Die Macht der Medien Auf- und Abstieg von Al-Dschasira
31.12.2014, 16:15 Uhr
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 strahlte Al-Dschasira mehrfach Videos von Osama bin Laden aus.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Katar gehört zwar zu den kleinsten Ländern dieser Erde, sein Einfluss auf das politische Weltgeschehen ist in den vergangenen Jahren allerdings beträchtlich gestiegen. Grund ist das von Doha aus betriebene Mediennetzwerk Al-Dschasira.
"Eine Stimme für die ansonsten Ungehörten. ... Al Dschasira berichtet über jene, die ansonsten ignoriert blieben", sagte Al Anstey, Chef des englischsprachigen Al-Dschasira, als der Sender vor wenigen Wochen seine neue Medienkampagne in Südafrika vorstellte.
Zu den ansonsten Ignorierten zählen für Al-Dschasira allerdings auch die medial anderswo eher geächteten Repräsentanten von Hamas, Al-Kaida oder die Muslimbrüder. Die Al-Dschasira nachgesagte Nähe zu radikalen Islamisten hat dem Netzwerk aus Doha im vergangenen Jahr zunehmend Kritik beschert. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrein riefen zeitweilig sogar ihre Botschafter aus Doha zurück. Al-Dschasira ist Katars Golfnachbarn schon lange ein Dorn im Auge - nicht grundlos.
"Al-Dschasira wurde vor allem mit dem Ziel etabliert, dem Medienmonopol Saudi-Arabiens in der arabischen Welt Mitte der 1990er Jahre etwas entgegenzusetzen. Der Sender zeigte Videos und Interviews mit den verschiedensten radikalislamischen Gruppen, die alle Feinde der saudischen Königsfamilie sind", sagt Tine Ustad Figenschou n-tv.de. Die Medienwissenschaftlerin hat an der Universität Oslo gerade eine Studie zur Medienwirkung von Al-Dschasira veröffentlicht.
Aus allen Regionen dieser Welt zu berichten, und zwar nicht aus der Perspektive der Amerikaner mit CNN oder der Engländer mit BBC - mit diesem Anspruch startete Al-Dschasira 1996. Unabhängiges arabisches Fernsehen sollte es sein, für arabisch sprechende Zuschauer über Konflikte in der eigenen Region. Seitdem habe sich Al-Dschasira vom zwielichtigen Außenseiter zu einem globalen Netzwerk entwickelt, so Figenschou.
Bomben auf Al-Dschasira-Büros in Kabul und Bagdad
Als die Amerikaner 1998 im Irak die Operation "Wüstenfuchs" starteten, war Al-Dschasira der einzige internationale Fernsehsender, dessen Korrespondenten aus dem Irak berichteten. Der Sender bot die andere Perspektive auch, als er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Osama bin Ladens Bekennervideo veröffentlichte. Das war der Moment, in dem der arabische Sender die ersten internationalen Schlagzeilen machte. "Terroristenfernsehen" - so die gängige Meinung des Westens über den arabischen Kanal. Und wenn es nach dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush gegangen wäre, dann hätten die Amerikaner nicht nur die Büros von Al-Dschasira in Kabul und Bagdad beschossen, sondern auch gleich das Al-Dschasira-Hauptquartier in Doha. Al-Dschasira konnte damals bereits zu Recht von sich behaupten, zum einflussreichsten Fernsehsender in der arabischen Welt geworden zu sein.
Angetrieben vom enormen Erfolg der Marke Al-Dschasira startete das Media Network 2006 unter anderem eine englischsprachige Version des arabischen Senders. Mit der Geburt von "Al Jazeera English" ging es den Strategen in Doha nicht mehr nur um die mediale Vorherrschaft des Mittleren Ostens. Diesmal wollten sie den weltweiten Fernsehmarkt erobern. "Wir wollen, dass Afrikaner über Afrika berichten und Asiaten über Asien. Wir glauben, der Zuschauer hat genug davon, von Ausländern über sich selbst zu hören", sagte Nigel Parsons, der erste Chef des englischen Al-Dschasira.
Der Arabische Frühling 2011 wurde zur Sternstunde des Senders. "Al-Dschasira integrierte und bewertete, was aus den sozialen Medien kam. Der Sender zeigte Videos und Statements von der Straße. Das hat die Botschaft der Proteste verstärkt. Auf der anderen Seite nutzten die Demonstranten in ihren sozialen Netzwerken Bilder und Berichte von Al-Dschasira", meint Tine Figenschou: "Aufgrund der intensiven Berichterstattung von Al-Dschasira erfuhr das internationale Publikum von den Ereignissen. Der Sender wurde zur wichtigsten Nachrichtenquelle über das Geschehen." Das meinte damals auch Hillary Clinton: Al-Dschasira habe die Führung übernommen, kritisierte die US-Außenministerin im März 2011 die amerikanischen Medien.

London, 29. Dezember: Journalisten und Menschenrechtler protestieren in London dagegen, dass drei Al-Dschasira-Mitarbeiter in Ägypten seit einem Jahr in Haft sind.
(Foto: AP)
Die Sternstunde von Al-Dschasira scheint mittlerweile allerdings vorüber. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Entscheidung Katars, die in Ägypten gestürzten Muslimbrüder nach wie vor politisch und finanziell zu unterstützen. Die einseitige Berichterstattung über die anhaltenden Proteste nach dem Militärputsch hat Al-Dschasira bei demokratischen Reformern unbeliebt gemacht. Die Interessen Katars decken sich nicht mehr zwangsläufig mit denen der Protagonisten des Arabischen Frühlings.
In Ägypten und Saudi-Arabien ist der Sender längst nicht mehr zu empfangen. Drei Al-Dschasira Journalisten sitzen in Kairo seit einem Jahr wegen angeblicher Spionage hinter Gitter. Ihre Verurteilung zu langen Haftstrafen sollte nicht allein die Journalisten treffen: Es ist eine Warnung an Al-Dschasira und eine Warnung an Katar, sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten der Nachbarstaaten einzumischen. Der Minigolfstaat hat allerdings bereits neue Fernsehpläne. Im Januar will der junge Emir von Katar von London aus einen neuen arabischsprachigen Sender ins Leben rufen: Al-Araby.
Quelle: ntv.de