
Bürgermeister Bovenschulte setzt im Wahlkampf gerne mal auf seine Gitarre.
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In Bremen scheint die SPD unantastbar, die Partei regiert dort seit 77 Jahren - ohne Unterbrechung. Betrachtet man die Erfolgsgeschichte der Sozialdemokraten in dem kleinen Bundesland jedoch genauer, bekommt sie Risse: Die Wähler wünschen sich nicht erst seit dieser Wahl eine neue Koalition.
Wirklich bissig wird es in Bremen nicht. Am kommenden Sonntag wählt das kleinste Bundesland Deutschlands eine neue Bürgerschaft und obwohl Umfragen ein knappes Ergebnis versprechen, verläuft die letzte Debatte der Spitzenkandidaten vor der Wahl am vergangenen Montag gemächlich. Auf Barhockern sitzen sich die Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grüne, Linke, FDP und Bürger in Wut gegenüber, es herrscht Kneipenatmosphäre auf der von Radio Bremen organisierten Wahlkampfveranstaltung. Allerdings gibt es statt Beck's, dem in Bremen allgegenwärtigen Bier, Wasser und statt hitziger Diskussionen lediglich höflich formulierte Rügen: "Schade, dass keine Verantwortung übernommen wird", sagt etwa der Christdemokrat Frank Imhoff über die im Land stark kritisierte Bildungspolitik der SPD.
Bürgermeister Andreas Bovenschulte bringt das nicht aus der Ruhe, im Gegenteil. Er rechne der SPD gute Chancen aus, stärkste Kraft in Bremen zu werden, betont er zu Beginn der Veranstaltung. Es ist diese unerschütterliche Sicherheit, mit der die Sozialdemokraten nicht nur die letzte Elefantenrunde, sondern schon den gesamten Wahlkampf bestreiten. Statt neue Konzepte für Lehrpläne und mehr Personal an Schulen und Kitas vorzulegen, tingelt Spitzenkandidat "Bovi" mit seiner Gitarre durch das Bundesland und gibt den Queen-Hit "We Will Rock You" zum Besten. Auch für Bundeskanzler Olaf Scholz dürfte der heutige Bremen-Besuch zur Unterstützung seines Parteikollegen eher in die Kategorie Wohlfühltermin fallen. Denn in der letzten SPD-Hochburg Deutschlands scheint den Sozialdemokraten ohnehin nichts passieren zu können. Oder?
Auf den ersten Blick nicht. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, seit mittlerweile 77 Jahren, ist die SPD in dem Zwei-Städte-Land Bremen und Bremerhaven ununterbrochen an der Macht. In der Geschichte der deutschen Bundesländer ist dies einmalig, selbst in Bayern gab es eine Unterbrechung der CSU-Regierung. Betrachtet man die sozialdemokratische Erfolgsgeschichte an der Weser jedoch genauer, zeigen sich in den vergangenen Jahren Risse: Bei den vergangenen Bürgerschaftswahlen 2019 wurde die CDU erstmals stärkste Kraft. Dass die SPD trotz Wahlniederlage an der Macht blieb, lag lediglich daran, dass es den Christdemokraten nicht gelang, eine Koalition zu bilden.
Wechselwille bei den Wählern
Nun könnte man das schlechte Wahlergebnis von damals auf den wenig charismatischen Ex-Landeschef Carsten Sieling schieben. Der Sozialdemokrat wurde seinerzeit zum unbeliebtesten Bürgermeister Deutschlands gewählt. Allerdings bröckelt die sozialdemokratische Festung auch in diesem Jahr - trotz großer Beliebtheit von Bovenschulte. Mit rund 30 Prozent steht die SPD zwar besser da als nach der vergangenen Wahl, der Vorsprung auf die CDU ist mit wenigen Prozentpunkten jedoch hauchdünn. Kurzum: Eine weitere Legislaturperiode mit den Sozialdemokraten an der Spitze ist alles andere als selbstverständlich.
