Politik

Brandsätze in Berlin Bahn droht Tätern

(Foto: dpa)

Aufgeschreckt diskutieren Sicherheitsexperten und Politiker über die versuchten Brandanschlägen auf die Bahn in Berlin. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen beobachtet wachsende Gewaltbereitschaft in der linksextremistischen Szene, andere sprechen gar von Terror. Die SPD weist das scharf zurück, auch das Bundesinnenministerium widerspricht. Derweil droht die Bahn den Tätern mit Konsequenzen.

Der Fund immer neuer Brandsätze an Bahnanlagen im Großraum Berlin hat eine Diskussion über die Dimension linksextremer Gewalt in Deutschland entfacht. Nach Ansicht des niedersächsischen Verfassungsschutzes wird die Szene immer militanter. "Wir beobachten seit einiger Zeit, dass die Gewaltbereitschaft in der linksextremen Szene deutlich wächst", sagte der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sprach sogar von "beginnendem Linksterrorismus".

Die Bundespolizei zeigt am Berliner Hauptbahnhof Präsenz.

Die Bundespolizei zeigt am Berliner Hauptbahnhof Präsenz.

(Foto: dapd)

Die SPD wies diese Einschätzung scharf zurück. Die Brandsätze, die seit Tagen an Bahnanlagen im Raum Berlin entdeckt werden, hätten mit Terrorismus nichts zu tun, sagte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz der "SZ". "Bei aller berechtigten Empörung darf man den Verstand nicht ausschalten." Es gehe nicht darum, die gefährlichen Brandsätze zu verharmlosen. Ein Vergleich etwa mit der RAF verbiete sich aber. Diese habe "Krieg gegen die Spitzen des Staates geführt".

"Massive Probleme"

Damit grenzte sich die SPD auch von der Bundesregierung ab. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte gesagt, er sehe sich in seiner Sorge wegen eines "zunehmenden Linksextremismus leider bestätigt". Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verurteilte die versuchten Brandstiftungen als "verbrecherische terroristische Anschläge".

Die Signale stehen auf Rot: Im Zug- und S-Bahnverkehr kommt es zu Verzögerungen.

Die Signale stehen auf Rot: Im Zug- und S-Bahnverkehr kommt es zu Verzögerungen.

(Foto: dpa)

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte bei n-tv, dass linksextremistische Gewalttaten in diesem Jahr deutlich gestiegen seien. Er rief dazu auf, "äußerst wachsam" zu sein. Deutschland habe "massive Probleme insbesondere mit dem gewaltbereiten Linksextremismus".

Ein besonders militanter Kern der Linksextremisten schrecke inzwischen nicht mehr davor zurück, bei Brandanschlägen auch Menschenleben konkret und unmittelbar zu gefährden, warnte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Bei dem Brandanschlag an einem Berliner Bahn-Tunnel hätte es ebenso Tote geben können wie bei Brandsatz-Angriffen auf die Insassen eines Polizeiautos beim letzten Castor-Transport in Niedersachsen. Es seien durchaus "Parallelen zu den bis in die 1990er-Jahre aktiven "Revolutionären Zellen" erkennbar", sagte Wargel.

Wegen des Verdachts der "verfassungsfeindlichen Sabotage" hat inzwischen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Die Bahn setzte eine Belohnung von 100.000 Euro für die Ergreifung der Täter aus. Am vierten Tag in Folge wurde in Berlin ein Brandsatz an Bahngleisen entdeckt.

Der für Konzernsicherheit zuständige Bahn-Vorstand Gerd Becht drohte den Tätern eine Schadenersatzklage in Millionenhöhe an. "Sollten die Täter ermittelt werden, strengen wir selbstverständlich Schadenersatzklagen an", sagte Becht der "Bild"-Zeitung. "Für diesen Fall gehe ich von einem Millionenbetrag aus." Die Bahn investiere 160 Millionen Euro pro Jahr in die Sicherheit und habe in diesem Jahr die Zahl der Sicherheitskräfte von 3200 auf 3700 aufgestockt, fügte Becht hinzu.

