renatico befinden. Der Gesamteinsatz solle im militärischen NATO-Hauptquartier im belgischen Mons überwacht werden.
Während die militärischen Planungen für einen NATO-Einsatz zur Durchsetzung einer Flugverbotszone in Libyen voranschreiten, steht die politische Entscheidung der 28 NATO-Mitglieder weiter aus. Die Beratungen sollen in Brüssel fortgesetzt werden. Es soll sich inzwischen ein Kompromiss abzeichnen, der es den Ländern, die den Libyen-Einsatz für falsch halten, erlauben würde, sich aus den Aktionen herauszuhalten.
Während die USA bislang de facto die Führung der Militäraktion inne hatten, will US-Präsident Barack Obama diese nach Angaben von US-Beamten innerhalb der nächsten Tage abgeben. Es werden offenbar unterschiedliche Optionen geprüft, darunter die Abgabe des Führungskommandos an Frankreich und Großbritannien sowie die Übergabe an Frankreich allein. Am Mittwoch hatte die Türkei eine NATO-Einigung verhindert.
Luftangriffe nun auch im Süden Libyens

Gaddafi hat aber nicht nur Gegner: Auch für ihn demonstrieren Menschen wie hier in Tripolis.
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Inzwischen hat die internationale Militärallianz ihre Luftangriffe in Libyen nun auch auf den Süden des Landes ausgeweitet. Zudem wurden in der Nacht zum Donnerstag mehrere Ziele östlich der Hauptstadt Tripolis bombardiert. Augenzeugen sahen Flammen auf einem Militärstützpunkt in dem Vorort Tadschura.
Nach Angaben aus libyschen Sicherheitskreisen bombardierte die Allianz unter anderem mehrere Ziele in der Stadt Sebha, rund 1000 Kilometer südlich von Tripolis. Auch ein Militärflughafen in Al-Dschufra, 800 Kilometer südlich der Hauptstadt, geriet unter Beschuss.
Die libysche Internet-Zeitung "Al-Watan" meldete unterdessen, über Sirte, der Heimatstadt des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, sei am Mittwochabend ein französisches Kampfflugzeug abgeschossen worden. Der Pilot habe sich retten können. Er sei nun ein Gefangener der libyschen Armee. Ein Sprecher der französischen Streitkräfte bestritt diese Darstellung. "Kein französisches Flugzeug wurde in Sirte abgeschossen", sagte Oberst Thierry Burkhard.
Die Staatsmedien meldeten, bei den Angriffen der Allianz in Tadschura seien auch zivile Ziele bombardiert worden. Das Fernsehen zeigte Bilder von Leichen, die zum Teil verkohlt waren. Oppositionelle bestritten, dass es sich dabei um die Leichen von Zivilisten handelt, die bei den Luftangriffen ums Leben gekommen seien. Die Regimegegner behaupten bereits seit Beginn der Luftangriffe zur Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen, die Berichte der Staatsmedien über angebliche zivile Opfer seien falsch. Die Bodentruppen Gaddafis und die Rebellen kämpfen derzeit vor allem in der östlichen Stadt Adschdabija und in Misrata gegeneinander.
Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP/rts