Zumindest, wenn es nach den Wählern geht. "Bei den Bremerinnen und Bremern gibt es einen Wechselwillen, den die politische Elite schon nach der letzten Wahl ignoriert hat", sagt Politikwissenschaftler Andreas Klee im Gespräch mit ntv.de. Zwar punktet der Landeschef mit persönlichen Sympathiepunkten und sorgte mit seinem Pandemiemanagement bundesweit für positive Schlagzeilen. Doch: "Dieser Corona-Bonus ist vorbei", weiß Klee. Vielmehr werde die Wahl von der in Bremen herrschenden Unzufriedenheit bestimmt: Die hohe Arbeitslosigkeit, die vielen Menschen im Stadtstaat, die auf Sozialhilfe angewiesen sind und schließlich der riesige Schuldenberg.
Zudem landet das Bremer Schulsystem im Ländervergleich seit jeher auf den hinteren Rängen, es fehlt sowohl an Schulen als auch in Kitas an Personal. "Man weiß einfach nicht, wie man den Turnaround schaffen soll", sagt Klee. "Sowohl organisatorisch als auch finanziell." Erst vor wenigen Wochen versammelten sich 2000 Menschen vor dem Rathaus, um gegen die "Bildungsmisere" zu protestieren. Eine Elterninitiative sammelt derweil Unterschriften gegen den "Kita-Notstand".
CDU setzt auf's Tandem
Damit gehört die Bildungspolitik ganz offensichtlich zu den Top-Themen dieser Wahl, ebenso wie die innere Sicherheit. "Und da nehmen die Menschen eben zunehmend wahr, wer für ihre Unzufriedenheit verantwortlich ist", sagt Klee. Denn: Seit 77 Jahren haben die Bildungssenatorinnen und -senatoren in Bremen ein SPD-Parteibuch, während der Sozialdemokrat Ulrich Mäurer seit 2008 durchgehend Innensenator ist. "Die SPD kann sich nicht mehr wegducken, die Unzufriedenheit fällt jetzt auf ihre Partei zurück", bilanziert der Politikwissenschaftler. "Das lässt sich auch durch ein bisschen Gitarre spielen und Singen nicht mehr übertünchen."
Die Ausgangslage ähnelt jener in Berlin, kurz bevor die CDU erst überraschend deutlich den Wahlsieg und schließlich das Amt des Regierungschefs holte. Ähnlich wie ihre Parteikollegen aus der Hauptstadt versuchen nun auch die Bremer Christdemokraten, die grassierende Unzufriedenheit für sich zu nutzen. So setzen sie auf neue Regeln in der Bildung, etwa die Notenvergabe in der Grundschule und verpflichtende Sprachtests nach dem Kindergarten. Zudem versprechen sie eine höhere Polizeipräsenz.
Um überhaupt eine Chance in dem tief mit der Sozialdemokratie verwurzelten Land zu haben, stellt sich die CDU zudem wortwörtlich breiter auf: Imhoff, Landwirt und Präsident der Bürgerschaft, bildet gemeinsam mit Wiebke Winter, dem jüngsten Mitglied des CDU-Bundesvorstandes sowie Mitbegründerin der Klimaunion, eine Doppelspitze. Passend zu ihrem Slogan radeln sie seit Wochen auf einem Tandem durch die Hansestadt - gemeinsam wollen sie "das ganze Spektrum abbilden". Das neue Konzept kann jedoch nicht wettmachen, was der CDU bereits nach der Wahl 2019 zum Fallstrick wurde: Es fehlt ihnen an Koalitionspartnern.
Der Absturz der Grünen
So entschieden sich die Grünen, damals so etwas wie die Kanzlermacher von der Weser, vor vier Jahren klar für die SPD. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass dies nun im Falle eines CDU-Wahlsieges anders aussehen würde, zu groß sind die Unterschiede - vor allem in der Verkehrs- und Bildungspolitik.
Allerdings dürften sich die Bremer Grünen derzeit ohnehin weniger um ihre Anknüpfungspunkte mit der CDU als vielmehr um ihre sinkenden Umfragewerte sorgen. Denn die liegen kurz vor der Wahl nur noch bei 13 Prozent - dabei hatte es sich Spitzenkandidatin Schaefer zum Ziel gemacht, mindestens die 17,4 Prozent von 2019 zu übertreffen. Damals profitierten die Grünen vom bundespolitischen Trend: Robert Habeck und Annalena Baerbock wussten es, Menschen zu mobilisieren, Fridays For Future war in aller Munde.
