Gewaltsame Proteste in Tunesien Ausgangssperre verhängt
12.01.2011, 20:18 Uhr
Randale in der tunesischen Stadt Ettadhamen nahe Tunis.
(Foto: REUTERS)
In Tunesien kommt es zu gewaltsamen Protesten. Nach Straßenschlachten setzt die Regierung das Militär ein und verhängt eine Ausgangssperre. Präsident Ben Ali entlässt seinen Innenminister und ordnet die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten an. Während die EU das Vorgehen der Polizei verurteilt, hält sich Frankreich zurück.
Die sozialen Unruhen in Tunesien haben die Hauptstadt Tunis erreicht. Präsident Zine el Abidine Ben Ali setzte die Armee zum Schutz wichtiger Gebäude ein. Er entließ außerdem den Innenminister und ordnete die Freilassung aller festgenommenen Demonstranten an. Erstmals kam es im Zentrum von Tunis zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen etwa 200 Demonstranten und der Polizei. Hunderte junge Leute warfen Steine auf die Sicherheitskräfte, die mit dem Einsatz von Tränengas antworteten.
Soldaten gingen im Stadtzentrum von Tunis vor der französischen Botschaft und dem staatlichen Rundfunk in Position. Die meisten Läden, Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Auch in zwei Provinzstädten gingen erneut Menschen auf die Straße. Soldaten waren an den Ausschreitungen nicht beteiligt.
Krawalle in "bestimmten Vierteln"
Die Europäische Union verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte. "Wir können den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten durch die Polizei nicht akzeptieren", sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Die Täter müssten vor Gericht gestellt werden. Zudem mahnte die Sprecherin die tunesische Regierung, Menschenrechte nicht zu verletzen. Nach Darstellung der tunesischen Regierung handelten die Beamten in Selbstverteidigung.
Am Abend verhängte die Regierung eine nächtliche Ausgangssperre. Sie gelte auch für mehrere Vororte, nachdem es in "bestimmten Vierteln" zu Krawallen gekommen sei, teilte das Innenministerium mit. Es habe "Störungen, Plünderungen und Angriffe auf Personen und Güter" gegeben. Die Ausgangssperre gilt laut Ministerium deshalb ab 20 Uhr bis 05.30 Uhr morgens. Sie gelte "vorübergehend" und solle die Bürger des Landes schützen.
Der seit Mitte Dezember anhaltende Protest gegen die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Lebensmittelpreise hat sich mittlerweile zu einer regimekritischen Massenbewegung in zahlreichen Orten des Landes ausgeweitet. Am Vorabend hatte es bereits in einem Vorort von Tunis Randale gegeben. Mehrere Geschäfte wurden geplündert. Im Süden des Landes wurden zwei Männer im Alter von 27 und 35 Jahren erschossen. Nach Augenzeugenberichten eröffnete die Polizei das Feuer auf Demonstranten im Ort Douz etwa 500 Kilometer südlich von Tunis. Auch im Küstenort Sfax kam es zu Demonstrationen.
Frankreich schont Ben Ali
Über die Opferzahlen gehen die Angaben weit auseinander. Die Regierung sprach am Dienstagabend von 21 Toten, Gewerkschafter gehen von etwa 50 Toten seit dem vergangenen Wochenende aus. Die französische Regierung verzichtet weiter darauf, die tunesische Regierung für ihr gewaltsames Vorgehen zu kritisieren. "Wir verurteilen die Gewalt", sagte Regierungssprecher François Baroin in Paris ohne einen Adressaten zu nennen. "Weiter können wir nicht gehen, das wäre eine Einmischung in innere Angelegenheiten", fügte er hinzu. Ben Ali gilt in Paris als Bollwerk gegen den Islamismus. Die französische Regierung hält sich deswegen traditionell mit Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen in Tunesien zurück. Noch vor wenigen Tagen hatte Ben Ali die Proteste als Terrorakte bezeichnet.
Unterdessen gab es einen versuchten Brandanschlag auf die tunesische Botschaft in der Schweizer Hauptstadt Bern. Der Sachschaden sei nur gering, teilte die Kantonspolizei mit. Es war zunächst unklar, ob es einen Zusammenhang mit der Lage im Land gab. In Paris hatte es vor einigen Tagen ebenfalls einen Anschlag auf ein Gebäude des tunesischen Konsulats gegeben.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP