NSU hatte mehr Helfer als bekannt BKA drängt auf Neonazi-Datei
07.12.2011, 17:30 UhrDie jahrelang unentdeckte Mordserie von Rechtsextremen bringt das Bundeskriminalamt in Bedrängnis. Nun kann es der Behörde nicht schnell genug gehen: Sie fordert die schnelle Einführung der Neonazi-Datei. Diese soll auch helfen, Netze unter den Neonazis aufzudecken. Denn im Zuge der Ermittlungen stößt man auf immer mehr Helfer der Zwickauer Zelle.
Das Bundeskriminalamt (BKA) fordert von der Politik eine schnelle Einführung der geplanten Neonazi-Datei zur Verbesserung der Ermittlungsarbeit. BKA-Präsident Jörg Ziercke rief die Politik dazu auf, die geplante Verbunddatei rasch einzuführen, die Bankverbindungen, Telefonverbindungen und Kontaktleute von gewaltbereiten Rechtsextremisten zentral zusammenführen könnte. Bislang existierten Daten nur verstreut, sagte er bei der BKA-Herbsttagung in Wiesbaden.
Die Tagung mit 500 Polizei- und Sicherheitsexperten sollte sich eigentlich dem Jubiläum 60 Jahre BKA widmen, stand aber ganz im Zeichen der jahrelang unaufgeklärt gebliebenen rechtsterroristischen Taten. "Es gilt für uns, verloren gegangenes Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden zurückzugewinnen", gestand Ziercke ein. Der Publizist Ralf Giordano hielt den Behörden auf der Tagung eine "bis an den Rand der Kooperation" reichende Blindheit gegenüber der braunen Gefahr vor.
Laut Ziercke werden in Deutschland täglich zwei bis drei rechtsextremistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Gewalttaten begangen. Die Sicherheitsbehörden rollten jetzt auch mehrere tausend Straftaten der Vergangenheit wieder auf, um sie auf einen rechtsgerichteten Hintergrund zu überprüfen.
Vorbehalte zurückgewiesen
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU hatte die Neonazi-Verbunddatei als Konsequenz aus der Neonazi-Mordserie und den Pannen bei Polizei und Verfassungsschutz angekündigt. "Die technische Lösung wird ähnlich sein wie bei der Anti-Terror-Datei", sagte Ziercke. Geheimdienste könnten ihre Hinweise verdeckt einstellen. Allerdings solle die Verbunddatei zur rechten Gewalt mehr Recherchemöglichkeiten haben, um Beziehungen zwischen einzelnen Taten oder Tätern aufzuspüren.
Vorbehalte von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP gegen die Verbunddatei wies das Bundesinnenministerium zurück. Ein Sprecher von Minister Friedrich sagte der "Saarbrücker Zeitung": "Wir müssen zwischen rechtspolitischen Unterschieden und innenpolitischen Notwendigkeiten unterscheiden." Man begrüße jedoch, dass die Justizministerin im Kampf gegen den Rechtsextremismus einer gemeinsamen Datei von Polizei und Nachrichtendiensten grundsätzlich positiv gegenüber stehe.
Mehr NSU-Helfer als bisher bekannt
Das BKA bat derweil die Landeskriminalämter, 50 weitere Ermittler zur Aufklärung der Mordserie der rechtsextremen Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) abzustellen. Bislang sind nach Zierckes Angaben 430 Experten bei den Ermittlungen eingesetzt. Er rief die Öffentlichkeit zudem auf, weiter mit Hinweisen bei den Ermittlungen zu helfen. Seit vergangener Woche seien insgesamt 450 Hinweise zur Zwickauer Terrorzelle eingegangen. Der Gruppe werden zehn Morde zur Last gelegt.
Generalbundesanwalt Harald Range nimmt an, dass die NSU mehr Unterstützer hatte, als bisher bekannt. "Der Unterstützerkreis erweitert sich, je näher wir herankommen", sagte Range der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Doch nur die in Untersuchungshaft sitzende Beate Zschäpe sei bisher der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung dringend verdächtig. Einer steht Range jedoch weiterhin skeptisch gegenüber. "In diesem Fall - bei zehn Morden - müsste man sehr genau prüfen, inwieweit ein Strafnachlass überhaupt möglich sein könnte", sagte er. "Für eine Lebensbeichte sind wir immer offen." Informelle Deals, über die spekuliert worden war, gebe es mit ihm aber nicht.

Das Zwickauer Terror-Trio:Uwe Böhnhardt (l) und Uwe Mundlos sind tot, Beate Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft.
(Foto: dpa)
Zschäpe sei vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs auf die Kronzeugenregelung hingewiesen worden, also auf die Möglichkeit eines Strafnachlasses im Fall einer Aussage. "Die Frage stellt sich aber erst am Ende eines Verfahrens und gehört bisher nicht zu meinen Überlegungen", sagte Range. Er hob zudem hervor, dass es keinen Anfangsverdacht dafür gibt, dass die NSU etwas mit den zu tun hat. Bisher werde deshalb nicht ermittelt, sagte Range der FAZ.
Nach Darstellung des sächsischen Verfassungsschutzes war Beate Zschäpe keine Informantin der Behörde. Das versicherte Behördenchef Reinhard Boos nach Angaben der Linksfraktion der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtags.
"Rechtliche Hürden extrem hoch gestellt"
Die Mordserie belebt auch die Debatte über ein neues NPD-Verbotsverfahren neu. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz von der SPD rechnet hierfür mit einer breiten Mehrheit bei der Innenministerkonferenz in Wiesbaden. "Ich glaube, dass die ganz überwiegende Zahl der Innenminister ein Signal dafür setzen wird, damit ihre Regierungen ein Verfahren auf den Weg bringen", sagte Lewentz in Mainz. Bei der Konferenz an diesem Donnerstag und Freitag in Wiesbaden müsse es aber das Ziel sein, bei den Ländern ein 16:0 zu erreichen. Skeptiker eines Verfahrens befürchten nach dem ersten gescheiterten Verbotsverfahren 2003, dass auch ein zweiter Vorstoß beim Bundesverfassungsgericht erfolglos bleiben könnte.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jerzy Montag, verwies bei n-tv.de darauf, "dass das Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht lange dauern wird und die rechtlichen Hürden extrem hoch gestellt sind". Es bestehe die Gefahr, dass das Verbotsverfahren mit einer Abweisung des Antrages enden könnte", sagte Montag.
Quelle: ntv.de, dpa