Nach der Wahl hatten die Bremer Grünen freie Wahl, ob sie der CDU oder der SPD den Bürgermeisterposten zuschieben. In den anschließenden Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten zögerten sie schließlich nicht, von ihrer Verhandlungsmacht Gebrauch zu machen, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete. "Ihr Auftreten war damals demütigend", sagte demnach eine Person, die an den Gesprächen teilnahm.
Streit um die Brötchentaste
In anderen Worten: Die Erwartungshaltung an die Grünen war nach der vergangenen Wahl riesig. "Es war ein bisschen so, wie wenn der SC Freiburg in die Champions League kommt", sagt Klee. Am Ende seien ihnen die großen Vorstellungen zum Verhängnis geworden. "Die Bremerinnen und Bremer haben das Gefühl, die Grünen haben nichts von dem erreicht, was sie versprochen haben." Der Frust trifft insbesondere Mobilitäts- und Klimaschutzsenatorin Schaefer: "Für viele Menschen ist sie zum personalisierten Stillstand geworden", erklärt der Politikwissenschaftler.
Schaefer hat sich mit ihrem oftmals dickköpfigen Politikstil wenig Freunde gemacht. Neben dem bundespolitischen Abwärtstrend der Grünen dürfte die 51-Jährige ein Grund für die fallenden Werte in Bremen sein. Besonders mit dem Projekt der autofreien Innenstadt ist sie oft angeeckt, etwa als sie kürzlich die sogenannte Brötchentaste zum kurzen Umsonst-Parken in der City abschaffte. Dies müsse nach der Wahl wieder rückgängig gemacht werden, betont Bovenschulte bei jeder Gelegenheit.
Der Bürgermeister macht keinen Hehl daraus, dass es Differenzen mit dem grünen Koalitionspartner gibt, passen dessen Pläne oft nicht in das gleichermaßen arbeitnehmer- wie arbeitgeberfreundliche Bild Bremens, das der Bürgermeister zeichnen will. Bovenschulte ist mehr Verwalter als Vertreter ideeller Werte, das macht er auch im Wahlkampf deutlich. Gegenüber den Grünen setzt er auf Balance - er geht auf Distanz zu umstrittenen Grünen-Plänen, zeigt sich aber grundsätzlich loyal.
Die GroKo für Bremen?
Denn trotz der Unstimmigkeiten lässt der Regierungschef immer wieder durchblicken, dass ihm eine Fortsetzung der linksgeprägten Koalition am liebsten wäre. Er halte sich alles offen, sagt der SPD-Politiker oft und fügt dann hinzu, dass die jetzige Regierung ihre Arbeit "vernünftig und unaufgeregt" getan habe. "Eine Koalition mit den Grünen wäre für die SPD der einfachste Weg", erklärt Klee. "Schon allein, weil sich das in den eigenen Kreisen, in der eigenen Unterstützergruppe, viel besser verkaufen lässt."
Dass die Bremer Linke deutlich pragmatischer agiert als ihre Bundespartei, dürfte Bovenschulte ebenfalls in die Karten spielen. Denn für ein Zweierbündnis mit den Grünen wird es vermutlich erneut nicht reichen. Zudem scheidet eine Bremer Ampel von vornherein aus: Die FDP werde in Bremen "keiner grünen Koalition ins Rathaus helfen", verkündete der Spitzenkandidat der Liberalen, Thore Schäck, auf dem jüngsten Landesparteitag.
Somit bleibt neben der Fortsetzung von Rot-Grün-Rot nur noch eine Alternative für die Hansestadt: Die Große Koalition. "Das wäre die Koalition, die sich die Wählerinnen und Wähler wünschen", sagt Klee. "Und das bereits vor vier Jahren." Der Wissenschaftler hält eine GroKo in Bremen trotz des Wählerwillens für unwahrscheinlich: "Ich glaube, dass es die denkbar größte Niederlage für die SPD wäre, mit dem vermeintlich einzigen politischen Gegner hier in Bremen zu koalieren." Eine Regierung rechts der linksliberalen Mehrheit in Bremen zu bilden, wäre für die Sozialdemokraten herausfordernd. Die SPD als ewige Nummer Eins müsste deutliche Kompromisse eingehen. Bovenschulte wird also an der bisherige Koalition festzuhalten versuchen - Wechselstimmung in Bremen hin oder her.
Quelle: ntv.de