85 Soldaten fliehen in die Türkei Assad laufen Militärs davon
02.07.2012, 22:11 Uhr
An der Grenze zwischen Syrien und der Türkei ist die Lage angespannt.
(Foto: REUTERS)
Ein Tross von rund 300 Menschen passiert die Grenze zwischen Syrien und der Türkei. Zu den Flüchtlingen zählen auch 85 Soldaten, darunter sind auch mehrere Offiziere. Sie fliehen vor dem Bürgerkrieg und der Hand von Präsident Assad. Der hat gerade erst die Gesetze gegen Regimegegner verschärft.
Insgesamt 85 syrische Soldaten sind laut einem Bericht der halbamtlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu vor der Gewalt in ihrem Land über die Grenze in die Türkei geflohen. Anadolu beruft sich auf örtliche Behörden. Unter den Soldaten seien auch mehrere ranghohe Militärs, wie ein General, ein Oberst, ein Oberstleutnant sowie 18 weitere Offiziere.
Die Militärs seien innerhalb einer Gruppe von insgesamt 293 Menschen über Reyhanli im Süden in die Türkei gekommen, berichtete Anadolu weiter. Zu der Gruppe zählten demnach auch zahlreiche Frauen und Kinder. Die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei liegt bei mehr als 35.000. In den Aufnahmezentren befinden sich auch Deserteure der syrischen Armee, darunter 14 Generäle. Die Beziehung zwischen der Türkei und Syrien ist seit dem Abschuss eines türkischen Kampfjets durch Syrien im Juni besonders angespannt.
Seit Beginn des Konflikts in Syrien waren immer wieder Militärs angesichts der Gewalt aus Syrien geflohen. Erst im Juni hatte der Fall eines syrischen Kampfpiloten für Aufsehen gesorgt, der mit seinem Flugzeug nach Jordanien geflohen war. Mehrere westliche Länder forderten daraufhin weitere Mitglieder der syrischen Armee zum Desertieren auf.
Harte Strafen für "Terroristen"
Derweil hat Syriens Präsident Baschar al-Assad neue "Anti-Terror-Gesetze" erlassen. Die drei Gesetze sehen harte Strafen für die Verantwortlichen von "Terrorakten" vor, die auf eine Änderung des Systems abzielten, wie die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete. Gründer oder Leiter einer "terroristischen Vereinigung" müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es.
Mitgliedern einer "Terrorgruppe" drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von "Terrorgruppen" mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden.
Menschenrechtler: Es geht nicht um Sicherheit
Die Gesetze waren zuvor schon vom syrischen Parlament verabschiedet worden. Der syrische Menschenrechtsaktivist und Anwalt Anwar al-Bunni bezeichnete die Gesetze als "Flucht nach vorne" einer Regierung, die sich jeder politischen Lösung verschließe. Die Gesetze zielten nicht darauf ab, die Sicherheit im Land wiederherzustellen, sagte al-Bunni. Assad lässt den seit mehr als einem Jahr im Land herrschenden Volksaufstand blutig niederschlagen und macht immer wieder "terroristische Banden" für die Gewalt verantwortlich.
Indessen wächst die Sorge über die Lage in Syrien weiter. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte mit Blick auf die Türkei: "Das ist eine Krise, die einen unserer Verbündeten direkt betrifft. Und (sie ist) eine der wichtigsten Sicherheitsherausforderungen, mit denen die Welt derzeit konfrontiert ist."
Rasmussen: "Verurteilen Gewalt"
Rasmussen bekräftigte frühere Aussagen, wonach der Konflikt politisch - und nicht militärisch - gelöst werden muss. Der zivile Nato-Chef begrüßte die Ergebnisse der Syrien-Konferenz vom Wochenende in Genf. Die Konferenz hatte sich auf einen Fahrplan für einen Übergangsprozess in dem Nahostland geeinigt.
Bereits in der vergangenen Woche hatten die ständigen Nato-Botschafter in einer von der Türkei beantragten Sondersitzung den Abschuss eines türkischen Militärjets durch syrische Soldaten scharf verurteilt. Rasmussen bekräftigte dies und sagte: "Wir verurteilen die eskalierende Spirale des Tötens, der Zerstörung und der Menschenrechtsverletzungen in Syrien."
Nato: Keine Anfrage aus Ankara
Der frühere dänische Regierungschef sagte weiter, es sei normal, dass Ankara seine Militärpräsenz an der Grenze verstärke. Es gebe keine Anfrage der Türkei an die Nato-Alliierten für den Einsatz von militärischem Material der Allianz.
Überschattet vom angekündigten Boykott mehrerer Gruppen hat derweil die syrische Opposition in Kairo über eine Position zur Zukunft des krisengeschüttelten Landes beraten. Das Treffen sei eine "Gelegenheit, die nicht verpasst werden darf", sagte der Chef der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, zum Auftakt der Gespräche.
Mehr Koordination ist gefragt
Al-Arabi rief die rund 250 versammelten Oppositionsvertreter auf, sich zu vereinen. "Die Zeit läuft gegen uns", sagte er und betonte die Notwendigkeit eines "demokratischen pluralistischen Systems, das die Syrer nicht diskriminiert". Der Stellvertreter des Sondergesandten Kofi Annan, Nasser al-Kudwa, rief die Opposition ebenfalls zu einer gemeinsamen Position auf. Dies sei "keine Wahl, sondern unabdingbar, wenn die Opposition das Vertrauen des Volkes gewinnen möchte".
An dem auf zwei Tage angesetzten Treffen unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga nahmen auch die Außenminister der Türkei, Iraks und Kuwaits teil. Nachdem die Opposition den in Genf ausgearbeiteten internationalen Plan für eine Beilegung des blutigen Konflikts abgelehnt hatte, wollte sie in Kairo eine gemeinsame Position erarbeiten. Die zersplitterte Opposition wollte das Treffen, an dem unter anderem der Syrische Nationalrat teilnahm, zudem nutzen, um sich zu vereinen und besser abzustimmen.
Freie Syrische Armee schert aus
Überschattet wurde das Treffen daher vom angekündigten Boykott der von Deserteuren gebildeten Freien Syrischen Armee und weiterer militanter Aktivisten. Als Grund gaben die Oppositionellen in einer Erklärung an, die Gespräche in Kairo verweigerten den "Ansatz einer ausländischen Militärintervention zum Schutz der Bevölkerung". Außerdem werde dort weder über die Einrichtung von Schutzzonen noch von humanitären Korridoren oder die Bewaffnung der Aufständischen geredet werden, hieß es.
Das Treffen diene nur dazu, Syriens Staatschef Baschar al-Assad erneut zu einer Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans des Sondergesandten Annan zu bewegen, kritisierten die Freie Syrische Armee sowie "unabhängige" militante Aktivisten. Das Treffen sei eine "Verschwörung", und seine Teilnehmer wollten sich Plänen Russlands und Irans, der beiden Verbündeten Assads, unterwerfen. Das Treffen folge auf die "gefährlichen Entscheidungen der Genfer Konferenz", die Assads Regierung nicht grundsätzlich von einem Neuanfang ausgeschlossen hatte.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa