Beschluss über ALG I Beck bekommt seine Mehrheit
22.10.2007, 07:08 UhrGegen den Rat des zuständigen Ministers hat die SPD-Spitze die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere beschlossen. Der 45-köpfige SPD-Vorstand folgte bei nur zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung der Linie von Parteichef Kurt Beck. Der Antrag soll dem Parteitag am Wochenende in Hamburg vorgelegt werden.
Die Differenzen seien "offen und fair" ausgetragen worden, sagte Beck nach der Sitzung. Er und Vizekanzler Franz Müntefering wollten ihren Streit nicht fortsetzen. Der Arbeitsminister bleibe bei seinem Standpunkt, sei aber auch nicht verpflichtet, davon "wie im Mittelalter abzuschwören", sagte Beck.
Berichten zufolge votierten nur der bisherige SPD-Vize Jens Bullerjahn und Gesundheits-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk gegen die Verlängerung, Finanzminister Peer Steinbrück enthielt sich. Müntefering gehört dem SPD-Vorstand nicht an.
Beck sagte zu dem klaren Vorstandsvotum, man wolle dem Parteitag "nicht vorschreiben, dass er nicht darüber diskutieren darf, aber zeigen, dass diese Position aus der Mitte des Vorstandes nicht in Frage gestellt wird".
Müntefering bekräftigte in der Sitzung jedoch, dass er den Beck-Vorstoß unverändert für falsch halte. Die SPD dürfe die Prinzipien der Reform-"Agenda 2010" nicht aufgeben, sagte er Teilnehmern zufolge. "Die Philosophie muss stehen." Erneut warb Müntefering für seinen Vorschlag, die längere ALG-Bezugsdauer mit einer Verpflichtung zur Weiterbildung zu verknüpfen. Auch müssten Partei und Regierung im Umgang miteinander "Vorsicht walten lassen" und sich abstimmen. "Das ist auch unsere Regierung", so Müntefering. Die SPD-Minister seien "keine Entsandte", sondern fester Teil der Regierung.
Müntefering wie Beck äußerten sich anschließend in der Sitzung den Angaben zufolge versöhnlich. Der Vizekanzler versicherte, er wolle das Streitthema "nicht offensiv nach außen vertreten".
OEF soll leicht verändert werden
Der SPD-Vorstand sprach sich zudem für die Ausgabe von Volksaktien bei der Bahn-Privatisierung und für die Einführung von zehn bezahlten Pflegetagen aus. Das umstrittene Bundeswehr-Mandat im Anti-Terror-Einsatz (Operation Enduring Freedom/OEF) soll mit leichten Veränderungen verlängert werden. Der Vorstand folgte dabei mit nur wenigen Enthaltungen und Gegenstimmen der Linie der Antragskommission. Die Aufstellung neuer Raketen in Europa lehnt die SPD nach den Worten Becks entschieden ab, auch wenn dies "mit dem Wort Raketenabwehrsysteme einher kommt".
Bahn-Privatisierung bleibt strittig
Im Streit um die Bahn-Privatisierung bleibt die SPD-Position trotz der Festlegung auf das Volksaktien-Modell umstritten. Dies zeigte sich daran, dass mit Finanzminister Peer Steinbrück ein Verfechter und mit Juso-Chef Björn Böhning ein Kritiker der Privatisierung gegen das Modell stimmten. Teilnehmer berichteten von heftigen Debatten und erwarteten deren Fortsetzung beim Parteitag. Die Führung will verhindern, dass sich die Delegierten aus Sorge vor Großinvestoren insgesamt gegen die Privatisierung stellen.
Um Großaktionären nicht zu viel Einfluss zu geben, sollen Volksaktien in einer ersten Tranche von 25,1 Prozent ausgegeben werden. "Es darf keine Zerschlagung der Bahn geben", sagte Beck. Der bereits in den Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf sieht vor, dass sich der Bund von maximal 49 Prozent seiner Anteile an der Deutschen Bahn trennt.
Grüne loben Strategie, kritisieren Inhalt
Die Grünen begrüßten die Forderung des SPD-Vorstands nach längerem Arbeitslosengeld I für Ältere als grundsätzliches sozialpolitisches Reformsignal, lehnten die Maßnahme in der Sache aber erneut ab. Parteichef Reinhard Bütikofer forderte stattdessen höhere Hartz-IV-Sätze beim Arbeitslosengeld II. Er bezeichnete es aber als "notwendig", dass die SPD "nicht in Hartz-Dogmatismus" verfalle. Der Beschluss bedeute eine sozialpolitische Neujustierung und markiere den Beginn von Becks Kanzlerkandidatur.
Linke sehen "richtigen, aber halbherzigen" Schritt
Die Linkspartei erklärte, der SPD-Beschluss sei "ein richtiger Schritt, aber es ist ein halbherziger Schritt". Parteichef Lothar Bisky ergänzte, Beck beseitige jetzt Probleme, die es ohne Beschlüsse der SPD nicht gegeben hätte. Jetzt müssten die neuen Beschlüsse der Sozialdemokraten aber auch umgesetzt werden.
Kritik von CSU und FDP
Kritik an den Entscheidungen der SPD übten der Koalitionspartner und die Liberalen. CSU-Chef Erwin Huber lehnte die Pläne nach einer längeren Auszahlung von Arbeitslosengeld ab und warnte vor einem Linksruck. "Man kann nicht mit einem Bein in der Regierung und mit einem Bein in der Opposition stehen", sagte Huber. Eine längere Auszahlung von Arbeitslosengeld I an Ältere koste bis zu 2,9 Milliarden Euro im Jahr: "Das ist absolut unfinanzierbar." Nach Darstellung der SPD kostet die Maßnahme lediglich 800 Millionen Euro.
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel warf der SPD vor, "Trostpflaster" zu verteilen und sich damit von einer wirksamen Arbeitsmarktpolitik zu verabschieden.
CDU wartet ab
Trotz anhaltender Differenzen in der Koalition über die Zahldauer beim Arbeitslosengeld I rechnet die CDU mit einer Einigung in drei Wochen. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zeigte sich zuversichtlich, dass die Koalition bei einer Spitzenrunde am 12. November ein gemeinsames Maßnahmenpaket vereinbaren werde. Er bekräftigte die Forderung der Union, die Bezugsdauer beim ALG I für Ältere nur dann zu verlängern, wenn an anderer Stelle gespart werde und unterm Strich keine zusätzlichen Kosten entstünden. "An dieser Position wird sich nichts ändern."
Eine Kompromisslinie wollte Pofalla nicht aufzeigen. In einer Sitzung des Parteivorstands gab CDU-Chefin Angela Merkel Teilnehmern zufolge die Parole aus, mit konkreten Vorschlägen zur Finanzierung zunächst zu warten, bis der SPD-Parteitag am Wochenende einen Beschluss zu Änderungen beim ALG I fasst.
Quelle: ntv.de