Politik

Angst vor billigen Osteuropäern Arbeitgeber fordern Mindestlohn

Mindestlohn für alle Branchen? Auch im Weihnachtsgeschäft werden Zeitarbeiter gerne eingesetzt.

Mindestlohn für alle Branchen? Auch im Weihnachtsgeschäft werden Zeitarbeiter gerne eingesetzt.

(Foto: dpa)

Nach den Gewerkschaften befürchten nun plötzlich auch die Unternehmen eine Flut der Billigkonkurrenz: Am 1. Mai 2011 wird der deutsche Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus Osteuropa vollständig geöffnet. Einhellig fordern deshalb Arbeitgeber, Gewerkschafter, Experten und Politiker einen Mindestlohn, um Lohn- und Preisdumping zu verhindern. Lidl fordert gar 10 Euro.

Die vollständige Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Arbeitskräfte aus Ost- und Mitteleuropa ab Mai 2011 lässt den Ruf nach Mindestlöhnen lauter werden – und auch die Wirtschaft schließt sich den Forderungen an. Nachdem Arbeitgeberchef Dieter Hundt bereits einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche gefordert hat, plädiert nun auch der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für einen Mindestlohn in Deutschland. Ab Mai sei eine "Lohn-Abwärtsspirale" zu befürchten, insbesondere in Teilen des Dienstleistungssektors, wo bereits jetzt niedrige Löhne gezahlt werden, erklärte IAB-Chef Joachim Möller in Nürnberg. Die gesellschaftlichen Schäden wären "immens", warnte er. Er sprach sich daher für einen "mit Augenmaß festgesetzten Mindestlohn" aus.

Ab dem 1. Mai 2011 muss Deutschland seinen Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen öffnen. Menschen aus diesen zehn Ländern können sich dann ohne Beschränkung einen Job hierzulande suchen. Zudem dürfen Unternehmen aus den neuen Mitgliedstaaten Arbeitnehmer auf den deutschen Arbeitsmarkt entsenden.

Arbeitgeber haben Angst

"Das wird zum Problem, wenn diese Unternehmen ihre Arbeitnehmer zu polnischen oder baltischen Löhnen bezahlen", erklärte IAB-Direktor Möller. Diesen Lohnwettbewerb könnten deutsche Unternehmen nicht gewinnen. Die Situation im Niedriglohnbereich könne sich "gravierend" verschärfen, warnte der Arbeitsmarktexperte. Dabei könnten sich gesellschaftliche Probleme und soziale Spannungen verschärfen: Die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe liege bereits bei mehr als 20 Prozent.

Fürchtet die billige Konkurrenz aus Osteuropa: Arbeitgeberchef Hundt.

Fürchtet die billige Konkurrenz aus Osteuropa: Arbeitgeberchef Hundt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Arbeitgeberpräsident Hundt hatte sich ebenfalls schon für einen gesetzlichen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche ausgesprochen. Die Gestaltungsmacht der Tarifpartner ende an der Landesgrenze, sagte Hundt dem "Hamburger Abendblatt". "Deshalb brauchen wir den Gesetzgeber, um den Mindestlohn auch auf ausländische Anbieter von Zeitarbeitskräften auszudehnen." Er sehe die Gefahr, dass ein deutsches Zeitarbeitsunternehmen in Stettin eine Filiale aufmache, dort Arbeitnehmer aus Mecklenburg einstelle und diese dann auf Basis des polnischen Tarifvertrags mit vier oder fünf Euro Stundenlohn wieder in Deutschland einsetze, sagte Hundt. Dies würde einen berechtigten öffentlichen Aufschrei geben.

Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich darauf verständigt, am 1. Mai 2011 einen Mindestlohn von 7,79 Euro im Westen und 6,89 Euro im Osten einzuführen. Hundt will auch ausländische Anbieter darauf verpflichten. Der DGB plädiert für einen Mindestlohn und die Einfügung des Prinzips "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die FDP sperrt sich dagegen.

Lidl fordert 10 Euro

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Billig-Supermarktkette Lidl fordert sogar die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von zehn Euro im Handel und "in jeder anderen Branche". Nur mit einem verbindlichen Mindestlohn lasse sich der Missbrauch von Lohndumping wirksam unterbinden, erklärte Lidl-Chef Jürgen Kisseberth. Das Unternehmen habe sich mit seiner Forderung an alle Fraktionsvorsitzenden im Bundestag gewandt.

"Gleiche Arbeit - gleicher Lohn" und "Gute Arbeit - fairer Lohn" sollte zum Motto für die Situation aller Beschäftigten in Deutschland werden, erklärte Kisseberth weiter. Lidl sei "sehr" daran interessiert, dass die Diskussion um das Thema Mindestlohn lebendig bleibe. Der Chef der Unternehmensgruppe Schwarz, zu der Lidl gehört, hatte bereits im Mai einen gesetzlichen Mindestlohn im Handel gefordert. Klaus Gehrig sagte, bei Lidl verdiene kein Mitarbeiter in den Filialen oder im Warenlager weniger als zehn Euro pro Stunde. Dies gelte auch für geringfügig Beschäftigte. Fast die Hälfte der Belegschaft arbeitet demnach in der höchsten Stufe des Einzelhandelstarifvertrages und verdient deutlich mehr als zehn Euro pro Stunde.

"Deutschland nicht geschützt"

Die Gewerkschaften fordern schon seit längerem einen Mindestlohn. Verdi-Chef Frank Bsirske hatte mit Blick auf die vollständige Freizügigkeit für Osteuropäer auf die Erfahrungen Großbritanniens verwiesen. Dort wurde der Arbeitsmarkt bereits 2004 geöffnet. Die Briten seien damals davon ausgegangen, dass etwa 70.000 bis 100.000 Arbeitskräfte zuwandern. Am Ende war es eine Million, sagte der Verdi-Chef. Irland und Großbritannien seien aber im Vergleich zu Deutschland heute nicht mehr so attraktiv. "Es ist möglich, dass nun die Menschen in Deutschland ihr Glück suchen, wo die Wachstumsprognosen gut sind."

Die SPD unterstützt ebenfalls die Forderungen nach einem Mindestlohn. "Wir müssen verhindern, dass immer mehr Familien von Armut betroffen sind", sagte Generalsekretärin Nahles und verwiese ebenfalls auf die in Kraft tretende Freizügigkeit für Arbeitnehmer innerhalb der EU. "Deutschland ist das einzige Land, das sich von Lohndumping nicht hinreichend schützt."

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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