Bundesinnenministerium: Kein linker Terror

Das Bundesinnenministerium sieht dagegen nach den versuchten Brandanschlägen auf Bahnanlagen in Berlin noch keinen neuen Linksterrorismus in Deutschland. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, dass aus den linksextremistischen Strukturen bereits linksterroristische Vereinigungen im Sinne des Strafgesetzbuches geworden seien, sagte Ministeriumssprecher Jens Teschke. "Trotzdem sind wir der Ansicht, dass wir auf der Hut sein und allen Strukturen im Ansatz entschieden entgegenwirken müssen, die sich zum Linksterrorismus entwickeln können."

Beamte stellen Brandsätze in der Nähe des Berliner Bahnhofs Staaken sicher.

Beamte stellen Brandsätze in der Nähe des Berliner Bahnhofs Staaken sicher.

(Foto: dpa)

Der Verfassungsschutz geht von einer isolierten Einzelgruppe aus. "Derartige Angriffe auf Infrastruktur, mit dem Ziel maximalen Schaden zu verursachen, sind auch für die gewaltbereite Szene in Berlin eine Besonderheit", sagte Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid dem "Tagesspiegel". Die Sabotageaktion sei ein Eigentor für die Täter. "Für Anschläge in dieser Dimension gebe es kaum Rückhalt, weil damit die ganz normale Bevölkerung getroffen wird." Bereits der Brandanschlag auf Kabelstränge am S-Bahnhof Ostkreuz im Mai sei in der Szene umstritten gewesen.

Der Polizeigewerkschaftsvorsitzende Wendt sprach hingegen von einer "neuen Dimension". Die Bevölkerung solle mit Gewalt in Angst und Schrecken versetzt, der Staat solle zu politischen Entscheidungen genötigt werden, sagte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft dem "Handelsblatt". "Das ist beginnender Linksterrorismus, auch wenn dies aus der politischen Perspektive der Regierung noch nicht erkannt oder anders bewertet wird. Ich vermag keinen Unterschied zwischen Mordanschlägen auf Polizisten und solchen auf Politiker zu entdecken."

Experten sehen das anders: Eine Gefahr für Menschen gebe es nicht, weil bei einem Ausfall der Technik alle Züge stoppten. Die Täter verwendeten meist Plastikflaschen, die mit Benzin gefüllt und mit Zündern versehen waren. Sie wurden in Kabelschächten deponiert und sollten Leitungen zerstören, mit denen Weichen und Signale gesteuert werden.

Niemand gefasst

Der Sicherheitsbeauftragte der Bahn, Gerd Neubeck.

Der Sicherheitsbeauftragte der Bahn, Gerd Neubeck.

(Foto: dpa)

Die Polizei geht davon aus, dass alle Brandsätze gleichzeitig von mutmaßlich linksextremistischen Tätern deponiert wurden. Insgesamt wurden bislang mindestens 16 Brandsätze in der Hauptstadt und dem Umland sichergestellt. Die Polizei schloss nicht aus, dass es noch weitere Sprengsätze gibt. Bislang konnten keine Täter gefasst werden. Verletzt wurde niemand.

Der Bahn-Sicherheitsbeauftragte Gerd Neubeck beruhigte indes. "Für unsere Passagiere besteht bei solchen Taten keine Gefahr", sagte er bei n-tv. "Unser System ist so ausgelegt, dass bei einer Unterbrechung von Signalkabeln der Verkehr einfach stehenbleibt." Er schloss nicht aus, dass in den nächsten Tagen weitere Brandsätze gefunden werden. "Sie müssen sich das so vorstellen, dass wir die Strecken rund um Berlin in Kreisen, die wir immer erweitern, absuchen. Dabei ist es natürlich denkbar, dass man auf weitere Brandsätze stößt", sagte Neubeck.

Quelle: ntv.de, rpe/ghö/dpa/AFP

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