Politik

"Ambitioniert" Ausstieg für Koalition zu schnell

Drückt aus Tempo: Merkel mit Ministern und Länderchefs auf dem Weg, die Energiewende zu verkünden.

Drückt aus Tempo: Merkel mit Ministern und Länderchefs auf dem Weg, die Energiewende zu verkünden.

(Foto: dapd)

Kanzlerin Merkel überfordert mit der Schnelligkeit des Atomausstiegs ihre Koalition. Union und FDP streiten um Kosten und Tempo, die Liberalen wollen auf keinen Fall den Umstieg durch höhere Steuern finanzieren. Die Grünen bezeichnen die Debatte allerdings als Panikmache und Greenpeace rechnet die wahren Kosten der Kernkraft vor.

Der Zeitplan für die Gesetze zur Energiewende stößt in der Koalition auf Vorbehalte: Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs und Bundestagspräsident Norbert Lammert äußerten Zweifel, ob das vorgesehene Tempo hinzukriegen sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich mit den Ländern darauf verständigt, im Juni innerhalb weniger Tage mehrere Gesetzesänderungen durch die parlamentarischen Gremien zu peitschen. Unstimmigkeiten gibt es zudem in der Frage, wie der schnellere Atomausstieg und der Ausbau von Ökostrom finanziert werden sollen.

Nach der Übereinkunft von Merkel und den Ministerpräsidenten bleiben Kabinett, Bundestag und Bundesrat zwischen dem 6. und 17. Juni nur elf Tage Zeit, um alle Gesetzesänderungen zu beschließen. "Der Zeitplan ist extrem ambitioniert. Es sollte aber Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen", warnte Fuchs in der "Welt am Sonntag". Auch Parlamentspräsident Lammert will sich dem Zeitplan nicht ohne weiteres fügen. Zwar sei mit den Kommissionen für Reaktorsicherheit und Ethik vereinbart worden, im Mai zu Schlussfolgerungen zu kommen. "Wie viel Zeit der Bundestag anschließend braucht, um ein Gesetzgebungsverfahren sorgfältig zu beraten, entscheiden wir dann, wenn der Gesetzentwurf vorliegt", sagte der CDU-Politiker der "Welt". Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, nannte den Zeitplan unseriös. Es handele sich um eine Entmündigung des Parlaments. "Merkel will ihre eigene Partei überrumpeln, weil sie Widerstand fürchtet."

FDP sperrt sich gegen Steuer

Steigende Preise? Die Energiewirtschaft warnt, Greenpeace und Grüne sprechen von Panikmache.

Steigende Preise? Die Energiewirtschaft warnt, Greenpeace und Grüne sprechen von Panikmache.

(Foto: dpa)

Fuchs beklagte zudem, über die Kosten der Energiewende bestehe noch völlige Unklarheit. Bislang sei von einer Summe zwischen drei und fünf Milliarden Euro im Jahr die Rede. "Das ist heftig." Einen Ausstieg zu jedem Preis dürfe es aber nicht geben. Der designierte FDP-Chef Philipp Rösler schloss für seine Partei Steuererhöhungen zur Finanzierung des Umstiegs aus. "Ich bin gegen einen Energie-Soli", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Auch eine höhere Neuverschuldung komme nicht infrage, um den notwendigen Netzausbau zu finanzieren.

Das Geld müsse an anderer Stelle im Bundeshaushalt eingespart werden, forderten neben Rösler auch Fraktionschefin Birgit Homburger und Generalsekretär Christian Lindner. Der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle und Unions-Fraktionschef Volker Kauder schlossen Steuererhöhungen zur Finanzierung der Energiewende zwar ebenfalls aus. Ein neues Sparpaket sei aber nicht notwendig, sagte Barthle der "Passauer Neuen Presse". Nicht auszuschließen sei dagegen, dass eventuelle Mehrkosten "ein Stück weit von den Verbrauchern zu tragen sein werden".

Grüne warnen vor Panikmache

Merkel zeigte sich überzeugt, dass die Kosten für die Verbraucher überschaubar bleiben werden. Eine genaue Auskunft sei aber erst im Rahmen des Gesamtkonzepts möglich, erklärte die CDU-Chefin. SPD-Chef Sigmar Gabriel mahnte im NDR, die Kosten dürften nicht allein dem Stromkunden aufgebürdet werden. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warnte die Regierung vor Panikmache zu den Kosten des Atomausstiegs. Selbst nach Zahlen des Wirtschaftsministeriums werde jeder deutsche Haushalt nur mit 1,50 Euro pro Monat zusätzlich belastet, sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Gebot der Stunde müsse der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen sein. Dagegen forderte Fuchs in der "Bild am Sonntag" neue Subventionen für energieintensive Betriebe wie Aluminium- und Stahlhersteller.

Die Atomrunde mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer im Kanzleramt.

Die Atomrunde mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer im Kanzleramt.

(Foto: dpa)

Umweltminister Norbert Röttgen will bis Mitte Juni ein neues Atomgesetz mit einem festen Ausstiegsdatum. Die Endlagerung spielt dabei aber bislang eine untergeordnete Rolle. Deren Kosten und Wirkungen sind aber nur schwer abschätzbar. An diesem Montag kommt die von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission zu ihrer ersten, dreitägigen Klausur auf Schloss Liebenberg etwa 50 Kilometer nördlich von Berlin zusammen. Der Vorsitzende der Entsorgungskommission, Sailer, sagte: "Wenn man ein neues Atomgesetz macht, sollte da reingeschrieben werden, dass man einen Fahrplan für die Endlagerung braucht." In den nächsten 20 bis 25 Jahren müsse man zu einem genehmigungsfähigen Projekt für ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle kommen.

Der Chef eines der großen Energieversorgungsunternehmen warnte nach Informationen der "Bild am Sonntag" in vertraulicher Runde davor, der private Stromkunde müsse sich wegen des Atomausstiegs auf eine Preiserhöhung von 70 Prozent einstellen. Damit kämen auf jeden Bürger im Schnitt zusätzlich knapp 18 Euro pro Monat zu. Nach Darstellung eines RWE-Sprechers könnte der Konzern jedoch vom Abschalten einiger Atomanlagen wegen dann steigender Strompreise auch profitieren.

"Alle Kosten einrechnen"

Die Umweltorganisation Greenpeace erklärte dagegen, würden alle Kosten und staatlichen Förderungen einberechnet, sei Atomstrom zum Beispiel doppelt so teuer wie Wasserkraft. Nach einer Studie kostet eine Kilowattstunde Windstrom 7,6 Cent, Wasserstrom 6,5 Cent, Kohlestrom 12,1 und Atomstrom 12,8 Cent. "Die ganze Energiedebatte krankt daran, dass für Atom und Kohle die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten nicht ehrlich beziffert werden", kritisierte Robert Werner, Vorstand von der Energiesparte Greenpeace Energy. Die Deutsche Umwelthilfe warnte in einer Erklärung davor, die "von interessierter Seite forcierte unseriöse Kostendebatte als Handbremse gegen die Umsetzung einer umfassenden Energiewende einzusetzen".

Um Einnahmeausfälle durch abgeschaltete Atomkraftwerke auszugleichen, erwägt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble offenbar eine Erhöhung der Kernbrennstoffsteuer. Im Ministerium werde geprüft, ob Haushaltslücken auf diese Weise von den Unternehmen zumindest teilweise ausgeglichen werden könnten, berichtete der "Spiegel". Ein Ministeriumssprecher wollte dies weder dementieren noch bestätigen.

Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP

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