Traumatisiert, nicht betrunken Amokschütze packt aus
16.03.2012, 16:25 Uhr
Auf Luftunterstützung durch Nato-Truppen wollen die Afghanen so schnell es geht verzichten.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Erst erschießt er ein Dutzend Frauen und Kinder im Schlaf, jetzt versucht er seine Tat zu rechtfertigen. Der US-Soldat, der die Welt durch einen Amoklauf in Afghanistan schockierte, lässt seinen Anwalt erklären: Er war nicht betrunken, Stress und die Trauer über einen verletzten Kameraden ließen ihn die Kontrolle verlieren.
Der US-Soldat, der am vergangenen Wochenende 16 Menschen in Afghanistan ermordet hat, verteidigt sich gegen kritische Presseberichte. Er war nicht betrunken, und auch familiäre Streitereien lösten seinen brutalen Angriff nicht aus. Das lässt er zumindest seinen Anwalt John Henry Browne verkünden. Ein Bericht der "New York Times" gab die Kombination aus Alkohol und einem Konflikt mit der Ehefrau als mögliche Ursache für den Amoklauf an. Die Tageszeitung berief sich dabei auf einen Vertreter der US-Regierung.
Laut Anwalt Browne war es aber eher die Verletzung eines Kameraden am Tag vor seiner Tat, die ihn so schwer mitnahm, dass er die Kontrolle über sich verlor. Der Unteroffizier sah mit an, wie ein Freund durch eine Explosion ein Bein verlor.
Er war angeblich kein Moslemhasser
Der 38-jährige Familienvater stand angeblich auch unter großem Stress. "Wer würde in einem kleinen Camp mit 20 Leuten mitten im Nirgendwo in Afghanistan nicht unter Stress stehen?", fragte Browne. Hinzu kam nach Angaben des Anwalts, dass sein Mandant an keinen Auslandseinsätzen mehr teilnehmen wollte. Zuvor kämpfte er schon dreimal im Irak und erlitt dabei Verletzungen an Kopf und Füßen. Er sei unglücklich gewesen, als ihn im Dezember der Befehl für einen weiteren Einsatz in Afghanistan erreichte, sagte Browne. "Seine Familie hat darauf gezählt, dass er nicht noch einmal ins Ausland verlegt wird und das hat sich dann praktisch über Nacht geändert". Der Anwalt des Amokläufers hob hervor, dass sein Mandant keinen Hass auf Muslime hege. Browne schränkte aber ein: Die Auskünfte des Soldaten seien ihm "konfus" erschienen, so dass er sich um dessen "geistige Gesundheit Sorgen" mache.
Der Amokläufer wurde unterdessen nach Fort Leavenworth im Bundesstaat Kansas verelgt. Er war nach Medienberichten bereits gebracht worden, was heftige Kritik auslöste. Das Parlament in Kabul fordert ein öffentliches Verfahren gegen den Mann in Afghanistan.
Afghanistan bricht mit dem Westen
Präsident Hamid Karsai äußerte Zweifel am Vorgehen der USA in diesem Fall. Bei dem Treffen mit mehrere Hinterbliebenen folgte Karsai den Bedenken der Betroffenen. Sie glauben nicht, dass das Massaker von einem Einzeltäter verübt wurde. "Wie kann jemand in einem Dorf drei oder vier Menschen umbringen und dann einen Kilometer weit entfernt nochmals vier oder fünf", fragte Hadschi Abdul Saboor, ein Dorfältester aus dem Bezirk Pandschwaji.
Zudem warf Karsai den USA vor, bei der Aufklärung des Zwischenfalls nicht voll zu kooperieren. Die Regierung in Washington verweigere nach derartigen Bluttaten von US-Soldaten in Afghanistan jede Art der Zusammenarbeit, sagte er. Die afghanische Regierung verlange Gerechtigkeit; sie wolle die Täter "fragen, warum sie unsere Zivilisten getötet haben", sie verlange, "dass sie bestraft werden".
Der Amoklauf und die versehentliche Verbrennung von Exemplaren des Koran auf einem US-Stützpunkt in Afghanistan verschärften zuletzt die Spannungen zwischen Kabul und den Nato-Truppen. aus allen Dörfern und setzte sich dafür ein, die Sicherheitsverantwortung für sein Land schon 2013 statt 2014 zu übernehmen. Seiner Meinung nach sind die afghanischen Truppen sogar schon jetzt bereit dafür. Beobachter werten das als einen Bruch mit dem Westen.
Karsais Sprecher war denn auch um diplomatische Schadensbegrenzung bemüht. Dem "Spiegel" sagte er, dass die Internationalen Truppen bis 2014 im Land bleiben dürften und dass es Karsai lediglich um die "Beschleunigung des Übergabeprozesses der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen" ginge.
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" ist Karsais Abkehr vom Westen ein Versuch, sich innenpolitisch zu stärken. ist bei vielen Afghanen derzeit groß. Zudem wertet die Tageszeitung Karsais Abkehr vom Westen als Versuch, sich als Verhandlungspartner für die Taliban zu profilieren. Die lehnten Gespräche mit ihm bisher ab, weil sie ihn für eine Marionette des Westens halten. Da die Taliban Gespräche über Friedenverhandlungen mit den USA bereits abgebrochen haben, muss Karsai nun darauf setzen, dass er sie an den Verhandlungstisch locken kann, um Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe in seinem Land aufrechtzuerhalten.
Denn wie zerbrechlich die Sicherheit in Afghanistan auch trotz der massiven Präsenz der Nato in Afghanistan ist, zeigte sich in den vergangenen Tagen. Aufständische töteten bei Anschlägen zuletzt ein Dutzend Afghanen. Bei einem Bombenanschlag verlor auch ein Soldat der Internationalen Schutztruppe (Isaf) sein Leben.
Quelle: ntv.de, ieh/dpa/AFP/rts